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       # taz.de -- WM-kritischer Aktionstag in Brasilien: Jetzt geht's los
       
       > Demos, Streiks und Besetzungen: Am Donnerstag sollen die WM-kritischen
       > Proteste in Brasilien einen Höhepunkt erreichen. Auch die Rechte mischt
       > mit.
       
   IMG Bild: Noch vier Wochen bis zum Start der WM. Für die Kritiker hat der Kampf schon begonnen
       
       RIO DE JANEIRO taz | Vier Wochen vor der Fußball-Weltmeisterschaft haben
       alle Beteiligten ihre Positionen eingenommen. Das Spielfeld ist nicht der
       grüne Rasen, der am dem 12. Juni weltweit über die Bildschirme flimmern
       wird – das Spielfeld sind die Straßen des Landes, vor allem die der zwölf
       Austragungsorte. Auftakt ist der internationale Aktionstag gegen die
       Kollateralschäden der WM an diesem Donnerstag.
       
       Zu den Favoriten zählt die WM-kritische Bewegung, die seit den
       Massendemonstrationen im Juni vergangenen Jahres in aller Munde ist. Auch
       die politische Rechte mischt vorne mit. Sie inszeniert die
       Organisationsmängel und das erwartete Chaos während der WM als
       Heimniederlage der Regierung von Dilma Rousseff, wenige Monate vor der
       Präsidentschaftswahl.
       
       Mit dabei sind streikende Busfahrer, Lehrer, die Polizeigewerkschaft und
       andere, die wie die Stadtreiniger im März durch das Sportspektakel ein
       besonderes Druckmittel haben, alte Lohnforderungen endlich durchzusetzen.
       Dubiose Splitterparteien stehen im Verdacht, als Trittbrettfahrer noch
       etwas mehr Chaos zu stiften.
       
       Krasser Außenseiter ist die Regierung, deren Sportminister Aldo Rabelo
       gerade wieder einmal wiederholte, dass alles in bester Ordnung sei und ganz
       Brasilien von der WM profitieren werde. Tenor: Wenn der Ball erst einmal
       rollt, wird die Party beginnen. Letzten Umfragen zufolge haben jedoch an
       die 60 Prozent der fußballbegeisterten Brasilianer keine Lust mehr auf das
       Fest. Die meisten werden im kleinen Kreis vor dem Fernseher sitzen, fernab
       von Staus, Baustellen und Randale.
       
       Außer Konkurrenz der eigentliche Star, die Fifa. Die Profite, vor allem
       durch TV-Rechte und Werbung, sind bereits gesichert. Auf den Straßen werden
       sich die Funktionäre vorsichtshalber nicht blicken lassen. Doch nach dem
       Spiel ist vor dem Spiel: Der Imageschaden für das Privatunternehmen könnte
       größer ausfallen als erwartet – trotz ruhiger Zukunftsaussichten in
       Russland und Qatar.
       
       ## Über 30.000 Menschen aus Armenvierteln vertrieben
       
       „Nein, wir sind nicht gegen die WM, sondern die Art und Weise, wie sie
       veranstaltet wird.“ Mario Campagnani von der Menschenrechtsorganisation
       Justiça Global zählt nur die sichtbarsten Missstände auf. Diese Kritik
       werde beim Aktionstag auf die Straßen getragen, der in Anlehnung an die
       Occupy-Bewegung in Spanien „M15“ genannt wird.
       
       „Die Städte werden modernisiert, aber nur im Interesse der Reichen und der
       Immobilienspekulation.“ Beispiel Rio de Janeiro: Über 30.000 Menschen aus
       Armenvierteln wurden aus ihren Wohnungen vertrieben und weit außerhalb –
       oft über 30 Kilometer entfernt – in sterilen Sozialwohnungen ohne
       Verkehrsanbindung oder Jobmöglichkeit untergebracht.
       
       „Die milliardenteuren neuen Stadien haben nichts mit unserer Fußballkultur
       gemein. Wir lieben Stehplätze und wollen vor oder nach dem Spiel am
       Grillstand ein Bier trinken.“ All das werde es aufgrund der Fifa-Regeln
       nicht geben, grollt Campagnani. Erlaubt seien nur die offiziellen
       Sponsoren, ambulante Händler sind verboten.
       
       Hinzu komme die Polizeigewalt, mit der das Ganze durchgesetzt werden solle,
       ergänzt Giselle Tanaka vom WM-kritischen Comitê Popular da Copa. „Wie im
       Juni (vergangenen Jahres, d. Red.) werden Demonstranten nur als
       Unruhestifter betrachtet werden. Wenigstens würden auf den Straßen nur
       Gummigeschosse eingesetzt, „in den besetzten Favelas dagegen wird scharf
       geschossen und immer wider gibt es Tote," beklagt Tanaka.
       
       ## Public Viewing als Protest
       
       Die WM-kritischen Komitees, die aus zahlreichen sozialen Bewegungen,
       Aktivisten und Akademikern bestehen, gibt es in allen großen Städten. Fast
       täglich sind in den kommenden Wochen lokale Demonstrationen geplant, auch
       andere Aktionsformen wie Besetzungen und Kunstinterventionen wird es geben.
       
       Viel Zulauf versprechen sich die Aktivisten bei den „Mani-Fests“, den
       alternativen Public Viewings, bei denen die Spiele auf öffentlichen Plätzen
       ohne Einhaltung jeglicher Fifa-Vorschriften gezeigt werden sollen.
       „Verboten wird dort nichts“, so die Ankündigung, „nicht einmal
       Coca-Cola-Dosen, die allerdings von fliegenden Händlern verkauft werden.“
       
       Die Befürchtung, dass die Mobilisierung wie im vergangenen Jahr teilweise
       von der Rechten vereinnahmt werden könnte, teilen die Aktivisten nicht.
       „Die Regierung hat jede Chance vertan, die WM für einen sozialen
       Fortschritt zu nutzen. Jetzt müssen wir auf die Straße gehen, um unsere
       Rechte einzufordern“, beharrt Giselle Tanaka.
       
       Die Straßenhändlerin Maria de Lourdes, auch im Komitee aktiv, stimmt zu:
       Für soziale Bewegungen gebe es kein Wahlkalkül. Sie ist selbst Mitglied der
       regierenden Arbeiterpartei PT. „Wir müssen Druck machen, damit der Karren
       nicht noch weiter in den Dreck gefahren wird. Die Rechten spielen ihr
       eigenes Spiel, das ändert aber nichts an unserer Kritik.“
       
       15 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Behn
       
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