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       # taz.de -- Debatte Ukraine: Keine Angst um die Nato
       
       > Russland erhöht ständig seine Militärausgaben, Putin setzt fast nur auf
       > die Macht der Waffen. Muss der Westen jetzt aufrüsten? Keineswegs.
       
   IMG Bild: Probe für den Verteidigungsfall: Nato-Übung in Polen.
       
       Russland rüstet seit Jahren wesentlich stärker auf als die Europäische
       Union oder die USA, wo die Militäretats zuletzt sogar deutlich sanken.
       Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinen Streitkräften bis 2020
       weitreichende Reformen verordnet. Das jüngste Jahrbuch des Stockholmer
       Friedensforschungsinstituts Sipri verzeichnet: Moskaus Haushalt für
       Militärausgaben für die Jahre 2013 bis 2015 „sieht einen weiteren nominalen
       Anstieg von knapp über 40 Prozent bis 2015 vor“.
       
       Laut Sipri, dem in diesen Fragen führenden Institut, hat Russland seine
       Militärausgaben seit 2004 mehr als verdoppelt. Wie die russische Armee sich
       seit den 1990er Jahren verändert hat, ist zum Beispiel an den respektvoll
       geweiteten Augen von deutschen Marinesoldaten zu erkennen, die im Rahmen
       des Unifil-Mandats vor dem Libanon unterwegs sind: Wenn sie über die
       russischen Kriegsschiffe sprechen, die im östlichen Mittelmeer kreuzen,
       kommen Worte wie: „Da glänzt alles.“
       
       In der sich seit Februar verschärfenden Ukraine-Krise hat nicht nur
       Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen gesagt, angesichts Putins
       Verhalten müsse auch die Nato wieder ihre Rüstungsausgaben erhöhen.
       Rasmussen fordert seit Amtsantritt 2009 nichts anderes. Er wird auch bis
       zur Amtsübergabe an den moderaten Norweger Jens Stoltenberg im September
       nichts anderes mehr fordern, ganz egal, was in der Ukraine passiert.
       
       ## Die Sprache der Waffen
       
       Dass Putin die Sprache der Diplomatie nicht verstehen wolle, sondern nur
       die Sprache der Waffen, ist auch außerhalb der Kreise aktueller und
       potenzieller Rüstungslobbyisten ein verbreitete These. Bei einer
       Abendveranstaltung in Berlin mit vielen integren Bundeswehroffizieren
       lautete ein Bonmot: Putin habe in dem Konflikt mit Georgien 2008, dem
       Vorspiel zum jetzigen Desaster, „erst Ruhe gegeben, als die Amerikaner
       ihren Flugzeugträger im Schwarzen Meer aufkreuzen ließen“.
       
       Die Frage ist: Muss die Nato, muss speziell die EU deshalb wieder mehr Geld
       für Militär ausgeben? Nein. Um den Westen muss sich niemand Sorgen machen.
       Die Nato ist im Vergleich sehr gut gerüstet. Selbst wer militärische
       Abschreckung für das politische Mittel der Wahl hält, kann nicht behaupten,
       dass die Nato wehrlos sei.
       
       Insgesamt geben die USA mehr für Militär aus als alle folgenden neun Länder
       auf der Sipri-Top-Fifteen-Liste zusammen: 640 Milliarden Dollar. Russland
       liegt mit etwa 88 Milliarden Dollar im Jahr 2013 immerhin auf Rang drei
       hinter den USA und China, doch das ist weniger als nur zwei der ab Platz
       fünf folgenden europäischen Haushalte zusammen.
       
       Deutschlands Militärausgaben 2013 werden bei Sipri mit 49 Milliarden Dollar
       beziffert. Das Bundesfinanzministerium sieht für den deutschen Haushalt
       2014/2015 eine leichte Schrumpfung des Verteidigungsetats von umgerechnet
       knapp 45,5 auf 44,8 Milliarden Dollar vor. Ganz genau können solche
       internationalen Vergleiche nie sein – allein die Einberechnung von
       Pensionsansprüchen bereitet offenbar Verzerrungen.
       
