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       # taz.de -- Protest gegen Flüchtlingspolitik: Bis ins Kanzleramt
       
       > Wer hätte es gedacht: Das Zentrum für Politische Schönheit wird zusammen
       > mit zwei Holocaustüberlebenden im Kanzleramt empfangen. Ein Ortstermin.
       
   IMG Bild: Syrische Flüchtlinge an der Landesgrenze zu Jordanien.
       
       BERLIN taz | Der Protest geht weiter, online und in der realen Welt. Am
       Donnerstag erst war ein neues [1][Video] der Aktionsgruppe [2][Zentrum für
       Politische Schönheit] [3][(ZPS)] im Netz aufgetaucht. Nicht nur, dass
       Manuela Schwesig [4][55.000 syrische Flüchtlingskinder] in Deutschland
       aufzunehmen plant. Nein, jetzt will sie sogar selbst ins Krisengebiet
       reisen und die Kinder dort treffen. So zumindest will es das Video einen
       glauben machen.
       
       Es ist eine kleine Sensation: Nur vier Tage, nachdem die Webseite der
       fingierten [5][Kindertransporthilfe des Bundes] gelauncht wurde, wird die
       Künstlergruppe um Philipp Ruch im Bundeskanzleramt empfangen. Bekannt war
       der Termin schon die ganze Woche über. Das ZPS hatte ihn im Rahmen ihrer
       Aktion einfach festgelegt. Am Donnerstag aber war plötzlich
       Regierungssprecher Steffen Seibert am Apparat und bestätigte der Gruppe
       einen offiziellen Termin.
       
       Ruch erscheint mit zwei Überlebenden des Holocaust. Kurt Gutmann (87) und
       Inge Lammel (90) wurden beide durch die Kindertransporte 1939 nach
       Großbritannien gerettet. Das Schicksal ihrer Familien blieb ihnen dadurch
       erspart: Bis auf eine angeheiratete Tante hat Inge Lammel alle Angehörigen
       in Auschwitz verloren, Gutmanns Familie kam im Vernichtungslager Sobibor
       ums Leben.
       
       75 Jahre später begleiten sie nun Philipp Ruch ins Kanzleramt, um mit zwei
       hochrangigen Fachreferenten über die Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik
       zu diskutieren. An der Einfahrt zum Bundeskanzleramt müssen sie aussteigen,
       Inge Lammel geht mit ihrem Rollator bis zur Eingangstür, Kurt Gutmann wird
       im Rollstuhl geschoben. Bis ganz nach vorne zu fahren sei leider nicht
       möglich, erklären die Kontrollbeamten.
       
       Warum das Zentrum für Politische Schönheit ihr Hilfsprogramm nur auf Kinder
       beziehe, diese Frage musste Ruch in den letzten Tagen immer wieder
       beantworten. „Ich persönlich finde das schrecklich, ich würde niemals nur
       Kinder retten und von ihren Familien losreißen wollen“, sagt er, „aber wir
       spielen damit die Kindertransporte von 1939 nach.“ Gerade vor diesem
       Hintergrund dürfe die Bundesregierung keine Flüchtlingsabwehrpolitik
       betreiben.
       
       ## „Schon ein wenig ernüchternd“
       
       Etwa eine Stunde verbringt Philipp Ruch mit Inge Lammel und Kurt Gutmann im
       Kanzleramt. Als sie nach dem Gespräch wieder vor dem Kanzleramt erscheinen,
       ist ihre Stimmung nicht gerade euphorisch. „Es war schon ein wenig
       ernüchternd“, meint Lammel, „man hat sich ausgetauscht, aber wirklich
       Konkretes kam dabei nicht rum.“
       
       Ihr Anliegen bestand vor allem darin, die Regierungsvertreter davon zu
       überzeugen, dass 10.000 Flüchtlinge viel zu wenig sind. So viel nämlich hat
       die Bundesregierung bislang bestätigt, aufzunehmen. „Wir möchten, dass
       75.000 Flüchtlinge einreisen dürfen,“ sagt Gutmann. „Verantwortlich in
       dieser Frage ist Deutschland ganz besonders“.
       
       76.000 Asylanträge lägen derzeit vor, so Philipp Ruch. Im Kanzleramt sei
       ihnen nun gesagt worden, dass die Regierung von dieser Zahl nichts wisse.
       „Das zeigt auf erschreckende Weise, wie nachlässig mit dieser größten
       humanitären Katastrophe des 21. Jahrhunderts hier umgegangen wird“, lautet
       sein Fazit. Laut einer Meldung des Bundesinnenministeriums vom Donnerstag
       haben bislang 50.000 Syrer um Asyl gebeten.
       
       Kurt Gutmann und Inge Lammel wollen sich weiterhin für die syrischen
       Flüchtlinge einsetzen. Gutmann ist überzeugt: „Diese Menschen haben ein
       Recht darauf, zu überleben. Man sollte es ihnen auch geben.“ Gerade weil
       Deutschland „ein reiches Land ist, das es sich leisten kann, diese jungen
       Menschen aufzunehmen,“ sagt Inge Lammel.
       
       Der Protest wird weitergehen. Das Zentrum für Politische Schönheit hat für
       nächste Woche bereits weitere Aktionen angekündigt.
       
       16 May 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.youtube.com/watch?v=doKQqZ1mqew
   DIR [2] http://www.politicalbeauty.de/center/News.html
   DIR [3] http://www.politicalbeauty.de/center/News.html
   DIR [4] /Aktionskuenstler-fordern-Regierung-heraus/!138307/
   DIR [5] http://www.kindertransporthilfe-des-bundes.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Josef Wirnshofer
       
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