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       # taz.de -- Drei Jahre FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Im Dschungel der Beweismittel
       
       > Der Prozess gegen die beiden ruandischen FDLR-Milizenführer in Stuttgart
       > geht in sein viertes Jahr. Eine Zwischenbilanz.
       
   IMG Bild: Im FDLR-Gebiet im Kongo sehen die Dinge klarer aus als im deutschen Gerichtssaal.
       
       STUTTGART taz | Es ist der 227. Verhandlungstag. 227 Mal sind die beiden
       Angeklagten, Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, in Handschellen in
       den Gerichtssaal Nummer sechs des Oberlandesgerichts Stuttgart geführt
       worden. 227 Mal haben die beiden Angeklagten, ihre Strafverteidiger und die
       Bundesstaatsanwälte in dem schlichten Saal Platz genommen. Zum 227. Mal
       eröffnet der Vorsitzende Richter Wolfgang Hettich an diesem verregneten
       Mittwoch die Verhandlung in Deutschlands erstem Kriegsverbrecherprozess
       unter dem Völkerstrafgesetzbuch. Jetzt geht der Prozess in sein viertes
       Jahr.
       
       Diese Woche fiel der aus Ruanda anreisende Zeuge aus, ein ehemaliger
       FDLR-Offizier, der mittlerweile in der ruandischen Armee dient. Er sei
       nicht abkömmlich, das Verteidigungsministerium Ruandas habe ihm keine
       Reiseerlaubnis erteilt, heißt es als Begründung. Dass Zeugen ausfallen,
       passiert jüngst immer öfter. Richter Hettich muss dann kurzfristig
       umplanen. Stattdessen werden also Telefonmitschnitte abgehört – eine zähe
       Prozedur.
       
       Wort für Wort wird jeder Satz akribisch übersetzt. Um jede Bedeutung wird
       gefeilscht. Nach wenigen Stunden dösen drei der sechs Richter in ihren
       Ledersesseln. Nach nunmehr drei Jahren hat sich Routine eingeschlichen.
       Lediglich die Sicherheitskontrollen am Eingang des Sitzungssaals erinnern
       noch daran, dass es sich hier um einen Terrorprozess handelt.
       
       Die beiden in Deutschland mit Asylstatus lebenden Ruander Murwanashyaka und
       Musoni sind angeklagt, als politische Anführer der ruandischen Hutu-Miliz
       FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) für von der Miliz im
       Ostkongo begangene Verbrechen verantwortlich zu sein. Sie seien
       „Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung“, so die Anklage. Nach dem
       Völkerstrafgesetzbuch können in Deutschland jetzt auch Verbrechen
       verurteilt werden, die nicht in Deutschland selbst begangen wurden – dieser
       Prozess ist ein Präzedenzfall.
       
       ## Ein aufwendiges Verfahren
       
       Von vornherein war klar: Dies wird ein aufwendiges Verfahren. In drei
       Jahren wurden Dutzende Kongo- und Ruanda-Experten gehört, UN-Ermittler und
       Vertreter von Menschenrechtsorganisationen befragt. Mehrere Dutzend
       Ex-FDLR-Kämpfer und Offiziere, die sich bereits ergeben haben und in ihre
       Heimat Ruanda zurückgekehrt sind, wurden nach Stuttgart geflogen und als
       Zeugen verhört. Knapp ein Dutzend kongolesische Opfer sagten per
       Videoübertragung aus, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie berichteten
       unter Tränen und psychischer Anstrengung von ihren Erlebnissen. An
       schauerlichen Schilderungen mangelt es in diesem Verfahren nicht.
       
       Dennoch hat das Interesse der Öffentlichkeit erschreckend nachgelassen. Als
       das Verfahren am 4. Mai 2011 losging, füllten Scharen von Journalisten den
       Zuschauerbereich im Sitzungssaal. Schulklassen besuchten die Verhandlung,
       Jurastudenten reisten an, sogar Aktivisten von Stuttgart-21 schauten
       vorbei. Doch heute ist der Zuschauerbereich bis auf ein oder zwei
       Prozessbeobachter regelmäßig leer. Kaum eine Zeitung oder Sender berichtet
       noch, was da eigentlich vor sich geht. Jetzt schleppt sich das Verfahren
       ins vierte Jahr. Und es ist kein Ende in Sicht.
       
       In Düsseldorf begann Ende 2013 ein Verfahren gegen drei weitere Ruander, in
       Deutschland lebende FDLR-Sympathisanten. Sie werden beschuldigt,
       FDLR-Mitglieder zu sein, Geld für den Krieg gezahlt zu haben. Die
       Düsseldorfer Richter werden wohl früher zum Urteil kommen als die in
       Stuttgart.
       
       ## Endlos viele Details
       
       Die Beweisführung in Stuttgart hat sich in endlos vielen Details
       verzettelt, so scheint es. Mittlerweile ist ersichtlich: Eindeutige,
       unbestreitbare Beweise, dass Murwanashyaka und Musoni militärische Befehle
       für Massaker in den Dschungel gefunkt haben, gibt es wohl nicht. Doch die
       Angeklagten sind auch keine unwissenden Sündenböcke. Ihre mutmaßliche
       „Kommandoverantwortlichkeit“ für Verbrechen der FDLR liegt irgendwo
       dazwischen – ist Auslegungssache.
       
       Hunderte Telefonmitschnitte, abgefangene SMS und Emails wurden verlesen,
       auch an diesem 227. Verhandlungstag. In mühsamer Kleinstarbeit müht sich
       das Gericht, die Facetten des Kongokrieges und das Innenleben einer Miliz
       zusammenzupuzzeln. Die Verhandlung verliert sich in spannenden, aber nicht
       wirklich relevanten Kleinigkeiten. Ein Exkämpfer muss berichten, wie genau
       der Stromgenerator funktioniert, den die Miliz im Dschungel benutzt.
       
       Richter Hettich wirkt dabei wie ein orientierungsloser Kapitän auf hoher
       See. Verteidigung und Staatsanwälte bekriegen sich vor ihm routinemäßig mit
       wüsten Worten. Beide Seiten müssen sich mittlerweile damit abfinden, dass
       der Prozess keine Steilvorlage für eine Starkarriere im Völkerstrafrecht
       ist. Sondern harte und zähe Arbeit.
       
       Die taz-Prozessbeobachtung im Internet: [1][taz.de/kongo]
       
       3 May 2014
       
       ## LINKS
       
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