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       # taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Schuld sind nicht nur die anderen
       
       > Filterkaffee im Lotto-Laden – oder Milchkaffee mit Schaum im Café? Unsere
       > Autorin ist nach Neukölln gezogen - und empfindet sich als Teil der
       > Gentrifizierung.
       
   IMG Bild: Wo Schaum den Kaffee krönt, ist die Mieterhöhung nicht weit
       
       Wenn ich aus meiner Haustür trete, sehe ich es sofort. „Zu verkaufen“
       prangt in grünen Lettern auf dem überdimensionalen Plakat. Es verdeckt die
       Fenster der zweiten und dritten Etage des Hauses gegenüber. Anscheinend
       stehen die Wohnungen schon leer. In meinem Magen zieht sich etwas zusammen.
       
       Bis vor ein paar Jahren donnerten hier noch regelmäßig die Flugzeuge dicht
       über die Häuser, verdunkelten mit ihren Tragflächen den Himmel. Jetzt aber
       ist der Flughafen Tempelhof ein Naherholungsgebiet mit Urban Gardening und
       Biergarten. Jetzt ist die Okerstraße direkt daneben begehrtes Wohngebiet.
       
       ## Viel hat sich verändert
       
       Ich gehe hinaus und in den Toto-Lotto-Laden nebenan. Heute arbeitet Doreen.
       Wir kennen uns, sie grüßt mich, reicht mir einen Filterkaffee mit
       Kondensmilch über die Theke und plaudert munter drauf los. Ich frage sie,
       ob ihr das Plakat gegenüber schon aufgefallen ist. Klar. Das bedeute nichts
       Gutes, sagt Doreen. „Die Mieten sind schon genug gestiegen hier.“ Der
       Toto-Lotto-Laden ist voll, wie fast immer. Hier trifft man sich auf ein
       Bier oder einen Kaffee. „Es hat sich viel verändert“, sagt Doreen. Mehr
       Studenten seien jetzt hier. Doreen steht schon seit sechs Stunden hinter
       der Theke, ich bin gerade erst aufgestanden. Sie wohnt seit 15 Jahren hier,
       ich seit einem Jahr.
       
       Diese Studenten, damit meint sie auch mich, 29, Volontärin an einer
       Journalistenschule. Das schlechte Gewissen schickt eine weitere Botschaft
       an meinen Bauch. Klar, meine WG zahlt mehr als alle anderen in unserem
       Haus. Macht mich das automatisch zur Gentrifiziererin?
       
       Wir sind wahrscheinlich die Partei mit dem bildungsbürgerlichsten und
       deutschesten Hintergrund im Haus. Unsere Nachbarin konnte nicht glauben,
       dass wir jeder ein eigenes Zimmer haben. Aber ist nicht soziale
       Durchmischung auch gut?
       
       Kurz nachdem ich nach Berlin gezogen war, kam mich mein Freund Jonas aus
       Heidelberg besuchen. Abends führte ich ihn in eine Bar um die Ecke. Wie
       angewurzelt blieb Jonas vor der Tür stehen. „In diese Yuppie-Kneipe willst
       du rein?“, fragte er empört. Er kannte den Namen der Bar schon von der
       linken Nachrichtenseite Indymedia. Offensichtlich hatte mein Lieblingscafé
       bis nach Heidelberg zweifelhafte Berühmtheit erlangt. „Wusstest du nicht,
       dass hier vorher eine alteingesessene Bäckerei drin war?“, fragte er. Die
       Besitzer der Bar hätte den Vermietern angeboten, fast die doppelte Miete zu
       zahlen, klärte mich Jonas auf. So musste die Bäckerei weichen. Das wusste
       ich nicht. Auch nicht, dass das, was ich für Kunst hielt, Farbbomben der
       Gentrifizierungsgegner waren.
       
       Ich mag diese Bar. Ich mag die vielen Kerzen und die Weinkisten an den
       Wänden. Aber dass mein Verhalten etwas mit der Gentrifizierung zu tun hat,
       konnte ich ab sofort nicht mehr leugnen.
       
