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       # taz.de -- Ex-Attac-Aktivist über Montagsdemos: „Warum sollte ich pfeifen?“
       
       > Attac warnt vor den Montagsdemos. Mit Pedram Shahyar wird nun ein früher
       > führender Aktivist in Berlin dort sprechen – und hofft auf linken Zulauf.
       
   IMG Bild: Teilnehmer bei einer Montagsdemonstration in Berlin.
       
       taz: Herr Shahyar, woran denken Sie, wenn Sie Kondensstreifen am Himmel
       sehen? 
       
       Pedram Shahyar: Das sind die Abgase von Flugzeugturbinen.
       
       Bei den neuen Montagsdemos – auf einer davon wollen Sie heute in Berlin
       sprechen – treten auch sogenannte Chemtrailer als Redner auf. Die glauben,
       die Kondensstreifen seien etwas, womit die Regierung der Bevölkerung
       schaden wolle, und das werde uns verheimlicht. Wie verrückt sind die
       Demonstrationen? 
       
       Ich finde die Frage tendenziös. Man kann eine soziale Bewegung nicht auf
       einzelne Verschwörungstheorien reduzieren. Die montäglichen Mahnwachen
       haben ein ganz klares friedenspolitisches Profil, Auslöser war der Konflikt
       in der Ukraine.
       
       Einer der Hauptredner in Berlin ist der frühere RBB-Moderator Ken Jebsen,
       der nicht nur einen Hang zu obsessiver Israelkritik, sondern auch zu
       Verschwörungstheorien hat. Jebsens Rede bei den Montagsdemos sei „astrein“
       gewesen, schreiben Sie im Freitag. Auf seiner Rede am 14. April sagt er:
       „Amerikanische Special Forces agieren in der Ukraine, um einen Bürgerkrieg
       zu generieren, damit endlich die Nato zuschlagen kann.“ Teilen Sie diese
       Ansicht? 
       
       Ich kann nicht sagen, ob das stimmt, ich habe dazu nicht recherchiert. Ich
       weiß aber, dass einen Tag vor der ersten Offensive der ukrainischen Armee
       in der Ostukraine der CIA-Chef in Kiew war.
       
       „Die Massenmedien versuchen, die Menschen auf einen Krieg vorzubereiten“,
       sagt Jebsen. 
       
       Das ist absolut richtig. Die Berichterstattung über die Ukraine in den
       deutschen Medien ist sehr einseitig. Das geben inzwischen auch viele
       Journalisten zu.
       
       Die These, dass die Massenmedien die Wahrheit verschweigen, ist ein
       essenzieller Bestandteil aller Verschwörungstheorien – und sie wird auch
       von der neuen Rechten vertreten, siehe etwa Thilo Sarrazin. Und nun kommen
       alle diese Verwirrten ebenso wie die Neurechten bis hin zu Sarrazin-Fan
       Jürgen Elsässer zu den Montagsdemos, um ihre kruden Thesen kundzutun. 
       
       Ich verteidige nicht alles, was dort gesagt wird. Ich wehre mich aber gegen
       eine pauschale Kritik an den Teilnehmern, weil sie mehrheitlich aus
       demselben Spektrum kommen, wie das auch bei den Occupy-Demos war.
       
       Wenn das richtig wäre, bleibt die Frage: Warum pfeifen sie Leute wie Jebsen
       und Elsässer nicht aus? 
       
       Es gab an Jebsen nichts auszupfeifen.
       
       Jebsen sagte auch: „Obama weiß ganz genau: Wenn er nicht aufpasst, endet er
       wie Kennedy, deswegen sagt er das, was er sagt, oder er schweigt.“ 
       
       Das ist eine verschwörungstheoretische Figur. Aber können Sie belegen, dass
       das nicht stimmt? Warum soll ich da pfeifen?
       
       Weil es kompletter Unsinn ist. 
       
