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       # taz.de -- Kolumne Brüssel verstehen: La vie chère – Teures Leben
       
       > Brüssel gilt als „Hauptstadt Europas“ – Was bedeutet das für die
       > Menschen, die zwischen all den Beamten wohnen? Ist das Leben für sie
       > erschwinglich?
       
   IMG Bild: In Brüssel essen zu gehen ist ein teurer Spaß.
       
       Gestern bekam ich Post von meinem Bürgermeister. Der gute Mann heißt Willy
       Decourty und regiert in Ixelles – der Brüsseler Gemeinde, in der ich wohne.
       Decourty hat mich gebeten, doch unbedingt wählen zu gehen: für Europa, für
       Belgien, aber auch für ihn. Denn in Brüssel finden drei Wahlen gleichzeitig
       statt: die Europa-, die Parlaments- und die Kommunalwahl. Die EU geht dabei
       ziemlich unter.
       
       Die Bürger von Brüssel haben nämlich andere Sorgen als die Frage, wer der
       nächste Präsident der EU-Kommission wird. Sie fragen sich, ob es wieder 541
       Tage dauert, bis sie eine neue Regierung haben. Diesen tristen Weltrekord
       stellte Belgien bei der Wahl 2010 auf. Sie ärgern sich über die neuen
       Flugrouten für den Brüsseler Airport, die direkt über die Innenstadt
       führen.
       
       Und sie sorgen sich um steigende Mieten und explodierende Strom- und
       Gasrechnungen, die das Leben noch teurer machen. Es ist nämlich jetzt schon
       ein kostspieliges Vergnügen, in der „Hauptstadt Europas“ zu leben. Zwar
       liegt Brüssel in internationalen Rankings hinter Moskau, Genf oder Zürich.
       Doch Restaurants sind oft unerschwinglicher als in Paris, die Mieten höher
       als in Berlin und viele Dinge des täglichen Lebens Luxus.
       
       Zwar werden EU-Beamte und Diplomaten großzügig für die Extrakosten
       entschädigt. Zudem liegt das Durchschnittseinkommen der Brüsseler
       vergleichsweise hoch; brutto ist es sogar höher als in Paris. Doch die
       Steuern fressen alles wieder auf. Ein Durchschnitts-Arbeitnehmer in Belgien
       muss bis zum 6. August arbeiten, um seine Steuerlast zu tilgen – länger als
       alle anderen Europäer.
       
       In Deutschland wäre das ein Aufreger. Doch die Belgier nehmen es gelassen.
       Zu einem großen Wahlkampfthema wurde das teure Leben – la vie chère – noch
       nicht. Stattdessen wirbt mein sozialistischer Bürgermeister Decourty dafür,
       das belgische Sozialmodell mit seinem automatischen Inflationsausgleich bei
       den Löhnen zu verteidigen. Das wird nämlich von der EU infrage gestellt.
       
       Die EU-Kommission interessiert sich eben mehr für die Wettbewerbsfähigkeit
       als für die Menschen. Sie möchte die Löhne drücken, doch gegen die hohen
       Preise und die noch viel höheren Kapitaleinkünfte unternimmt sie nichts.
       Vielleicht ist das auch der Grund, warum sich viele Belgier mehr für ihre
       eigenen kleinen Wahlen engagieren als für die große Abstimmung in Europa.
       Und das sogar mitten in der Hauptstadt Brüssel.
       
       21 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eric Bonse
       
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