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       # taz.de -- ESC-Kolumne #Queerjungfrauen II: Conchita Wurst setzt neue Standards
       
       > Im Vorfeld des ESC kann Dänemark als Hort der Toleranz glänzen. Und
       > bietet so die perfekte Kulisse für den Auftritt von Frau Wurst aus
       > Österreich.
       
   IMG Bild: Conchita Wurst will Österreich beim ESC ganz nach vorne bringen.
       
       Es ist nicht so, dass im diesjänrigen Gastgeberland die bürgerrechtliche
       Gleichberechtigung wie ein Weltgeist vom nordischen Himmel geweht wäre. Es
       standen – wie in allen Ländern – beinharte Kämpfe dahinter, ehe in Dänemark
       schwule und lesbische Paare sich verpartnern durften und inzwischen
       verheiraten können. Und weil der Eurovision Song Contest, was schwule
       Städtetouristen anbetrifft, ein Faktor ist, den keine Marketingstelle in
       Kopenhagen übersehen sollte, wird es während der Tage des ESC in Kopenhagen
       eine Heiratsmöglichkeit mitten in der Hauptschlagader des Catwalks, der
       Fußgängerzone vom Rathaus bis zum Kongens Nytorv, geben.
       
       Dänemark, so verlautete aus Kreisen von Danmarks Radio, ist sich der Rolle
       als Motor von Freisinn und Respekt in Europa sehr wohl bewusst – zumal in
       Zeiten, da es im eurovisionären Europa Länder gibt, die auf diese Toleranz
       einen Scheißdreck geben. Russland eben. Dort machte das TV-Raumschiff 2009
       fest. In Moskau, genauer gesagt. Der Bürgermeister der Stadt, Juri
       Michailowitsch Luschkow, besaß damals, was diplomatische Gepflogenheiten
       anbetrifft, den Mut, den Begrüßungsempfang für dreieinhalb Dutzend
       ESC-Delegationen in einem prunkvollen Reitstall aus Zarenzeiten abzusagen –
       er möge nicht mit einem Ereignis in Berührung kommen, das als schwul gelte.
       
       Nun, da ist Kopenhagen ganz anders. Hochzeitsinszenierungen der
       öffentlichen Sorte, sogar mitten in der Fußgängerzone – da ist man am
       Öresund ziemlich stolz drauf: Rechtlich gesehen könnten sogar zwei Menschen
       mit deutschen Pässen sich dort trauen lassen. Gültig wären die Dokumente,
       wenngleich in der Bundesrepublik lediglich nach den Standards des
       Lebenspartnerschaftsgesetz, was ja immer noch eine Art Zweitrangigkeit
       schon namentlich atmet.
       
       Man könnte sagen, dass wie in Schweden auch in Dänemark Fragen irgendeines
       indiskret gesinnten Outings grundsätzlich falsch gestellt sind. Wer etwa
       bei Einstellungsgesprächen nicht aufrichtig über den Familienstand Auskunft
       gibt, hetero oder homo, gilt als unoffen und verdruckst. Gar nicht gut!
       Outing ist als Übung des Petzens oder Nachsagens aus der Mode. Beim ESC
       geht alle dänische Welt ohnehin davon aus, dass die meisten Journalisten
       und Fans und Funktionäre zu jener Szene zählen, die man in Deutschland als
       zum „anderen Ufer“ gehörig zählte. Aber macht das was? Man hofft auf
       Toleranz in allseitigem Sinne.
       
       ## Wackelfreies Posieren
       
       Wobei die Österreicherin Conchita Wurst, was die Kunst des souveränen
       Performens angeht, auch auf dänischem Boden neue Standards setzt. Tom
       Neuwirth aus dem schönen Bad Mitterndorf stöckelte am Tag der Arbeit auf
       den highsten Heels seit Nina Zilli 2012 in Baku auf dem abschüssigen,
       kopfsteinpflastrigen Saum zum Meer hinunter, um sich vor der Meerjungfrau
       fotografieren zu lassen. Man muss sagen, aus sehr direkter Nähe beobachtet:
       Das gelang außerordentlich aufrecht und wackelfrei. Conchita Wurst, die
       allen Ausflugsbooten zuwinkte und sehr viele Winker zurückerhielt, sagte,
       dass ihre Vorstellung ein Spiel sein, ein ernstes Spiel, das sich nicht
       ironisch verstehen lässt: Sie sei ein Mann, der sich als Frau aufbrezelt
       und keineswegs mit einer Dana International verwechselt werden möchte.
       
       Nein, so die Wurst, sie huldige der Frau und den schillernden Chancen, die
       in Geschlechterrollen und ihren Übertretungen liegen, und genieße jede
       Sekunde in Kopenhagen. Heiratspläne habe sie, hört man aus ihrer Entourage,
       nicht. Was nicht heißt, dass sie die Ehe ablehnt, gibt sie zu verstehen.
       Aber alles habe seine Zeit – und jetzt ist es die für den ESC, wo sie ja
       mit dem Lied „Rise Like A Phoenix“ antritt und hofft, für Österreich das
       beste Resultat seit Thomas Forstners fünftem Platz 1989 zu erzielen.
       
       Österreichs Botschafter jedenfalls ist beglückt, „ein solches Zeichen der
       Toleranz“ aus Österreich zum ESC zu schicken. Er sagt das öfter und, wäre
       doch bloß eine Kamera dabei gewesen, man glaubt es ihm sehr, dass ihm diese
       Performerin genau in dieser Perspektive die liebste ist. Der Mann der
       Diplomatie gibt seine Zustimmung, denn er hat die Delegation um Conchita
       Wurst ja eigeninitiativ eingeladen, er wollte sie in seiner Residenz zu
       Gast haben: Das darf man gut finden.
       
       3 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Feddersen
       
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