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       # taz.de -- Fürsorgliche Freundschaften: Such dir doch 'ne eigene Familie!
       
       > Soziologen beobachten, dass Freunde immer mehr die Rolle von Verwandten
       > übernehmen. Aber wer zwingt sie zu bleiben, wenn es unangenehm wird?
       
   IMG Bild: Freundschaften als Konstante? Wäre schön
       
       Allan Karlsson ist hundert Jahre alt, trägt braune Lederpantoffeln, beige
       Hosen und dunkle Morgenmäntel und lebt in einem düsteren Zimmer im
       Altersheim. Alle seine Verwandten sind gestorben, Kinder hatte er nie.
       Eigentlich wartet er nur noch auf den Tod.
       
       Nur wenige Wochen später sitzt derselbe Allan Karlsson in einem Hotel auf
       Bali, gemeinsam mit Menschen, die er nach seinem Ausbruch aus dem
       Altersheim auf einer irren Odyssee durch Schweden um sich geschart hat. Ein
       Gelegenheitsdieb, ein Langzeitstudent und eine Frau, die zuvor alleine mit
       ihrem Elefanten auf einem abgelegenen Hof gewohnt hat. Einsame, die auf
       einer Flucht vor Rockerbanden und der Polizei zusammengewachsen sind. Zu
       einer Art Ersatzfamilie.
       
       Die Verfilmung des Erfolgsromans [1][„Der Hundertjährige, der aus dem
       Fenster stieg und verschwand“] läuft gerade in den deutschen Kinos. Eine
       absurde Geschichte, könnte man sagen, ein Märchen. Aber so ungewöhnlich die
       Kombo um Allan Karlsson erscheint, so alltäglich ist das Phänomen, dass sie
       verkörpert: Es ist nie zu spät, sich eine neue Familie zu suchen.
       
       Der Hamburger Sozialwissenschaftler Janosch Schobin hat untersucht, dass
       Freunde mehr und mehr Verantwortung füreinander übernehmen, auf eine Art,
       die lange Verwandten vorbehalten war. „Das Bild der fürsorglichen
       Freundschaft taucht als Hoffnungsträger auf“, schreibt er in seinem Buch
       „Freundschaft als Fürsorge“. Das liege an dem demografischen Wandel und der
       niedrigen Geburtenrate, genauso wie an der Veränderung tradioneller
       Lebensformen.
       
       ## Wichtiger als eine glückliche Partnerschaft
       
       In der Titelgeschichte „Wahlverwandtschaften“ in der [2][taz.am wochenende
       vom 10./11. Mai 2014] stellt die Autorin Susanne Lang die Frage, ob Freunde
       heute die bessere Familie sind. „Wenn Ehen geschieden werden und man den
       Arbeitsplatz alle paar Jahre wechselt, werden Freundschaften zur
       Konstante“, schreibt Lang. Das Problem dabei: Freunde seien einander zu
       nichts verpflichtet, im Gegensatz zu den Mitgliedern der klassischen
       Kernfamilie.
       
       Susanne Lang erkundet, wie viel moderne Freundschaften aushalten können und
       erzählt davon, was sie selbst erlebte, als sich die Geburt ihres zweiten
       Kindes um die Weihnachtszeit herum ankündigte. Weil die Omas und Opas in
       Süddeutschland leben und die Schwester verplant war, machten am Ende
       Freunde gemeinsam einen Notfallplan zur Betreuung der größeren Tochter für
       die Stunden im Kreißsaal.
       
       Doch wie passt das Ideal der fürsorglichen Freundschaft in die Zeit von
       Facebook und Whatsapp, eine Zeit, in der Pessimisten immer wieder das Ende
       der echten Freundschaft konstatieren? Einer Allensbach-Studie zufolge
       glauben 73 Prozent der Menschen nicht, dass Internetfreundschaften so
       tiefgehend sein können wie persönliche Freundschaften. Gleichzeitig ist es
       für die meisten Deutschen der wichtigste Wert im Leben, gute Freunde zu
       haben - zu diesem Ergebnis kommt die [3][Jacobs-Studie 2014 „Freunde fürs
       Leben“]. Erst danach folgen Familie, glückliche Partnerschaft und ein
       selbstbestimmtes Leben.
       
       Wie weit kommt man mit einem solchen Ideal von seelenverwandten Freunden,
       wenn es nicht um die Frage geht, welche Pferde man gemeinsam stiehlt,
       sondern darum, wer als Babysitter einspringen kann? Kann die
       Verbindlichkeit unter Freunden denen in einer Familie gleichen? Und gehen
       Sie mit der Autorin Susanne Lang konform, wenn sie über die Unsicherheit
       moderner Beziehungen schreibt: „Man kann immer wählen, darf sich allerdings
       niemals sicher sein, dass man auch gewählt wird“? 
       
       Diskutieren Sie mit!
       
       Die Titelgeschichte „Wahlverwandtschaften“ lesen Sie in der taz.am
       wochenende vom 10./11. Mai 2014.
       
       9 May 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.derhundertjaehrige-film.de
   DIR [2] /Ausgabe-vom-10/11-Mai-2014/!138165/
   DIR [3] http://www.jacobs-studie.de/studien-trendchecks
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ruth Asan
       
       ## TAGS
       
   DIR Familie
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   DIR Demografischer Wandel
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   DIR Schwerpunkt Meta
       
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