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       # taz.de -- Fraktusrevival-Revival: Ein Abend in Fahrt
       
       > Hamburgs komisches Trio Studio Braun schlüpft wieder in die Rolle der
       > Techno-Pioniere Fraktus und treibt Schabernack auf der Bühne des Thalia
       > Theaters.
       
   IMG Bild: "Hier sind ja auch Leute": Jacques Palminger (v. l.), Alicia Aumüller, Heinz Strunk, Franziska Hartmann und Rocko Schamoni in "Tonight: Fraktus".
       
       Das kleinste Licht hat die besten Geschichten zu erzählen: Roadie Dennis
       Modschiedler (Jörg Pohl), mit schütterem langen Haar, aber scharfer
       Beobachtungsgabe, ist lang genug im Musikbusiness, um sich nicht mehr
       beeindrucken zu lassen vom schönen Schein des Rock’n’Roll. Während Fraktus,
       diese legendären Erfinder des Techno, in Pinneberg im Stau feststecken,
       seziert Morschiedler gnadenlos die Protagonisten, die das Mikrouniversum
       eines Pop-Konzerts so hervorbringt: Übrig bleiben traurige, arme Würstchen,
       die sich ohne die kurzen Momente von Glitzer und Glamour vermutlich einen
       Strick nehmen würden.
       
       Die Grundvoraussetzungen sind also gegeben für einen dieser überzogenen,
       absurden und dann wieder tief melancholischen Theaterabende von Studio
       Braun. Deren letzte Premiere in Hamburg fand vor vier Jahren am
       Schauspielhaus statt: In „Rust: Ein deutscher Messias“ spielte Fabian
       Hinrichs den Kreml-Flieger Mathias Rust. 2012 machten dann Jacques
       Palminger, Rocko Schamoni und Heinz Strunk einen Ausflug ins Kino: Sie
       erfanden die Band Fraktus, angeblich Erfinder des Techno, von deren
       unglaublichem Comeback nach 20 Jahren im Dunkel der Popgeschichte die
       Mockumentary „Fraktus – Das letzte Kapitel der Musikgeschichte“ erzählte.
       
       Es folgte eine richtige Tournee der falschen Band, und nun wird eben am
       Hamburger Thalia Theater ein Konzert Fraktus’ inszeniert, gerahmt vom Blick
       hinter die Kulissen mit all den Dramen auf der Bühne und in den Hirnrinden
       der Beteiligten, die dem Konzertgänger eigentlich verborgen bleiben.
       
       Einen kurzen Seitenhieb auf das Schauspielhaus, mit dem man sich verkracht
       hat, können Studio Braun sich dabei nicht verkneifen: „Da hat man uns nicht
       reingelassen“, heißt es, als die Band endlich selbst auf der Bühne steht,
       „aber hier sind ja auch Leute.“
       
       Die Persönlichkeiten, die in „Tonight: Fraktus“ ins Licht treten, sind
       ebenso klischeehaft überzogen wie erschreckend realitätsnah: Die Managerin
       Fritzi von Salm (herrlich garstig-hysterisch: Lisa Hagmeister) kann im
       Umgang mit den Bühnenarbeitern weder ihren adeligen Habitus noch ihren
       Kokskonsum verstecken, die Zwillinge Melanie und Danuta Körner (Franziska
       Hartman, Alicia Aumüller) geben als Techno-Pendant der Pop-Schwestern
       Kerstin und Sandra Grether die hochgradig selbstverliebte, überdrehte, aber
       eigentlich nicht so richtig talentierte Vorband. Die Hamburger Punk-Ikone
       Jens Rachut versifft als verstrahlter Roadie und Ex-Avantgardist, und der
       technische Leiter schließlich, der gescheiterte Ingenieur Peter Hensel
       (Julian Greis) versucht schwäbelnd und in Funktionskleidung Disziplin in
       den Laden zu bringen.
       
       Allerdings: Eine Dramaturgie des Abends, sei es als roter Faden oder pure
       Anarchie, sucht man vergebens. Fraktus preisen ihren Merchandise an, haben
       neben dem Techno auch noch das Internet erfunden sowie mit „Smirkey“ ein
       Pac-Man-Äquivalent, dessen Ziel maximaler Drogenkonsum ist. In diesem
       Videospiel verliert sich Roadie Modschiedler und wird von dem obligatorisch
       als Mutter auftretenden Heinz Strunk wieder in die Realität zurückgeholt:
       Ein bisschen hat man das Gefühl, da seien allerlei Ideen, die noch nicht
       verwurstet waren, irgendwie aneinandergepappt worden. Das Highlight ist
       Jörg Pohls Monolog über den Fahrradhelm als Symbol für alles, was an
       unserer Gesellschaft kleinlich und hässlich ist, und natürlich die
       großartigen Kostüme von Madoral sowie das Bühnenbild von Janina Audick, das
       das Fahrradhelm-Thema in monströsen Dimensionen wieder aufgreift.
       
       Robert Pfaller, Diedrich Diederichsen, Guy Debord: Das Programmheft bemüht
       alle möglichen Leute, die schlaue Sachen geschrieben haben über Eskapismus
       und die Performativität des Seins. Aber am Ende des Tages lebt jede gute
       Popshow von ihrem Unterhaltungswert – und der könnte größer sein. Als
       hätten sie das geahnt, nimmt man Kritikern aber auch gleich wieder den Wind
       aus den Segeln: „Wenn ein Abend Fahrt aufnimmt, ist das sehr schön“,
       bemerkt Pohl trocken, „aber fast noch schöner ist es, wenn es vorbei ist.“
       Der Gefallen, mit diesem Zitat zu schließen, soll Studio Braun aber nicht
       getan werden: Dazu ist Palmingers Hommage an David Bowies „Space Oddity“ am
       Schluss zu wunderbar.
       
       ## nächste Vorstellungen: 17., 18. + 25. Mai, Hamburg, Thalia Theater
       
       15 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Hanna Klimpe
       
       ## TAGS
       
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