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       # taz.de -- Debatte Neuer Kalter Krieg: Russland verstehen!
       
       > Wer einen Krieg gewinnen will, muss den Gegner verstehen. Wer den Frieden
       > erhalten will, genauso.
       
       Bei dem, was sich seit Wochen in den verschiedenen Landesteilen der Ukraine
       abspielt, geht es um einen innerukrainischen Konflikt – angeheizt von
       außerukrainischen Interessen. Die ukrainische Zivilgesellschaft und
       nationalstaatliche Institutionen – von Verwaltung bis Sicherheitskräften –
       sind schwach ausgeprägt. Eine Abfolge korrupter Regierungen in Kiew hat
       dazu beigetragen. Die staatliche Einheit der Ukraine nach dem Ende der
       Sowjetunion ist ein Kunstprodukt, dem sich kaum jemand wirklich
       verpflichtet fühlt. Diese Einheit von westlicher Seite aus zum nötigenfalls
       sogar militärisch aufrechtzuerhaltenden strategischen Ziel zu erklären wäre
       ein nahezu absurder Fehler.
       
       Staatliche Einheit kann es geben – mit ausgeprägtem Föderalismus, über
       dessen Ausgestaltung die Ukrainer selbst zu entscheiden hätten. Die
       Entscheidungsfreiheit dazu zu garantieren ist ein lohnenswertes Ziel, doch
       das ist weder mit der Drohung noch dem Einsatz militärischer Mittel zu
       erreichen.
       
       Ja, um in der Diplomatie Erfolg zu haben, müssen beide Seiten – und das
       heißt derzeit: EU und USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite
       als selbst ernannte Sachwalter des einen oder des anderen ukrainischen
       Bevölkerungsteils – sicherstellen, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln.
       Ist die eine Seite, wie auf der Krim unter Beweis gestellt, zum zumindest
       begrenzten Einsatz militärischer Gewalt bereit und die andere nicht, ergibt
       sich ein Ungleichgewicht. Muss also „der Westen“ ebendiese Bereitschaft
       zeigen? Muss er gar Anstrengungen unternehmen, das Russland der 2010er
       Jahre so totzurüsten wie einst die USA die Sowjetunion der 1980er?
       Keinesfalls.
       
       Nicht nur, dass es ohnehin eine militärische Überlegenheit der Nato
       gegenüber Russland um den Faktor 12 gibt, wenn man die Militäretats
       zugrunde legt. Über eine drastische Erhöhung der Verteidigungshaushalte der
       Nato würde sich die Rüstungsindustrie freuen, die Sozialsysteme würden
       kollabieren, die EU-Regierungen weiter an Legitimität verlieren. Ein
       strategischer Vorteil ist daraus nicht zu ziehen.
       
       Wenn es also darum geht, die Kosten-Nutzen-Rechnung der Gegenseite ins
       Gegenteil zu verkehren, sind wirtschaftliche Sanktionen effektiver. Auch
       die haben ihren Preis, der gerade für die europäischen Länder nicht einfach
       zu schultern ist. Aber sie können unmittelbare Auswirkungen auf genau das
       haben, was Russlands Präsident Putin derzeit am meisten genießt: seine hohe
       Popularität.
       
       Wenn es stimmt, dass wir am Ende der alten beziehungsweise am Beginn einer
       neuen Friedensordnung für Europa stehen, dann ist das Wichtigste:
       verstehen. Der frühere US-Verteidigungsminister Robert McNamara sagt in dem
       wunderbaren Dokumentarfilm „The Fog of War“, die USA hätten den
       Vietnamkrieg vor allem verloren, weil sie den Vietcong niemals verstanden
       hätten. Ohne Verstehen des Gegners ist kein Krieg zu gewinnen. Der Frieden
       aber auch nicht. Und um den muss es gehen. Jede andere Vorstellung ist
       nicht Appeasement, sondern Irrsinn.
       
       ## Waffen für den Weltfrieden? Vier Debattenbeiträge:
       
       Chefredakteurin Ines Pohl führt in den Debattenstand ein: [1][Der Krieg in
       unseren Köpfen.] 
       
       Daniel Bax zeigt auf, dass nicht Kriegslogik sondern Entspannungspolitik
       Frieden schafft, die Ablehnung militärischer Muskelspiele mithin keine
       Naivität, sondern Vernunft ist. [2][Der Kriegslogik entgehen!] 
       
       Dem hält Dominic Johnson entgegen, dass nur wer Stärke zeige, eine
       gewaltbereiten Aggressor in die Schranken weisen kann. [3][Stärke zeigen!] 
       
       Klaus Hillenbrand schließlich mahnt ein Ende der rhetorischen Gewaltspirale
       an, da, wer den Gegener dämonisiere, dabei das rationale Denken ausschalte
       und den Krieg herbeirede. [4][Keine Dämonisierung!]
       
       29 Apr 2014
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Bernd Pickert
       
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