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       # taz.de -- Transnistrien, die nächste Krim: Wo die Uhren rückwärtsgehen
       
       > Nach dem Vorbild der Krim strebt mit der Moldau-Republik Transnistrien
       > ein weiterer Satellitenstaat des russischen Militärs in Richtung Moskau.
       
   IMG Bild: Stolz in Uniform: Transnistrierinnen am 2. September 2013, dem Unabhängigkeitstag des Landes.
       
       TIRASPOL taz | Tiraspol wirkt so, als seien die Uhren stehen geblieben. Die
       Hauptstadt des international nicht anerkannten Transnistrien – der Teil der
       Republik Moldau, der östlich des Flusses Dniestr liegt und sich 1992
       unabhängig erklärte – ist voller Sowjetsymbole. Leninstatuen, sowjetische
       Kriegsdenkmäler und ewige Feuer sieht man an jeder Ecke.
       
       Die Spitze des Stadtrats schmückt ein roter Stern. Am Gebäude erinnert eine
       Gedenktafel an die Gefallenen des Zweiten Weltkriegs. Die Flagge der
       Russischen Föderation wird häufig auf Verwaltungsgebäuden, Einkaufszentren
       und Geschäften gehisst. Gleichzeitig sind viele Gebäude mit Losungen wie:
       „Wir sind mit Russland“, „Mit Russland nach vorne“ oder „23 Jahre gemeinsam
       mit Russland“ versehen.
       
       Nach dem Anschluss der ukrainischen Halbinsel Krim an Russland strebt nun
       auch Transnistrien einen Beitritt an. Seit Sowjetzeiten ist die 14.
       russische Armee in Transnistrien stationiert. Im März bat das
       transnistrische Parlament offiziell um die Aufnahme des Gebiets, das sich
       „Pridnestrowische Moldauische Republik“ (PMR) nennt, in die Russische
       Föderation.
       
       Anfang Mai besuchte der russische Vizepremier und Transnistrien-Beauftragte
       Dmitri Rogosin die Hauptstadt Tiraspol und nahm an den Feierlichkeiten zum
       Tag des Siegs im Zweiten Weltkrieg am 9. Mai teil. Vorab sammelten Bürger
       auf den Straßen Unterschriften für den Beitritt zu Russland. Die
       Unterschriftenmappen wurden im Anschluss Rogosin übergeben.
       
       Moldau zeigte sich wenig begeistert von diesem Besuch. Rumänien und die
       Ukraine hatten zuvor den Luftverkehr für den russischen Vizepremier für
       geschlossen erklärt und sich dabei auf laufende EU-Sanktionen gegen den
       Politiker bezogen. Der kümmerte sich jedoch nicht weiter um das Verbot und
       flog mit einer anderen Maschine zurück.
       
       ## Luftangriff angedroht
       
       Kurz darauf drohte Rogosin per Twitter Rumänien mit einem Luftangriff:
       „Nächstes Mal fliege ich mit einer Tu-160“ (ein sowjetischer Bomber).
       Später fügte er provozierend hinzu: „Liebe Rumänen, wir werden euch bald
       zeigen, wer ihr seid und was wir von euch halten.“
       
       Obwohl es in Transnistrien drei offizielle Landessprachen gibt (Russisch,
       Ukrainisch und Moldawisch), empfängt man vor Ort nur russische und
       ukrainische TV-Kanäle. Eine unabhängige Presse existiert nicht. Die einzige
       ausländische Presseagentur Novyj Region wurde geschlossen. Das Schriftbild
       in Tiraspol ist hauptsächlich russisch.
       
       Als Igor Smirnow, der 20 Jahre lang Regierungschef des Landes war, 2011 von
       Jewgeni Schewtschuk abgelöst wurde, stiegen die Steuern und die
       Nebenkosten. Das Durchschnittsgehalt in Transnistrien beträgt rund 200 Euro
       im Monat, bei Verbraucherpreisen sind ähnlich wie in Europa.
       
       Die Bevölkerung Transnistriens besteht hauptsächlich aus Russen, Ukrainern
       und Moldauern. Anfang der Neunziger sehnte sich die russischsprachige
       Bevölkerung der Region nach einem unabhängigem Staat. Moldau wünschte sich
       dagegen einen Anschluss an Rumänien, mit dem es eine jahrhundertealte
       Geschichte, Kultur und Sprache verband. 1992 führte die Auseinandersetzung
       zu einem bewaffneten Konflikt, bei dem knapp 1.000 Bewohner Transnistriens
       starben. Dann erklärte sich die Region unter Schutz der 14. russischen
       Armee für unabhängig.
       
       Seitdem ist viel Zeit vergangen, an der Situation aber hat sich nicht viel
       geändert. Gespräche über eine Wiedervereinigung mit der Republik Moldau
       führten immer wieder ins Leere. Es wurden Kommissionen geschaffen und
       OSZE-Beobachter nach Transnistrien geschickt, um ein Gesprächsformat zu
       schaffen. Konkrete Maßnahmen für eine Verbesserung der Beziehungen gab es
       keine. Moldau strebt in die EU, Transnistrien dagegen sieht seine Zukunft
       in der Zollunion mit Russland.
       
       Die 55-jährige Jelisaweta würde einen Anschluss an Russland begrüßen:
       „Transnistrien als Teil Russlands wäre eine ideale Lösung. Russland hat uns
       nie im Stich gelassen. Rentner bekämen dann knapp 15 US-Dollar mehr im
       Monat. Es würden Krankenhäuser, Schulen und Kindergärten gebaut. Außerdem
       wären Nebenkosten viel billiger als in der Republik Moldau, besonders die
       Gaspreise.“
       
       ## Gemeinsame Zukunft
       
       Auch Nikolaj, 28, sieht eine Zukunft nur gemeinsam mit Russland: „Ich
       verstehe die EU-Befürworter nicht. Was hat Europa Gutes getan? Die Grenzen
       geöffnet? Und was ist das Ergebnis davon? Viele arbeiten für niedrige
       Gehälter in Italien, Frankreich und Deutschland und sind sozial und
       juristisch nicht abgesichert. Transnistrien und Russland verbindet vieles,
       deswegen haben wir eine gemeinsame Zukunft.“
       
       Nur wenige Einwohner sind skeptisch, so wie die 26-jährige Karina:
       „Transnistrien hat außer Arbeitskräften und magerer landwirtschaftlicher
       Flächen nichts zu bieten. Alle sind überzeugt, dass Transnistrien nur durch
       Russlands Unterstützung existieren kann.
       
       Russland aber bietet seine Hilfe nicht aus purer Selbstlosigkeit an. Es
       möchte hier nur seine Soldaten stationieren, um die Grenzen vor der Nato zu
       verteidigen. Ich aber möchte in einem Land leben, dessen Werte auf
       Stabilität, Toleranz und sozialer Sicherheit beruhen, so wie Europa es
       vorlebt.“
       
       Mitarbeit: Ljuba Naminova
       
       22 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Alexander Nikiforow
       
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