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       # taz.de -- Jahrhundertflut auf dem Balkan: Unvorbereitet in die Katastrophe
       
       > In den bosnischen Städten Maglaj und Doboj stand das Wasser noch am
       > Sonntag vier Meter hoch. Insgesamt starben mindestens 44 Menschen.
       
   IMG Bild: Ein Radfahrer auf überschwemmten Wiesen nahe Bijeljina.
       
       SARAJEVO taz | In der nordostbosnischen Stadt Bijeljina sind am Sonntag die
       Dämme der Sava gebrochen. Draganas Haus liegt nicht direkt am Fluss,
       sondern ein wenig höher. Deshalb verfügt sie am Sonntag noch über Strom und
       Telefon. „Freunde und Nachbarn haben mir ihre Kinder gebracht und versuchen
       verzweifelt zu retten, was zu retten ist.“ Doch auch ihr Haus ist in
       Gefahr. Denn das Wasser steigt weiter.
       
       Von der Jahrhundertkatastrophe in Bosnien und Herzegowina sind über eine
       Million der 3,8 Millionen Einwohner direkt betroffen. Zwar schien am
       Sonntag in Sarajevo die Sonne und das Wasser der Miljacka ist wieder
       zurückgegangen, doch am Mittel- und Unterlauf der Flüsse ist die Flut noch
       allgegenwärtig. Dennoch sinken die Pegel. Nach tagelangen Regengüssen mit
       bis zu 150 Liter auf den Quadratmeter sind vor allem die dicht besiedelten
       Flusstäler der Bosna, der Sana und Una betroffen. Dagegen konnte an dem
       Grenzfluss Drina zu Serbien hin der Katastrophenalarm aufgehoben werden.
       
       Betroffen sind vor allem die im Bosnatal liegenden Städte Maglaj und Doboj.
       Hier stand das Wasser noch am Sonntag vier Meter hoch. Allein hier seien 20
       Tote zu beklagen, erklärte der Bürgermeister. „Wir müssen jetzt die Leichen
       suchen.“
       
       Besonders schlimm sind die Flüchtlinge dran, die in den letzten Jahren
       Häuser auf den Wiesen entlang der Bosna gebaut haben. Während des Krieges
       hatten sie im Zuge der ethnischen Säuberungen in Ostbosnien ihre Häuser
       verloren. Und jetzt stehen sie wieder vor dem Nichts. Tausende dieser
       Häuser wurden nördlich von Zenica bis hin nach Doboj und Brcko von der
       Flutwelle völlig zerstört. In Orasje ist am Sonntag der Damm der Sava
       gebrochen. Zehntausende müssen evakuiert werden.
       
       ## Spektakuläre Rettungen
       
       Auch an den nordwestlichen Flüssen Sana und Una hat sich die Lage noch
       nicht entspannt. Das Haus des Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation
       Prijedor 92, Sudbin Music, der erst vor wenigen Wochen vom tazlab nach
       Berlin eingeladen wurde, ist vom Wasser der Sana überspült. Der Garten und
       das Untergeschoss sind verwüstet. „Der Schlamm ist jetzt überall. So ein
       Hochwasser hat es hier noch nie gegeben“, erklärte er gegenüber der taz.
       Immerhin konnte er die wichtigsten Möbel retten.
       
       „Das größte Problem ist jetzt das Trinkwasser“, klagen die Betroffenen.
       Zwar konnten Hubschrauber der türkischen Eufor-Truppen und slowenische
       Hilfsorganisationen einige Einwohner spektakulär von den Dächern ihrer
       Häuser retten, doch der Staat ist auf eine solche Katastrophe überhaupt
       nicht vorbereitet.
       
       „In der Nacht kam plötzlich das Wasser durch die Fenster. Mein Sohn und ich
       flohen zu den Nachbarn eine Etage höher.“ Niemand habe sie gewarnt, keine
       Sirene ging an, klagt die Juristin Jasminka. „Was ist denn unser Staat.
       Jetzt gibt es niemanden, der durch die Häuser geht und schaut, ob die alten
       Leute, die sich nicht aus ihren Häusern retten konnten, überlebt haben“,
       ruft sie ins Telefon.
       
       Vom Staat sind auch keine Entschädigungen für die Opfer zu erwarten.
       Versichert ist ohnehin niemand. Tausend junge Leute sind als Helfer in die
       Katastrophengebiete gefahren. In der wenig betroffenen Hauptstadt Sarajevo
       werden Kleider- und Lebensmittelspenden gesammelt. In Wien und in Sarajevo
       riefen die Helfer dazu auf, diese Hilfsgüter keineswegs den Behörden zu
       überlassen. Zu sehr fürchtet man die Korruption dieser Institutionen. Jetzt
       sollen Freiwillige die Verteilung der Hilfsgüter selbst in die Hand nehmen.
       
       ## Die Flut in Serbien
       
       Der Höhepunkt der Flutwelle hat nun Serbien erreicht. In der Stadt
       Obrenovac nördlich von Belgrad wurden alle 20.000 Einwohner zum Verlassen
       ihrer Häuser aufgefordert. Viele mussten von Helfern evakuiert werden. Die
       serbischen Behörden bestätigten zunächst sieben Todesfälle.
       
       Die Regierung in Belgrad erklärte nach Berichten über die Bergung weiterer
       Leichen, die endgültige Opferzahl solle erst nach dem Abschluss des
       Rettungseinsatzes bekanntgegeben werden.
       
       Serbiens Ministerpräsident Aleksandar Vucic sprach von einer „furchtbaren
       Naturkatastrophe“. Die Flutwelle rollt unterdessen auf Belgrad zu. Mit
       Sandsäcken sollen die an sich relativ hohen Dämme der Stadt weiter
       abgesichert werden. Doch an den Ufern unterhalb Belgrads wächst die Angst.
       
       18 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Erich Rathfelder
       
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