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       # taz.de -- Parlamentarische Kontinuitäten: Braune Flecken an der Bremer Bürgerschaft
       
       > Fast 70 Jahre nach Kriegsende hat ein Bremer Historiker erstmals die
       > NS-Vergangenheit von Bremer Bürgerschaftsabgeordneten systematisch
       > aufgelistet.
       
   IMG Bild: Die Nachkriegs-Bürgerschaft (hier: 1947): Fast ein Viertel aller Abgeordneten hatte eine NS-Vergangenheit, bei der FDP sogar die Hälfte.
       
       BREMEN taz | Die „Betroffenen“ sind inzwischen mindestens 90, sofern sie
       noch leben – die Zeit scheint damit „reif“ für die Frage zu sein, wie viele
       Mitglieder der Nachkriegs-Bürgerschaft in der NSDAP oder anderen
       NS-Organisationen waren. Ergebnis: Rund ein Viertel der Abgeordneten, sagt
       der Bremer Historiker Karl Ludwig Sommer.
       
       Es gab Fraktionen, die geradezu als Sammelbecken alter Nazis dienten, wie
       die 1956 verbotene „Sozialistische Reichspartei“ (SRP) oder die „Deutsche
       Partei“, aus deren Resten sich 1964 die NPD in Bremen gründete. Auch in der
       CDU-Fraktion erreichte die Zahl ehemaliger NSDAP-Mitglieder erst in der
       Wahlperiode 1963–1967 mit 13 Mitgliedern ihren Höhepunkt. Die SPD-Fraktion
       hatte einen kleinen Anteil von Mitgliedern mit NS-Parteibuch, meist Männer,
       die aus der Hitlerjugend bruchlos in die NSDAP wechselten und 1946 unter
       die „Jugendamnestie“ fielen.
       
       Egon Kähler, Jahrgang 1925, NSDAP-Mitglied seit 1943, war von 1975 bis 1979
       Fraktionsvorsitzender der SPD. Karl-Heinz Jantzen, Jahrgang 1921, brachte
       es zum Bremer Bevollmächtigten der IG-Metall und wurde 1971 Senator für
       Arbeit und Gesundheit. Auch der frühere DGB-Vorsitzende Erwin Schmidt hatte
       als 18-jähriger 1942 das NSDAP-Parteibuch bekommen.
       
       Stefan Seifritz, Jahrgang 1925, seit 1969 Bausenator, trat 1944 in die
       NSDAP ein. Er wurde 1979 durch die Veröffentlichung von Artikeln, die er
       als 17-Jähriger für die Weser-Zeitung geschrieben hatte, zum Rücktritt
       gezwungen. Damit ist er einer der wenigen, deren NS-Vergangenheit in den
       70ern öffentlich thematisiert wurde. Bei den Senatoren Rolf Speckmann
       (FDP), Georg Borttscheller (FDP) und Erich Zander (CDU) oder dem
       CDU-Fraktionschef Rudolf Rübberdt waren die NSDAP-Mitgliedschaften damals
       noch in Erinnerung – wurden aber weitgehend tabuisiert.
       
       Dass die reine NSDAP-Mitgliedschaft keine große Aussagekraft hat, belegen
       besonders krasse Beispiele. Max Schimmeck ist einer der 96
       Bürgerschaftsabgeordneten mit NSDAP-Mitgliedskarte. Er war in den
       50er-Jahren für die KPD in der Bürgerschaft und 1933 zur Tarnung seiner
       Widerstandstätigkeit in die NSDAP eingetreten. Walter Franke (Jahrgang
       1926), unter Koschnick Arbeitssenator und heute 88 Jahre alt, war mit 18
       Jahren zum Bau an den „Ostwall“ nach Polen kommandiert worden. Dass er in
       der NSDAP-Kartei als Mitglied seit 1944 geführt wird, sei ihm, so sagt er
       der taz, völlig neu und unerfindlich.
       
       Dass die ehemaligen NS-Parteigenossen in der bremischen Politik eine
       besondere Rolle gespielt haben, ist nicht erkennbar. Meist waren sie
       konservativ – wie andere Politiker auch. Bis auf wenige Ausnahmen wurde die
       Führungselite des NS-Regimes in den 1950er-Jahren integriert in die
       bundesrepublikanische Gesellschaft – „Opportunismus kann auch eine heilsame
       Kraft sein“, wertete der Freiburger Historiker Ulrich Herbert das Phänomen
       auf der Tagung der Bürgerschaft, auf der Sommer seine Ergebnisse
       vorstellte. Keinem der „betroffenen“ Bürgerschaftler seien nach Aktenlage
       Verbrechen vorzuwerfen, sagt Sommer. Er nannte keine Namen, obwohl die
       Namensliste seit 2011 im Internet steht
       ([1][http://www.niqel.de/bredel/news/bremen.pdf]) – aus Rücksicht darauf,
       dass die reine Mitgliedschaft wenig Aussagekraft hat.
       
       Auch die Entnazifizierungsverfahren, so Sommer, geben wenig Aufschluss über
       die wirklichen Verstrickungen. Nicht nur der Bremer Anwalt und spätere
       Bundespräsident Karl Carstens, auch der Bremer Bürgermeister Wilhelm Kaisen
       haben sich in einzelnen Fällen massiv dafür eingesetzt, dass eindeutig
       belastete NSDAP-Mitglieder ihre „Persilscheine“ bekamen und kurz nach
       Kriegsende wieder wichtige Funktionen in Wirtschaft oder Politik besetzen
       konnten.
       
       Dass es auch NS-Kriegsverbrecher gibt, die wieder in Amt und Würden kamen,
       unterstrich der Freiburger Historiker Herbert mit einigen drastischen
       Beispielen. Darunter der SS-Hauptsturmführer Karl Schulz, der 1941 als
       Adjutant dem Reichskriminaldirektor Arthur Nebe in den „Osteinsatz“ gefolgt
       war. Die von Nebe geführte „Einsatzgruppe B“ exekutiert bis Ende 1941 in
       Belarus mehr als 45.000 Menschen. In Bremen stieg Schulz 1960 zum
       Kriminaldirektor auf und war bis 1968 Leiter des Landeskriminalamtes.
       
       25 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.niqel.de/bredel/news/bremen.pdf
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Klaus Wolschner
       
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   DIR Wahl in Bremen
   DIR Hans Koschnick
       
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