URI: 
       # taz.de -- Neues Denken in der Psychologie: Depression neu begreifen
       
       > Schwermut ist durch die Evolution in uns verankert. Ab und an ganz
       > nützlich, prallt sie nun mit dem modernen Leben und seinen Zielen
       > zusammen.
       
   IMG Bild: Opfer einer tödlichen Krankheit: Charlotte Dawson, australischer Fernsehstar, depressiv, starb im Februar in ihrer Wohnung
       
       Schwermut wird oft als eine Krankheit des Nervensystems definiert und als
       solche auch behandelt – mit Medikamenten, Apparaten oder genetischer
       Ursachenforschung. Es wird nach organischen Schäden oder Ungleicheiten im
       Stoffhaushalt gesucht und dann mit Medikamenten behandelt.
       
       Psychologieprofessor Jonathan Rottenberg, in seiner Jugend selbst an einer
       Depression leidend, gibt zu bedenken: Diese Behandlungen helfen nur einem
       kleinen Teil der Betroffenen dauerhaft. Und die Zahl der Depressiven steigt
       endemisch, jeder zehnte erwachsene US-Amerikaner kämpft damit. Rottenberg
       leitet das „[1][Mood and emotions Lab]“ der University of Southern Florida,
       zu übersetzen vielleicht mit „Forschungsstelle für Stimmungen und Gefühle“.
       
       Rottenbergs Ansatz: nicht fragen, wo die Krankheit ihren Sitz hat, sondern
       warum sie auftritt. Warum hat die Natur uns mit der Fähigkeit zur
       Depression ausgestattet? Sie ist ein Ergebnis der Evolution, denn
       euphorische und auch niedergeschlagene Stimmungslagen helfen Mensch und
       Tier, das Leben zu bewältigen: Euphorie setzt mehr Energien zum Erreichen
       von Zielen frei. Schlechte Stimmung jedoch fokussiert besser auf
       Bedrohungen als Begeisterung, zum Beispiel.
       
       Warum aber steigert sich die von Zeit zu Zeit ganz praktische
       Niedergeschlagenheit beim modernen Menschen immer öfter in Depression? Laut
       Rottenberg prallt das überkommene Stimmungssystem mit dem heutigen
       Lebensumfeld zusammen. Unsere Fähigkeit zu langfristigem Planen und das
       Vergleichen mit immer mehr Menschen bringt immer mehr Gelegenheiten, bei
       denen wir uns als Versager fühlen. Unsere Kultur nährt Erwartungen der
       Glückseligkeit, die unmöglich zu erfüllen sind. Zu viele, zu hohe Ziele.
       
       ## Was tun, außer Medikamenten?
       
       Dagegen gibt es keine Wunderpille. Über Jahrzehntausende im langen Weg der
       Evolution verdrahtete Verhaltensweisen lassen sich nicht einfach
       abschalten. Aber wir müssten dieses Stimmungssystem der Evolution (die
       „ecomony of moods“, wie er im Original schreibt) mehr erforschen, damit wir
       Ursache und Wirkung besser verstehen. Lebensweisen mit zu viel Arbeit und
       zu wenig Schlaf zum Beispiel seien wenig hilfreich.
       
       Außerdem müssten mehr Menschen bestimmte Routinen bekannt sein, schreibt
       Rottenberg – trainierte Werkzeuge, die das Abgleiten in die zu depressiven
       Stimmungen unterbrechen, bevor sie in eine lang anhaltende Depression
       übergehen. Solche Werkzeuge beinhalten auch eine veränderte Einschätzung
       der persönlichen Position in der Welt, von Ereignissen um uns herum, der
       Verhältnisse in und des Umgangs mit unserem Körper.
       
       27 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://uweb.cas.usf.edu/mood
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Reiner Metzger
       
       ## TAGS
       
   DIR Depression
   DIR Sachbuch
   DIR Psychologie
   DIR Gesundheit
   DIR Großbritannien
   DIR Gesundheit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Debatte Gesundheitsdaten-Sammelei: Krankes System
       
       Wer einmal an einem Gewinnspiel teilgenommen hat, kann seine Daten kaum
       wieder einfangen. Besonders wertvoll sind persönliche Gesundheitsdaten.
       
   DIR Grundlagenwerk zur Poptheorie: In die Zukunft
       
       Der britische Autor Mark Fisher präsentiert seinen Essayband „Ghosts of my
       Life“. Er ist gesellschafts- und ökonomiekritisch.
       
   DIR Studie zur Stressbelastung von Eltern: Die Depression nach dem Karriereknick
       
       Laut DAK-Gesundheitsbericht meistern Hamburger Eltern Stress gut.
       Gesundheitliche Folgen hat die Doppelbelastung von Beruf und Familie jedoch
       langfristig.