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       # taz.de -- Die Wahrheit: In aller Freundschaft
       
       > Euro-Urne (5): Heute erklärt uns Carola Rönneburg, warum sie doch nicht
       > die Partei wählen würde.
       
       Erwogen hatte ich es schon. So wie ich bei fast jeder Wahl erwäge zu wählen
       und es, von seltenen Ausnahmen abgesehen, dann doch wieder nicht übers Herz
       bringe, aber immerhin so viel demokratische Erziehung in mir trage, dass
       ich den Wahlzettel ungültig male.
       
       Deshalb ließ ich mir durch den Kopf gehen, ob ich mich daran beteiligen
       sollte, einigen Kandidaten der Partei Die Partei (“Ja zu Europa, Nein zu
       Europa“) durch meine Stimme jeweils ein paar schöne Wochen in Brüssel und
       Flugreisen in die Heimat zu verschaffen: Sollte Die Partei bei der
       Europawahl einen Sitz erringen, wollen ihre Vertreter nach jeweils einem
       Monat zurücktreten und Platz für die Nachrücker machen. Darüber hinaus
       stellt die Organisation, die aus der Redaktion der Titanic hervorging, mit
       Martin Sonneborn einen der weltweit eloquentesten Spitzenkandidaten
       überhaupt.
       
       Als mein Mann am Dienstag, den 13. Mai, um 21 Uhr 40 das Fernsehprogramm
       wechselte, weil die Parteiwerbung der Partei Die Partei gesendet werden
       sollte, war ich bereits in milder, generöser Stimmung. Das Bild zeigte eine
       blonde Frau im Halbporträt in blauer Bluse – es mag auch ein Kleid gewesen
       sein –, die sich auf einem Bett ausruhte. Frau und Bluse oder Kleid
       verströmten ländliche Aura.
       
       Das fing ja gut an! Worauf wollte Die Partei mit diesem Einstieg hinaus?
       Die Dorfschönheit lächelte in sich hinein und zwar ganz schön lange.
       Offenbar baute die Regie einen perfiden Spannungsbogen auf. Nun hörte ich
       eine männliche Stimme aus dem Off. „Ich mach schon“, sagte diese Stimme,
       aber ihr Tonfall verriet mir, dass sie keinen Partei-Slogan rezitierte –
       „Ich mach schon“ steht auch nicht auf Martin Sonneborns präventiv
       verunstaltetem Werbeplakat –, sondern Teil des Schauspiels war. Ich wurde
       immer neugieriger, wie sich die Geschichte entwickeln würde. Martin
       Sonneborn ist immerhin Grimme-Preisträger!
       
       Die Frau lächelte weiter und seufzte leicht. Gute Güte, jetzt würde aber
       doch wohl nicht diese männliche Stimme ins Zimmer kommen und irgendwelche
       Seufzereien veranstalten? Herr Sonneborn! Auf jeden Fall wäre es dann schon
       schwierig, einen guten Witz hervorzubringen. Andererseits standen Profis
       hinter diesem Werk.
       
       ## Marx war gemeint!
       
       „Max isst wieder“, sagte aufmals dieselbe Stimme. Welcher Max? Eilends rief
       ich mir die Namen verschiedener Politiker ins Gedächtnis, die entweder sehr
       dick oder sehr dünn waren. Ich kam auf keinen Max, bis mir klar wurde, dass
       ich mich verhört haben musste: Marx war gemeint! „Marx isst wieder“, das
       war selbstverständlich eine ganz andere Botschaft. Eine ironische,
       möglicherweise auch sarkastische, der Clou wartete schließlich noch. Blonde
       Frau auf Bett, lächelnd, weil sich einer kümmert, und weil Marx wieder
       isst. Aber was isst Marx? Steak? Spargel? Vollkorntoast? Vielleicht hatte
       es auch „Marx ist wieder da“ geheißen.
       
       So oder so war ich jetzt wirklich unbändig neugierig, wie dieses doch
       leicht wirre Script noch in eine Pointe führen sollte. Eine meterhohe
       Fallhöhe schien hier geplant – eine mächtige Pointe wurde mit sehr ruhiger
       Hand vorbereitet. Durch Marx abgelenkt, hatte ich irgendeinen
       Zwischenschnitt verpasst. Jedenfalls saßen die Blonde und die nunmehr
       personifizierte männliche Stimme auf einmal einander gegenüber, tauschten
       sanfte Blicke aus, und Marx war in etwa zwei Jahre alt. So lief wohl nun
       alles auf ein wenig Spott über Kleinfamilie und Kleinbürgertum hinaus.
       Nicht das, was ich erwartet hatte, aber vielleicht doch ein bisschen
       lustig, hoffte ich. Aber da lief auch schon ein Abspann über den
       Bildschirm. „In aller Freundschaft“ las ich da, ganz im Ernst.
       
       Und das sollte komisch sein? Dafür sollte es ein Leben in Saus und Braus in
       Brüssel geben? Nee. Nicht mit mir. Keine Chance, liebe Partei.
       
       22 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Carola Rönneburg
       
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