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       # taz.de -- Rechtspopulisten in Europa: Hier kommt die Antwort
       
       > Griechenlands linke Syriza formuliert eine Alternative zur brutalen
       > Sparlogik. Ihr Erfolg könnte die EU verändern. Doch dafür braucht es
       > Unterstützung.
       
   IMG Bild: Protest gegen die Sparpolitik in Athen Ende März.
       
       Entsetzt sind viele über die Erfolge, die rechten Parteien für die
       Europawahl vorausgesagt werden. Erfolge, die erst möglich wurden, seit die
       autoritär durchgesetzte Sparlogik für die Krisenländer greift. Warum dort
       noch viel auf Europa geben, wenn man als bescheidener Bürger dafür sozial
       bluten muss? Warum als Steuerzahler im Norden für Bankenrettungen bürgen,
       ohne dass ein tragfähiger Plan für den Aufschwung existiert? Dort, wo die
       Bindekraft der europäischen Erzählung von sozialer Sicherheit und
       Demokratie nachlässt, gedeihen nationaler Chauvinismus und rechtes
       Gedankengut.
       
       Die Lehre daraus? Vergesst die Rechte, schaut auf die Linke! Schaut auf
       Griechenland! Dort könnte die Austeritätspolitik an ihre Grenzen stoßen.
       Die Linkspartei Syriza und die gut organisierten sozialen Bewegungen im
       Widerstand haben gemeinsam die Kräfteverhältnisse in Griechenland weit nach
       links verschoben. Dahinter stecken jahrelange Kämpfe, eine klare Strategie
       und eine überzeugende Reformperspektive. Mit der müsste Syriza bei allen
       Gegnern der Austeritätspolitik und des Demokratieabbaus in Europa – auch in
       Teilen der Sozialdemokratie und bei den Gewerkschaften – eigentlich offene
       Türen einrennen.
       
       Anders als es das substanzlose Geschwätz behauptet, ist in Griechenland
       kein Wendepunkt in der Krise erreicht. Die Wirtschaft ist 2013 erneut um
       über 4 Prozentpunkte geschrumpft, die Arbeitslosigkeit unverändert bei rund
       28 Prozent. Die Krise frisst sich immer weiter in die Mittelschicht. Die
       ist seit Anfang 2014 auch damit konfrontiert, dass das Moratorium für
       Zwangsräumungen des ersten Wohnsitzes aufgehoben wurde.
       
       Laut Umfragen kann Syriza bei den Europa- und Kommunalwahlen im Mai
       stärkste Kraft werden. Die Partei, die schon bei den letzten
       Parlamentswahlen 2012 mit 27 Prozent nur knapp den Sieg verfehlte, hat
       wegen der sozialen Katastrophe für weite Teile der Mittelschicht den
       Schrecken verloren.
       
       ## Offene Konfrontation mit der Troika
       
       Doch auch nach einem Wahlsieg ist noch nicht gewiss, ob sich auch
       Parlamentsneuwahlen erzwingen ließen – oder wie diese ausgingen. Doch die
       Regierung wackelt: die konservative Nea Dimokratia und die einst mächtige
       sozialdemokratische Pasok, die laut Umfragen auf rund 6 Prozent der Stimmen
       geschrumpft ist, haben im Parlament nur noch einen hauchdünnen Vorsprung.
       Bei einer Wahlniederlage im Mai wäre die Regierung nicht mehr zu halten,
       fürchtet selbst das konservative Lager.
       
       Eine linke Regierung in Griechenland ist also längst nicht sicher. Doch
       käme sie, könnte sie eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse in Europa
       einläuten. In Griechenland nährt diese Aussicht keine naiven, linken
       Schwärmereien. Aber eines steht fest: Sollte Syriza an die Regierung
       kommen, wird sich die Partei mit Unterstützung eines Teils der Bevölkerung
       in eine offene Konfrontation zur Troika und zu der verheerenden Sparpolitik
       stellen. Darauf gilt es sich strategisch vorzubereiten.
       
       Es erfordert, Bündnisse mit der Linken in Griechenland zu knüpfen – und das
       Geschwätz von Syriza als „populistisch“ oder „extrem“ zurückzuweisen. Das,
       was aus Griechenland vorgeschlagen wird, ist eine wirtschaftlich tragfähige
       Reformperspektive für Europa, eine Politik für sozialen und ökologischen
       Wandel in dem südeuropäischen Land. Er basiert unter anderem auf einer
       Neuverhandlung der Schulden in einem paneuropäischen Dialog, auf konkreten
       Schritten zur Ankurbelung der Wirtschaft durch Investitionen sowie auf
       einer gerechten Steuerpolitik. Syriza steht dabei klar zum Euro. Und will,
       anders als die Regierung, ernsthaft den Staatsapparat demokratisieren und
       Klientelismus und Korruption bekämpfen.
       
       Aus Griechenland kommt ein Vorschlag, wie der neoliberale und autoritäre
       Konsens in ganz Europa geknackt werden könnte. So ein Bruch funktioniert
       nicht in einem Land allein und er fällt nicht vom Himmel. Er muss
       organisiert werden, er muss von Deutschland aus offensiv unterstützt
       werden.
       
       Sollte es dazu kommen, dass eine linke Mehrheit in Griechenland die
       Regierung stellt, öffnet sich für Europa ein window of opportunity. Der
       Ausgang ist offen. Doch das Fenster nicht zu nutzen oder es nicht einmal zu
       versuchen, wäre eine vorweggenommene Niederlage ohne Not.
       
       12 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Eva Völpel
       
       ## TAGS
       
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