       Vielleicht. Das ist aber gar nicht der entscheidende Punkt. Bei Elsässers
       Rede – der ist ja nicht dumm, er ist gefährlich – gab es nur eine Stelle,
       die anschlussfähig nach rechts war. Die hat er dann aber gleich im nächsten
       Satz relativiert. Wenn man Elsässer nicht kennt und nicht weiß, dass seine
       Zeitschrift Compact „Sarrazin for President“ ruft, muss man nicht pfeifen.
       Zu behaupten, die Mahnwachen hätten einen rassistischen, nationalen
       Charakter, greift zu kurz und ist faktisch falsch.
       
       Aber die Frage ist: Kann man mit dieser Bewegung von Verwirrten gemeinsam
       Politik machen? 
       
       In dieser Frage ist ein zynischer Gestus drin.
       
       Wo ist da der Zynismus? 
       
       Zu behaupten, Leute seien verwirrt, setzt einen anmaßenden
       Wahrheitsanspruch voraus. Ich habe ethische Grundsätze und politische
       Prinzipien, aber keinen absoluten Wahrheitsanspruch und gehe offen in jedes
       Gespräch.
       
       Sie selbst schreiben im Freitag über die Teilnehmer: „Viel Esoterisches
       liegt in der Luft, aber auch die Erzählung von ,Truthern‘, die
       satanistische Verschwörungen an den zentralen Machtstellen zu enttarnen
       wissen.“ Noch mal: Kann man mit denen Politik machen? 
       
       Natürlich. Das sind die Leute, die jetzt auf der Straße sind und gegen den
       Krieg demonstrieren. Genau diese „Truther“ haben auf den Kundgebungen
       Rassismus verurteilt. Die sind mir näher als zynische Redakteure. Die
       Medien und auch die taz haben den Anschluss an Milieus verloren, die heute
       von allen Formen der politischen Repräsentation losgelöst sind. In
       Deutschland sind wir an eine verwaltete Kultur des Politischen gewöhnt, und
       deswegen können die Akteure aus den Kulturen der verwalteten Politik mit
       diesen Milieus nichts mehr anfangen.
       
       Ist auf den Demos nicht eher der außerparlamentarische Flügel der AfD
       unterwegs? 
       
       Nein. Dort gibt es eine neue, antagonistische Subjektivität. Auch Occupy
       hatte viel Spiritualität, viele Verschwörungstheorien. Wo kommen solche
       Theorien her? Sie sind Ausdruck davon, dass die äußere Wirklichkeit einem
       nicht mehr als bändigbar erscheint – um dann zu sagen: Was uns präsentiert
       wird, stimmt nicht, wir wollen die Zusammenhänge verstehen. Und dann machen
       es sich manche zu einfach, wenn sie Quellen nachgehen, die von den
       Illuminaten und Ähnlichem erzählen. Mit den Montagsdemos heute ist es so
       ähnlich wie mit den Hartz-IV-Demos 2004. Die starteten auch außerhalb der
       klassischen linken Organisationen und Gruppen. Dass dann Linke die
       Hartz-IV-Demos unterstützt haben, war entscheidend für ihren Charakter.
       Solche linken Netzwerke waren auch jetzt von Anfang an in der Bewegung –
       und ich hoffe, sie werden stärker.
       
       Im letzten Jahr haben Sie die Tamarod-Bewegung in Ägypten unterstützt.
       Resultat sind heute eine Militärregierung und mehr als tausend Todesurteile
       über die Muslimbrüder. Kann man immer wieder mit Naivität an Bewegungen
       herangehen? 
       
       Bewegungen können immer schiefgehen. Aber es sind die Naiven, die etwas
       angestoßen haben, und nicht die zynischen Kommentatoren. Als Rosa Parks zur
       Zeit der Rassentrennung in den USA im Bus saß und nicht aufstand, war das
       ein naiver Akt. Auch verschwurbelte Gedanken gehören zu jeder Bewegung
       dazu. Als Linker muss man sich dem aussetzen – und nicht das Feld räumen,
       wenn einem Elemente in einer Bewegung nicht gefallen.
       
       5 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Martin Reeh
       
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