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       # taz.de -- Ex-Senator wegen Sterbehilfe angeklagt: Kusch unbeeindruckt
       
       > Roger Kusch will nach der Anklage der Staatsanwaltschaft seinen
       > Sterbehilfe-Verein weiter betreiben: Der Vorwurf des gemeinschaftlichen
       > Totschlags sei unhaltbar.
       
   IMG Bild: Stets an medienwirksamer Selbstinszenierung interessiert: Roger Kusch.
       
       HAMBURG taz | Etwa in der Mitte der Pressekonferenz zog Roger Kusch,
       ehemaliger Justizsenator von Hamburg und inzwischen Vorstand des Vereins
       „Sterbehilfe Deutschland e.V.“ eine Art Metallbügel aus einer Plastiktüte.
       Dies sei eine neue Apparatur für Suizidwillige, die nicht mehr in der Lage
       seien, den Knopf des 2008 von ihm vorgestellten Injektionsautomaten zu
       drücken. Kusch ließ sich über die „technische Schwierigkeit“ der
       Neuentwicklung aus und die Frage der Voltzahl.
       
       Eigentlich waren er und der für den Verein tätige Arzt Johann Friedrich S.
       angetreten, um sich zur Anklage der Hamburger Staatsanwaltschaft zu äußern.
       Die wirft den beiden Männern gemeinschaftlichen Totschlag an zwei Frauen
       vor.
       
       Kuschs Bedürfnis, den zahlreichen Journalisten einen Metallbügel zu
       präsentieren, wirft lediglich ein Schlaglicht auf den Geisteszustand eines
       Mannes, dessen größtes Kapital sein Ruf als Hackbeil des reformorientierten
       Strafvollzugs ist.
       
       Laut Hamburger Staatsanwaltschaft haben Kusch und Johann Friedrich S., der
       als Gutachter für den Verein tätig ist, die 81-jährige Frau M. und die
       85-jährige Frau W., die 2012 dem Verein beigetreten waren, nicht über
       Alternativen zur Selbsttötung aufgeklärt und ihnen keine
       Beratungsmöglichkeiten aufgezeigt. So sei deren Entschluss zum Suizid
       nicht, wie in S.’ Gutachten beschrieben, „wohlerwogen“.
       
       S. selbst habe festgestellt, dass die beiden Frauen „sozial gut
       eingebunden“ und „körperlich rege“ gewesen seien. Der einzige Grund für
       ihren Todeswunsch sei die Angst vor dem Altern und dessen Folgen gewesen.
       
       Als Dr. S. am 10. 11. 2012 die beiden Frauen in ihrer Wohnung aufsuchte,
       habe Frau M. geweint und gemeinsam mit Frau W. mit der Entscheidung
       gehadert. Darauf habe S. aber lediglich mit der Frage reagiert, ob man sich
       „sicher“ sei. Am frühen Nachmittag nahmen die Frauen die von Roger Kusch
       über den Sterbehilfe-Verein besorgte Überdosis eines Medikaments ein und
       starben kurz darauf.
       
       Dass die Staatsanwaltschaft darin einen gemeinschaftlich begangenen
       Totschlag sieht, „belastet“ Roger Kusch und Johann Friedrich S. zwar nach
       eigenem Bekunden. Rechtlich sehen sie sich jedoch auf sicherem Terrain.
       
       Der Anwalt Walter Wellinghausen, der S. vertritt – und unter Ronald Schill
       Staatsrat war –, attestierte der Anklage deutliche „handwerkliche Mängel“.
       So sei die Darstellung der Tatsachen und die der vorangegangen Urteile
       mangelhaft, außerdem habe die Staatsanwaltschaft allein die strafrechtliche
       Perspektive gewählt und alle zivil- und verfassungsrechtlichen Überlegungen
       ausgespart.
       
       ## Die Tat muss nachgewiesen werden
       
       In einem Nebensatz erwähnte Wellinghausen die Herausforderung, die sich als
       die größte der Staatsanwaltschaft herausstellen könnte: die „tatsächliche
       Tatherrschaft“, die juristisch gesprochen Kusch und Johann Friedrich S.
       nachzuweisen sein wird.
       
       Dessen ungeachtet kündigte Kusch bereits an, dass der Verein seine Arbeit
       „ohne wenn und aber“ weiterführen werde. Der habe in den vergangenen drei
       Jahren 118 Menschen beim Selbstmord geholfen. Die ursprünglich in der
       Satzung vorgesehene Voraussetzung einer lebensbedrohlichen Erkrankung hatte
       man im Januar gestrichen.
       
       Die Ärzteschaft hat die Anklage mit Sympathie, so könnte man sagen, aber
       ohne allzu große Hoffnung aufgenommen. Für Eugen Brysch, den Vorsitzenden
       der Deutschen Stiftung Patientenschutz, ist der Tod der beiden Frauen ein
       weiteres Signal, Pflege endlich so zu organisieren, dass Menschen davor
       nicht in existenzielle Angst geraten. Außerdem forderte er ein Verbot der
       organisierten Form der begleiteten Selbsttötung.
       
       13 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Friederike Gräff
       
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