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       # taz.de -- Protest im Internet: Agenda Aufmerksamkeit
       
       > Demonstrationen im Netz beweisen es seit Jahren: Wer den Einfluss
       > digitaler Medien auf die politische Agenda unterschätzt, irrt.
       
   IMG Bild: Bloggen gegen Panzer: Ausschnitt aus einem Fake-Video des Zentrums für Politische Schönheit
       
       Am Tag danach ist sie überall: Familienministerin Manuela Schwesig (SPD)
       erfährt gerade unverhofft große Aufmerksamkeit auf den Nachrichtenseiten
       des Landes. Am Montag war eine Homepage der „[1][Kindertransporthilfe des
       Bundes]“ online gegangen, auf der Schwesig ein historisches Hilfsprogramm
       ankündigt, demgemäß die Bundesrepublik 55.000 syrische Flüchtlingskinder
       aufzunehmen plant.
       
       Ein Hoax, wie mittlerweile hinlänglich bekannt ist. Lanciert hat ihn nach
       sechsmonatiger Vorbereitung die Aktionsgruppe [2][Zentrum für Politische
       Schönheit] (ZPS), als Gegenentwurf zur nachlässigen Haltung der deutschen
       Politik gegenüber der humanitären Katastrophe in Syrien. Das ZPS formuliert
       damit eine scheinbar mustergültige Antwort auf die Frage, wie mit den
       anhaltenden Gräueltaten an der syrischen Zivilbevölkerung umzugehen ist.
       
       Die „Kindertransporthilfe des Bundes“ steht prototypisch für eine
       digitalmoderne Demonstrationskultur: Fingierte Webseiten, gefakte
       Facebook-Profile und bewusst provozierte Shitstorms bezeugen seit Jahren,
       dass sich über die sozialen Netzwerke maßgeblich Einfluss nehmen lässt auf
       die politische Agenda von Staaten.
       
       Als eine der ersten Aktionen dieser Art gilt die
       [3][Deportation.Class-Kampagne] aus dem Jahr 2000. Das Kölner Netzwerk
       [4][Kein Mensch ist illegal] rief diese Kampagne ins Leben, um auf die
       zweifelhafte Rolle der Lufthansa im Zusammenhang mit Abschiebungen auf
       Linienflügen aufmerksam zu machen. Online forderte sie unter anderem zu
       Protestaktionen an Flughäfen auf und zur gezielten Blockade der Webseite
       des Flugunternehmens während der [5][Hauptversammlung der Lufthansa AG] am
       20. Juni 2001. Auch sie nutzte dafür das [6][Design der Lufthansa].
       
       ## Ziel ist die mediale Beachtung
       
       Das politische Potenzial von Onlinedemonstrationen liegt nicht immer in den
       konkreten Forderungen, die sie formulieren. Vielmehr speist es sich aus der
       oft überwältigenden medialen Beachtung, die sie generieren können.
       
       Dies belegt auch das „Hedonistische Institut für angewandte
       Populismusforschung“ in Hamburg. Als ironisierende [7][„Fleischliste“] trat
       die Gruppe um Jesko Gibs gegen die Einführung eines Veggie-Day an der
       Hamburger Universität an – ohne dass ein solcher tatsächlich geplant war.
       Mit populistischen Parolen wie „Wer in der Demokratie schläft, wacht in der
       Diktatur auf“ sollte erprobt werden, [8][wie schnell sich mediales
       Interesse im Netz provozieren lässt]. Zwei Stunden nach einer „offiziellen“
       Pressemitteilung via Facebook bat die Hamburger Morgenpost um ein
       Interview.
       
       Als „aggressiven Humanismus“ versteht [9][Philipp Ruch] die Aktionen des
       Zentrums für Politische Schönheit. Das ZPS sorgte mit der fingierten
       Hilfsaktion für syrische Kinder bei weitem nicht zum ersten Mal für
       Aufruhr. Zuletzt boten sie auf der Webseite [10][25000-euro.de] 25.000 Euro
       Belohnung für Hinweise, die zur Verurteilung der Betreiber des
       Rüstungsunternehmens Krauss-Maffei Wegmann dienlich seien. Hintergrund war
       der geplante Panzer-Deal zwischen Deutschland und Saudi Arabien. Ruch
       veröffentlichte Steckbriefe der Haupteigner, durchleuchtete deren
       Privatleben und trat Details daraus auf gefakten Blogs breit. Klar, dass
       dem ZPS irgendwann eine Unterlassungsklage ins Haus flatterte. Die
       Fragwürdigkeit des Panzer-Abkommens mit Saudi Arabien aber konnte die
       Aktion mehr als deutlich hervorheben.
       
       Die „Kindertransporthilfe des Bundes“ schlägt bislang ähnlich hohe Wellen.
       Es wäre wünschenswert, wenn damit der Druck auf die Politik hierzulande
       weiter steigen würde - und die Regierung aktiv wird.
       
       13 May 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.kindertransporthilfe-des-bundes.de/
   DIR [2] http://www.politicalbeauty.de/center/News.html
   DIR [3] http://www.noborder.org/archive/www.deportation-class.com/lh/
   DIR [4] http://www.kmii-koeln.de/
   DIR [5] http://www.noborder.org/archive/www.deportation-class.com/lh/kauptk.html
   DIR [6] http://www.rtmark.com/luft/
   DIR [7] http://www.facebook.com/Fleischliste
   DIR [8] /Hamburger-Hedonisten-enttarnen-sich/!135912/
   DIR [9] http://www.politicalbeauty.de/center/Vita_Ruch.html
   DIR [10] http://25000-euro.de/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Josef Wirnshofer
       
       ## TAGS
       
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