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       # taz.de -- Autorin Völcker über Lou Andreas-Salomé: „Der Mut zu einem unsicheren Leben“
       
       > Lou Andreas-Salomé war Autorin und Analytikerin. Tine Rahel Völcker hat
       > ein Stück über eine Frau geschrieben, die leidenschaftlich auf der Suche
       > war.
       
   IMG Bild: Eine Frau, die ihre Rolle selbst bestimmen wollte - und in der Erinnerung nur Anhängsel bleibt: Lou Andreas Salomé in der Inszenierung am Deutschen Theater Göttingen.
       
       taz: Lou Andreas-Salomé war Schriftstellerin und Psychoanalytikerin. Aber
       heute ist sie eher als Muse von Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke
       bekannt. Auch in Ihrem Stück stehen diese Beziehungen im Vordergrund. Ist
       das gerecht, Frau Völcker? 
       
       Tine Rahel Völcker: In manchen Phasen des Schreibens hätte ich gesagt: Ja,
       das hat sie verdient, weil sie sich immer nur an die großen Männer gehalten
       und sich in deren Schatten gestellt hat. Sie hätte sich auch Frauen suchen
       und mit denen eine WG gründen können. Dass sie nicht auf die Idee gekommen
       ist, das hat mich sehr gewundert. Ich habe mich gefragt, warum das so ist,
       wenn sie doch so unabhängig war. Und natürlich waren es dann doch eher
       Männer, die etwas gemacht haben, das sie interessiert hat.
       
       Sie wird zu Beginn des Stücks von einem Schauspieler gespielt. Ist das so
       im Text angelegt oder Ergebnis der Inszenierung? 
       
       Das hat der Regisseur entschieden. Und ich fand die Idee gut, weil es
       gerade in diesem ersten Teil zwischen Friedrich Nietzsche und ihr ganz viel
       darum geht, was ist der Mann, was ist die Frau.
       
       Andreas-Salomé hat sich zwar an die großen Männer gehalten, galt aber als
       dominant, wenn es um die konkrete Beziehungen ging: Sie diktierte die
       Bedingungen und Männer wie Nietzsche folgten. 
       
       Und böse Zungen, vor allem auch Nietzsches Schwester Elisabeth, haben ja
       auch gesagt: Sie ist doch eigentlich ein Mann, weil sie eben studiert hat.
       Und die Art, wie sie über Liebe und Sexualität reflektiert hat, die hat man
       eben nicht als weiblich empfunden. Und dann gab es immer dieses Bild von
       ihr, dass sie doch eigentlich eh ein Mann sei.
       
       Im Stück echauffiert sich Nietzsches Schwester darüber, dass Andreas-Salomé
       die Heiratsanträge ihres Bruders wiederholt ablehnte. Warum wollte sie ihn
       eigentlich nicht heiraten? 
       
       Die Freundschaft war ihr immer wichtiger, weil es diese geschlechtliche
       Liebe nicht gibt ohne die Rollen, die daran hängen.
       
       Und die konnte sie nicht gebrauchen? 
       
       Nein, die Rolle als Frau war konträr zu dem, was sie eigentlich leben
       wollte.
       
       Wie wollte sie leben? 
       
       Sie hat in ihrem Leben nach der größtmöglichen Intensität und Nähe und
       Begegnung mit Menschen gesucht. Ohne selber unfrei darin zu werden. Und das
       ist in sich schon ein Paradoxon oder zumindest sehr schwierig, weil man ja
       immer verwickelt wird. Und per se irgendwann nicht mehr frei ist, weil man
       ja eine Verantwortung hat. Oder verletzt und verletzt wird. Aber dagegen
       hat sie sich gesträubt. Bei Rainer Maria Rilke war das am krassesten, wie
       sie sich von ihm weggestoßen hat und ihn von sich weggestoßen hat, um nicht
       in diese Schlaufe emotionaler Abhängigkeit zu kommen.
       
       Das Stück ist als Psychoanalyse aufgemacht. Was heißt das genau? 
       
       Es gibt verschiedene Lous. Im ersten Teil kommentieren zwei Spielerinnen,
       die sozusagen auf der Couch liegen, das Geschehen. Es gibt verschiedenen
       Stimmen, die in Widerstreit treten und auch nicht zu einer einheitlichen
       Bilanz kommen. Diese Suche nach dem Ich oder nach Identität meine ich, wenn
       ich sage: „Das Stück als Psychoanalyse.“ Da kommt es ihrem Leben dann
       vielleicht auch nahe, weil es sehr von der Suche nach sich geprägt war.
       Nach dem, was Nietzsche ihr zugerufen hat: „Du musst die werden, die du
       bist.“
       
       Was sagt sie uns heute noch? 
       
       Wer sich mit ihr beschäftigt, wird immer wieder auf diese Fragen zu
       Geschlechterrollen stoßen. Sie hat sich vielen Erwartungen an sie als Frau
       entzogen. Das ist auch in einer Gesellschaft relevant, in der mittlerweile
       jede Frauenzeitschrift suggeriert, dass Frauen machen können, was sie
       wollen. Denn, auch wenn sich seit Andreas-Salomés Zeit etwas geändert hat,
       bleibt in Wahrheit noch sehr viel offen. Was den Mut zur Freiheit und zu
       einem unsicheren Leben angeht, da hat sie auf jeden Fall Vorbildcharakter.
       
       28 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jakob Epler
   DIR Jakob Epler
       
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