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       # taz.de -- Bascha Mika über neuen Chefposten: „Ich war auf Veränderung gepolt“
       
       > Bascha Mika über die „Frankfurter Rundschau“, den Sündenfall der Verleger
       > und das Problem der Zweiklassenredaktionen.
       
   IMG Bild: Bascha Mika an ihrem neuen Arbeitsplatz, der „Frankfurter Rundschau“.
       
       taz: Frau Mika, haben Sie heute früh schon die taz gelesen? 
       
       Bascha Mika: Warum die Kontrollfrage? Klar gehört die taz nach wie vor zu
       meiner täglichen Lektüre, sie ist keinesfalls aus meinem Blickfeld
       verschwunden. Das wäre auch fahrlässig, oder?
       
       Grob fahrlässig. Zuletzt haben Sie ein Buch über die Schweinereien
       geschrieben, die älteren Frauen widerfahren ? 
       
       … und bin nun die Gegenthese für mein eigenes Buch, weil ich mit
       zunehmendem Alter nicht unsichtbar wurde. Allerdings habe ich die
       „Mutprobe“ ja auch nicht über mich geschrieben, sondern über die Erfahrung
       unzähliger Frauen, in der zweiten Lebensphase gesellschaftlich abgewertet
       zu werden. Männer dürfen älter werden, Frauen werden alt gemacht!
       
       Was hat Sie als arrivierte Publizistin gereizt, Chefredakteurin der FR zu
       werden? 
       
       Drei Gründe. Als im vergangenen Sommer die vom Spiegel angestoßene Debatte
       über die Zukunft der Zeitung geführt wurde, beteiligten sich fast nur
       Männer. Ich war ziemlich sauer, wie gestandene Journalisten den Kern ihres
       Berufs systematisch kaputtreden. Es wurde einfach viel dummes Zeug
       gequatscht. Was ist denn unsere Aufgabe? Es geht um Journalismus, um
       Qualität und darum, wie Qualitätsjournalismus finanziert wird. Dabei reden
       wir hier über ein Kulturgut und dessen gesellschaftliche Funktion! Sich mit
       der FR in diese Debatte einschalten zu können, finde ich großartig.
       
       Der nächste Grund: Ich hatte immer ein emotionales Verhältnis zu dieser
       Zeitung. Als freie Journalistin habe ich dort meinen ersten Text
       veröffentlicht – auf einer ganzen Seite, für die ich damals lächerliche
       vier Wochen zum Schreiben brauchte. Außerdem war die Rundschau die erste
       Zeitung, die ich selbst gekauft habe. Sie war, als es die taz noch nicht
       gab, das einzige Blatt, das man als Linke aus Überzeugung lesen konnte.
       
       Und was war er dritte Grund? 
       
       Ein Verlustgefühl! Immer wenn in den vergangenen Jahren nachrichtlich der
       Bär tobte, habe ich die Arbeit in einer Redaktion vermisst. Dann wollte ich
       unbedingt Zeitung machen! Und im vergangenen Sommer dachte ich: Ende des
       Jahres bist du mit deinem neuen Buch fertig, Anfang 2014 wirst du 60, dann
       könnte eigentlich wieder was Neues kommen. Ich war biografisch auf
       Veränderung gepolt – und dann kam der Anruf.
       
       Wer hat denn angerufen? 
       
       Das verrate ich doch nicht!
       
       Machen Sie bei der FR mehr Zeitung als bei der taz … 
       
       … und weniger Management? Derzeit haben wir in der Chefredaktion keine
       Aufgabenteilung, Arnd Festerling und ich machen alles gemeinsam. Wie sich
       das einpendeln wird, muss sich noch herausstellen. Dabei geht es uns auch
       darum, die FR wieder stärker sichtbar zu machen. Denn viele Menschen, die
       Sympathien für die Rundschau haben, fragen sich, wo die Zeitung jetzt steht
       –nach Insolvenz und Übernahme durch die Frankfurter Sozietät und
       FAZIT-Stiftung.
       
       Wie ist denn die Stimmung im Hause? 
       
       Es riecht nach Aufbruch! Bis vor Kurzem ging es darum, sich zu
       konsolidieren und im neuen Verlag zurechtzufinden. Die entscheidende Frage
       war, wie man es hinbekommt, mit weniger Leuten eine gute Zeitung zu machen.
       Was immer bedeutet: Print und Online. Der Druck auf die Redaktion, ihre
       Leserinnen und Leser, Userinnen und User nicht zu enttäuschen, ist
       wahnsinnig groß. Zumal die FR sehr treue Anhänger hat.
       
       Für mich ist das, was die Kolleginnen und Kollegen hier geleistet haben,
       eine kleine Heldengeschichte. In den letzten zehn Jahren gab es immer
       wieder Sparrunden, die Zahl der Mitarbeiter wurde stetig kleiner. Das kann
       die Motivation und das Selbstverständnis einer Redaktion zerstören. Doch
       das Gegenteil ist der Fall. Schließlich geht es ja auch um eine Marke mit
       großer Tradition.
       
       Die Tradition ist also die Marke? 
       
       Nein, nicht nur. Aber bei der FR gehört zum Markenkern auch ihre Tradition
       – ähnlich übrigens wie bei der taz. Die Geschichte der Zeitung grundiert
       die journalistische und publizistische Haltung, sie verortet das Blatt auf
       dem Markt und in der Medienlandschaft. Wo kommen wir her und wo wollen wir
       hin?
       