       ## Keine Knete für die Machete
       
       Dass in der Nato beim Thema Rüstungsausgaben alle auf Deutschland zeigen,
       hat eine gewisse Logik: Es wird als Provokation empfunden, dass der
       ökonomische Riese in der Mitte Europas noch nicht einmal Geld für die
       Gerätschaften hinlegen will, die er doch selbst so erfolgreich exportiert.
       Hier aber hilft die Erinnerung daran, dass Deutschland aus anerkannten
       Gründen keine Nuklearmacht ist und so die aufwendige Pflege von
       Atomwaffenarsenalen hier nicht zu Buche schlägt.
       
       Der Skandal um den Euro Hawk 2013 – die Aufklärungsdrohne, die einfach
       nicht fliegen wollte – ließ vermuten, dass hierzulande kaum etwas anständig
       funktioniert, selbst wenn es teuer ist. Die Blamage im Libyen-Einsatz 2011,
       als die Briten und Franzosen die Amerikaner nach kürzester Zeit um Munition
       bitten mussten, galt vielen als Beweis, dass in der Nato nur die USA
       wirklich kampftauglich sind.
       
       Erstens aber sind technische und organisatorische Probleme auch dem
       russischen Rüstungssektor nicht fremd. Das ehrgeizige Aufrüstungsprogramm
       bis 2020 ist auch von russischen Militärexperten als kaum durchführbar
       bezeichnet worden.
       
       ## Wofür die Nato da ist
       
       Was die Unterstützung unter Verbündeten betrifft: Dafür ist die Nato da.
       Sollte Wladimir Putin tatsächlich auf die irre Idee kommen und nach der
       Krim auch ein Stück von Polen oder Litauen abschneiden wollen, gilt der
       Bündnisfall. Und dann ist es egal, ob die Munition aus Frankreich oder den
       USA kommt. Sie wird kommen.
       
       Die Vermutung, Putin werde tatsächlich ein Nato-Land angreifen, erscheint
       abwegig und kaum diskutabel. Jede Abschreckungsdoktrin aber fußt auf einer
       Berechnung, wie wahrscheinlich ein Angriff ist, darum ist die
       Auseinandersetzung darüber wichtig. Die Forschung produziert frustrierend
       wenige Erkenntnisse darüber, wie sich Kriege vermeiden lassen. Das treibt
       auch alle Außen- und VerteidigungspolitikerInnen stets zur Verzweiflung:
       Empirie klappt nicht. Immer wenn man glaubt, es gäbe Lehren aus einem Krieg
       zu ziehen, bahnt sich der nächste, ganz andere an – und wieder gibt es
       keine schnelle Lösung.
       
       Es gibt aber die plausible These, dass auch ein Teilzeitdemokrat wie Putin
       nicht ohne Zustimmung der oberen Zehntausend in seinem Land auskommt. Diese
       haben mit einem Krieg gegen die Nato nichts zu gewinnen, sondern alles zu
       verlieren. Russlands Oligarchen verkaufen Öl und Gas; sie wollen nicht,
       dass der Westen seine Energieversorgung von ihnen abkoppelt. Russlands
       Ökonomie besteht aus wenig anderem, und selbst aus dem Energiesektor gibt
       es die Nachricht, dass die Förderanlagen aus sowjetischen Zeiten stammen
       und dringend saniert werden müssten.
       
       Hinzu kommt: Der globale Kapitalismus hat sich in 100 Jahren eben doch
       stark verändert. Die Reichsten der Reichen machen ihr Geld weltweit nicht
       mit Waffenproduktion und Ausbeutung neuer Kolonien, sondern schicken ihre
       Vermögen spekulativ um den Erdball. Das hat Auswirkungen, wie spätestens
       seit der Finanzkrise bekannt. Immerhin aber können diese Leute keinen Krieg
       gebrauchen. Deshalb braucht ihn auch niemand herbeizureden.
       
       9 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ulrike Winkelmann
       
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