       Wenn die Mieten weiter so steigen, muss auch ich irgendwann Neukölln
       verlassen. Aber ich bin flexibel, dann ziehe ich einfach nach Marzahn. Das
       kann nicht jeder. Während ich im grellen Gelb des Toto-Lotto-Ladens meinen
       Kondensmilchfilterkaffee trinke, denke ich, wie diese noch nicht entdeckten
       Stadtteile unberührt und authentisch auf mich warten. Das hat irgendwie
       etwas Koloniales.
       
       Ich lasse den letzten Schluck Kaffee übrig, schmeiße den Pappbecher in den
       Plastikmülleimer eines großen Eiskonzerns, hänge mir den Jutesack mit
       meinem Laptop über die Schulter und mache mich auf den Weg in eines dieser
       neuen hippen Cafés.
       
       Auf den Tischen liegen rot-weiß-karierte Tischdecken. Die Sessel sind so
       was wie antik, auf jeden Fall alt, und verströmen den Charme des scheinbar
       Zusammengewürfelten. Ich bestelle einen Milchkaffee. Der Schaum ist fest,
       dazu gibt es zwei in Schokolade gehüllte Kaffeebohnen. Wenn ich ehrlich
       bin, habe ich mich während des Filterkaffees schon hierauf gefreut. Die
       Tische sind voll besetzt. Die meisten sind allein hier, aber in
       Gesellschaft ihres Laptops.
       
       Das sind die neuen Räume, die sich anstelle von Toto-Lotto-Läden und
       Eckkneipen breitmachen. Dort, wo sich früher Menschen getroffen haben,
       hauen jetzt Einzelkämpfer in ihre Tasten. Individualismus verdrängt
       Gemeinschaft.
       
       Wieso habe ich mich eigentlich für Neukölln entschieden, als ich vor einem
       Jahr nach Berlin zog? Ich habe auch im Wedding geschaut, aber Kreuzberg,
       Friedrichshain, Prenzlauer Berg haben mich nicht interessiert. Dort schien
       es mir erwartbar, bürgerlich. Ich wollte etwas Spannendes.
       
       Bevor ich nach Berlin kam, habe ich erst in Heidelberg gewohnt, das war mir
       zu perfekt. Dann zog ich nach Leipzig, das war mir zu deutsch. Neukölln
       scheint mir realer. Bunt. Lebendig. Ich gehe gerne in den türkischen
       Supermarkt, ich mag, dass sich die Menschen auf der Straße grüßen. Dass man
       schnell ins Gespräch kommt. Aber wieso gehe ich dann nicht häufiger in die
       alteingesessene Eckkneipe? Klar, mache ich auch schon mal, aber ich fühle
       mich dort fehl am Platz. Ist mir das dann zu viel Realität?
       
       Während ich mein Biovollkorntoast mit Paprika-Cashew-Aufstrich bestreiche,
       klappe ich meinen Laptop auf. Er präsentiert stolz seinen leuchtenden
       Apfel. Ich gebe „Schillerkiez“ in das Suchfenster meines Browsers ein. Die
       Suchmaschine bietet mir an „Schillerkiez Wohnung kaufen“. Die
       Renditeerwartungen sind famos, lese ich.
       
       Man sollte das Tempelhofer Feld restlos bebauen! Mit
       Genossenschaftswohnungen. Damit alle Renditeträume zerplatzen. Damit all
       die Menschen nach Neukölln zurückkehren können, die wegen den steigenden
       Mieten wegziehen mussten.
       
       Ich bin keine Spekulantin, ich schlage kein Kapital aus der
       soziokulturellen Veränderung von Stadtteilen. Aber solange es keine
       gesetzlichen Schranken gibt, bin auch ich schuld an den Mieterhöhungen und
       Zwangsräumungen.
       
       Weil ich, das studierte Mittelschichtskind, in prekären, aber selbst
       verwirklichenden Arbeitsverhältnissen 100 Euro mehr für mein Zimmer zahlen
       kann als meine Nachbarn. Weil ich meinen Kaffee und meinen Wein in Bars
       trinke, die mehr Miete zahlen können als der Toto-Lotto-Laden, dessen
       Kaffee nur 60 Cent kostet. Ich übernehme die Aufwertungsarbeit für die
       Spekulanten – ich bin der Motor ihrer Geldvermehrungsmaschinerie.
       
       5 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Nina Bust-Bartels
       
       ## TAGS
       
   DIR Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
       
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