       Die FR hat erstmals seit vielen Jahren wieder ein Plus im operativen
       Geschäft gemacht. Wird das Geld reinvestiert? Oder greift es der FAZ-Verlag
       doch ab? 
       
       Da fragen Sie am besten die Geschäftsführung. Für uns in der Redaktion ist
       das gute wirtschaftliche Ergebnis natürlich super und eine große
       Bestätigung. Als die FAZIT-Stiftung die FR gekauft hat, gab es in der
       Branche große Skepsis – die ich geteilt habe. Ich hatte keine wirkliche
       Vorstellung, wie es mit der FR weitergehen soll.
       
       Inzwischen ist die Redaktion davon überzeugt – und ich ebenfalls, sonst
       säße ich nicht hier –, dass dieser Verlag die Zeitung weiterentwickeln
       will, und zwar als linksliberales Blatt mit überregionalem Anspruch und
       starkem regionalen Standbein. Warum holt man mich sonst? Jeder weiß, dass
       ich keine Lokalfrau bin, und für Stillstand bin ich auch nicht zu haben.
       
       Gehört es auch zu Ihren Aufgaben, über Geld und darüber nachzudenken, wie
       man es verdienen kann? 
       
       Na klar, welche Chefredaktion macht das nicht? Es war der größte
       historische Sündenfall der Verleger, Qualitätsjournalismus im Internet
       umsonst anzubieten, da könnte man heute noch vor Wut in die Tischkante
       beißen. Seit einigen Jahren wird versucht, das Rad zurückzudrehen, das
       funktioniert aber eher schlecht. Dabei ist es bei gut gemachtem
       Journalismus doch völlig egal, wie und wo ich ihn konsumiere – er ist sein
       Geld wert!
       
       Diesen Anspruch durchzusetzen ist das Ziel. Die FR hat bei der mehrfach
       preisgekrönten Multimedia-App für das iPad vor über drei Jahren mit Paid
       Content begonnen. Der Weg wird in der ganzen Branche dahin gehen, Userinnen
       und User Stück für Stück auf den Geschmack zu bringen, für tolle Inhalte
       auch zu bezahlen.
       
       Die überregionalen Texte kommen zumeist von der
       Du-Mont-Redaktionsgemeinschaft, der sogenannten Rege, aus Berlin. Ist das
       für die „Vollredaktion“ der FR kein Problem? 
       
       Dass bei der sogenannten Rege auch ehemalige Kollegen von der FR arbeiten,
       macht es einfacher. Dabei wollen wir uns als Journalisten im Grunde ja
       lieber auf ureigene Redaktionen stützen. Aber wenn wir aus ökonomischen
       Gründen auf andere Modelle angewiesen sind, um eine umfangreiche
       überregionale Berichterstattung zu sichern, heißt das nicht gleichzeitig
       Qualitätsverlust.
       
       Hat die Zulieferung von Texten aus der „Rege“ nicht das inhaltliche Profil
       der FR fatal verwässert? 
       
       Natürlich hat die Marke FR in den vergangenen Jahren gelitten. Der ehemals
       gemeinsame Mantelteil mit der Berliner Zeitung hat der FR wahnsinnig
       geschadet, weil sie für ihre überregionalen Leserinnen und Leser nicht mehr
       richtig als Rundschau erkennbar war. Inzwischen haben wir ja wieder einen
       eigenen Mantel.
       
       Und wir nehmen nicht nur Einfluss auf die Angebote der „Rege“, sondern
       wählen aus und gewichten. Zudem werden ja zum überregionalen Teil auch
       Artikel hier aus dem Haus beigesteuert. Wir machen also das Beste aus der
       Situation – und versuchen, das genuine FR-Profil zu schärfen und unsere
       publizistische Kraft zu stärken.
       
       Wie soll das konkret geschehen? 
       
       Indem wir Print und Online gemeinsam denken, bei diesem Integrationsprozess
       sind wir bereits weit gekommen. Es geht um eigene Themensetzung und darum,
       Themen anders zu drehen. Hintergründe, Meinungen, Analysen, Kommentare
       machen deutlich, was Leser und User bei der FR finden und nirgendwo sonst.
       
       Es gibt inzwischen in der FR-Redaktion fast doppelt so viele Leiharbeiter
       wie normale Redakteure, die ein Drittel weniger verdienen. Diese Leute
       sprechen von „neoliberalen Methoden“. Ist das nicht ein Problem für die
       Stimmung in der Redaktion? 
       
       Ist doch klar, dass da Unmut herrscht. Die Teilung erschwert auch das
       gemeinsame, tägliche Zeitungmachen …
       
       Sie sind eine Linke – da trifft Sie der Vorwurf der „neoliberalen Methode“
       doch wohl besonders. 
       
       Was mich wundert: Im Zusammenhang mit der FR ist dieser Punkt immer Thema –
       dass eine Zweiklassenredaktion inzwischen aber in fast jeder Zeitung gang
       und gäbe ist, wird nicht erwähnt. Es ist ein Problem der gesamten Branche!
       Mir gefällt diese Trennung natürlich überhaupt nicht. Denn alle Kollegen
       hängen sich voll rein und identifizieren sich mit der Zeitung. Alle machen
       die Rundschau mit großer Leidenschaft – anders wäre eine gute FR auch kaum
       möglich.
       
       14 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Arno Frank
   DIR Timo Reuter
       
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