URI: 
       # taz.de -- Flüchtlinge auf dem Myfest: Essenstand statt Hungerstreik
       
       > Mitten im Trubel der Riesenparty informieren Flüchtlinge am Oranienplatz
       > über ihren Protest: Sogar die Polizei schaut vorbei und kauft Kuchen.
       
   IMG Bild: Voll wars, noch voller also sonst: Myfest in Kreuzberg.
       
       Patras Bwansi hat die Ruhe weg. Von der Südseite des Oranienplatzes dröhnen
       verzerrte Gitarren herüber, vermischen sich mit Sambaklängen und dem
       Stimmengewirr Tausender Myfest-Besucher zu einem einzigen wabernden
       Klangteppich. Unbeeindruckt von dem Getöse malt der ugandische Flüchtling
       auf der Nordseite des Platzes am Schlaflager der hungerstreikenden
       Flüchtlinge ein neues Transparent. „Ich bin ziemlich entspannt. Ich denke,
       wir können das Fest ganz gut nutzen, um über unser Anliegen zu
       informieren“, sagt er.
       
       Einen Tag zuvor hatten Bwansi und sechs Mitstreiter ihren dreiwöchigen
       Hungerstreik unterbrochen. Grund war ein erstes Gespräch mit der
       Bundesmigrationsbeauftragten und deren Versprechen, sich erneut mit den
       Protestlern zu treffen. Die sieben ehemaligen Bewohner des Flüchtlingcamps
       waren nach dessen Räumung in Hungerstreik getreten. Sie fordern eine
       Bleiberechtslösung für alle am Protest Beteiligten und die Anerkennung der
       besetzten Schule als autonomes Flüchtlingszentrum. Darüber hinaus geht es
       um die bekannten Forderungen der Bewegung: die Abschaffung der
       Residenzpflicht, der Asylbewerberheime und aller Abschiebungen.
       
       Für diese Anliegen interessieren sich viele der Myfest-Besucher, die im
       Verlauf des Nachmittags am blumengeschmückten Infotisch vor den
       Schlafsäcken vorbeiziehen. Einer der Passanten, der intensiv die auf dem
       Boden ausgebreiteten Papiere studiert, ist Christoph Hillebrand aus
       Lichtenberg: „Ich finde den Protest gut“, sagt der 31-Jährige. „Die Leute
       hier haben ja auch eine Daseinsberechtigung.“
       
       Ursprünglich hatten die Hungerstreiker ihren Protest für das Fest
       unterbrechen sollen. Unweit der Stelle, wo sie unter freiem Himmel
       kampieren, sollte wie jedes Jahr die Rock-Bühne des Myfests stehen. Weil
       sich die Flüchtlinge weigerten zu gehen, hatten die Veranstalter zu
       Wochenbeginn eingewilligt, die Bühne auf die Südseite zu verlegen – hinter
       Infocontainer und Versammlungszelt der Protestbewegung.
       
       Dass sie an diesem Tag mitten im Volksfest Präsenz zeigen, zahlt sich für
       die Flüchtlinge auch finanziell aus. Vor dem Infocontainer verkaufen sie
       T-Shirts, veganes Essen, Kuchen und Eistee – all das findet reißenden
       Absatz. Mit dem Geld wollen die Flüchtlinge und ihre Unterstützer ihre
       Reise zum europaweiten Protestmarsch von Straßburg nach Brüssel
       finanzieren, der am 17. Mai starten soll. „Bestimmt 2.000 Leute wollen aus
       Berlin mitkommen“, sagt einer der Verkäufer.
       
       Für Edeltraud Metzger hat das Nebeneinander von Fest und Flüchtlingsprotest
       etwas „Skurriles“, wie sie sagt: „Die machen Hungerstreik und liegen da,
       und wir feiern.“ Deshalb habe sie auch aus Solidarität eine Suppe gekauft,
       erklärt die Stuttgarterin, die mit ihrer Tochter da ist. „Ich will nicht
       einfach so vorbeigehen – und weiß nicht, was ich sonst machen könnte.“ Auch
       drei Männer in den leuchtend gelben Westen des Anti-Konflikt-Teams erstehen
       Kuchen bei den Flüchtlingen. Sie sind die ersten Polizisten, die an diesem
       Nachmittag auf dem Platz zu sehen sind. Ob die mangelnde Präsenz Teil der
       Deeskalationsstrategie ist, wissen sie nicht. „Sie meinen, ob hier
       verdeckte Ermittler unterwegs sind? Keine Ahnung“, sagt ein Beamter. „Wir
       schlendern jetzt erst mal über das Fest.“
       
       ## Test für den Rollrasen
       
       Ein paar Meter neben dem Verkaufsstand der Flüchtlinge wird der neue
       Rollrasen, der vom Bezirk nach der Räumung des Camps verlegt worden war,
       seinem ersten Härtetest unterzogen. Erst am Vortag war der schützende
       Bauzaun abgebaut worden. Jetzt bevölkern Hunderte Festbesucher das junge
       Grün, rauchen, trinken und simsen. Überall liegen Plastikbecher,
       Papierschnipsel, Zigarettenkippen.
       
       Auf einer der Parkbänke daneben sitzen vier Afrikaner und schauen dem
       Treiben zu. Einer von ihnen ist Adam Bahar. Der Sudanese war seit Beginn
       der Besetzung im Oktober 2012 dabei und Teil der Delegation, die mit
       Senatorin Dilek Kolat (SPD) über eine Lösung verhandelt hat. Er sei etwas
       traurig, wenn er das Fest hier mit dem im vorigen Jahr vergleiche, sagt er.
       „Als es das Camp noch gab, gehörten wir mehr dazu“, glaubt er. „Die Leute
       hier“ – er zeigt in Richtung Partyvolk auf dem Rollrasen – „denken heute
       mehr an sich als an uns.“
       
       1 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Susanne Memarnia
       
       ## TAGS
       
   DIR Kreuzberg
   DIR Myfest
   DIR Demonstrationen
   DIR Flüchtlinge
   DIR Hungerstreik
   DIR Flüchtlinge
   DIR Flüchtlinge
   DIR Flüchtlinge
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Kommentar zum Hungerstreik in Berlin: Hungerstreik hat sich abgenutzt
       
       Trotz drastischer Maßnahmen erfahren die Flüchtlinge am Alex kaum
       Aufmerksamkeit.
       
   DIR Flüchtlingspolitik in Deutschland: Lieber sterben als weichen
       
       Die afrikanischen Flüchtlinge auf dem Alexanderplatz werden ihren
       Hungerstreik verschärfen und nichts mehr trinken. Weder Zelte noch Bänke
       sind ihnen erlaubt.
       
   DIR Flüchtlinge protestieren für Bleiberecht: Hungerstreik am Alexanderplatz
       
       Am Berliner Alexanderplatz setzen Flüchtlinge ihren Protest gegen die
       Zuwanderungspolitik der EU fort. 21 Männer sind seit Samstag dort im
       Hungerstreik.
       
   DIR Ticker 1. Mai: Laufen, rangeln, kehren
       
       So viele Menschen wie seit 20 Jahren nicht mehr waren in Berlin bei der
       Revolutionären 1. Mai-Demo. In Hamburg gab's ein bisschen Stress, aber
       alles löst sich friedlich auf.