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       # taz.de -- Krise in der Ostukraine: „Wie in einem Irrenhaus“
       
       > Es gibt Anzeichen für eine Entspannung in der Ostukraine – und für eine
       > weitere Eskalation. Aber auch einige der Russland-Befürworter haben
       > Angst.
       
   IMG Bild: Sie unterstützen Russland – aber nicht bedingungslos.
       
       DONEZK taz | Das hätte es vor ein paar Tagen nicht gegeben: Gerade mal
       hundert Meter von der Bezirksverwaltung von Donezk entfernt weht eine
       ukrainische Fahne aus dem obersten Stockwerkes eines vierstöckigen Hauses –
       und noch mal hundert Meter entfernt patrollieren bewaffnete Aufständische
       in olivgrüner Uniform. Bisher hatten sich die bewaffneten Kämpfer der
       „Volksrepublik Donezk“ nur in den von ihnen besetzten Gebäuden aufgehalten.
       
       Die Signale ändern sich – aber die Machtverhältnisse sind nicht klarer
       geworden. Am Mittwoch hielten sich Anzeichen einer bevorstehenden
       Entspannung und einer weiteren Eskalation die Waage: Äußerungen des
       ukrainischen Präsidentschaftskandidaten Petro Poroschenko, der am Mittwoch
       ein landesweites Referendum im Falle seines Wahlsieges angekündigt hatte;
       die Freilassung einiger Aufständischer und ukrainischer Geheimdienstler am
       gleichen Tag; die Äußerung Wladimir Putins, die ukrainischen
       Präsidentschaftswahlen seien ein „Schritt in die richtige Richtung“; der
       Beschluss der russischen Staatsduma, keine Beobachter zum Referendum zu
       entsenden.
       
       All das hatte ein Gefühl von Entspannung geweckt. Die gleichzeitigen
       Ankündigungen von ranghohen Vertretern der Regierung in Kiew, man werde die
       „anti-terroristische Operation“ im Osten auf jeden Fall weiterführen und
       die Entschlossenheit der Aufständischen, auf keinen Fall die Waffen
       niederzulegen, ließen hingegen eine weitere Verschärfung befürchten.
       
       Die Menschen, die am Donnerstag vor der von den Separatisten besetzten
       Donezker Bezirksverwaltung standen, unterstützen die Entscheidung der
       „Volksrepublik“, das Referendum trotz Putins Bitte nicht zu verschieben.
       Doch in Gesprächen unter vier Augen überwiegt die Nachdenklichkeit. „Putin
       wird gute Gründe für seine Bitte gehabt haben. Sie war sicherlich ein Teil
       eines Deals, mit dem Blutvergießen verhindert werden sollte. Offensichtlich
       scheint sich die andere Seite nicht an ihre Abmachungen zu halten“ erklärt
       die Blumenverkäuferin Maria.
       
       Nun gelte es, das Referendum durchzuziehen. „Wir wollen Frieden, wir wollen
       nicht, dass die Zivilbevölkerung aus Panzern beschossen wird, Kiew will
       einen Bürgerkrieg“ sagt die 30-Jährige unter Tränen. „Bei mir in meiner
       Kleinstadt fühle ich mich inzwischen wie in einem Irrenhaus. Wir sind alle
       nervlich am Ende. Wir rechnen jederzeit mit einem Angriff. Ich bin
       geschockt. Als ob die hundert Toten der vergangenen Tage nicht schon genug
       gewesen sind“. Und ihre Freundin pflichtet ihr bei: „Morgen ist der 9. Mai,
       der Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus. Aber dieses Jahr gibt es
       nichts zu feiern. Morgen wird wieder geschossen werden, fürchte ich.“
       
       „Klar machen wir das Referendum. Wie sollen wir sonst verhindern, dass die
       Stiefel der Nato unseren Boden betreten“ fügt ein Maskierter hinzu. „Wir
       haben nicht umsonst gekämpft. Der Kampf geht weiter“, erklärt eine
       Rentnerin. Wochenlang hatte sie Bekannte, Freunde und Familie für das
       Referendum motiviert. „Jetzt brauchen wir erst recht ein gutes Ergebnis
       beim Referendum. Und dann werden wir Putin schon wieder umstimmen, uns mehr
       zu unterstützen.“ Und wenn man ein gutes Ergebnis erziele, lasse sich der
       Präsident vielleicht noch mal umstimmen. Putin habe nun mal gerne Gewinner
       als Bündnispartner.
       
       Auch in anderen Städten der Ostukraine will man am Referendum festhalten.
       „Wir arbeiten weiter am Referendum. Die Wahlboxen sind so weit fertig.
       Keine Frage, das Referendum ziehen wir durch“ erklärte der Bergarbeiter
       Jurij aus Enakiewo, der Heimatstadt von Viktor Janukowitsch gegenüber der
       taz. Ob eine Stimmabgabe auch in Slawjansk durchgeführt wird, scheint noch
       unklar. Während der Bürgermeister der belagerten Stadt, Wjatscheslaw
       Ponomarjow, gegenüber Journalisten erklärte, man halte an dem Referendum
       fest, berichtete die sozialistische Stadträtin Vera gegenüber der taz, der
       Meinungsbildungsprozess sei noch nicht abgeschlossen.
       
       8 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Bernhard Clasen
       
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