# taz.de -- Einsatz von C-Waffen in Syrien: Chlorgas statt Sarin?
> Bei den jüngsten mutmaßlichen Giftgasangriffen in Syrien könnte statt
> Sarin Chlorgas eingesetzt worden sein – das fällt nicht unter das
> UN-Verbot.
IMG Bild: Behandlung eines Jungen nach einem mutmaßlichen Chlorgasangriff in Telminnes, nahe der türkischen Grenze, am Montag dieser Woche
GENF taz | Eine unabhängige Untersuchung und Aufklärung der angeblichen
„Giftgasangriffe“ vom 11. und 12. April auf das nördlich von Damaskus
gelegene Dorf Kfar Seita ist weiterhin nicht in Sicht. Bislang bezichtigen
sich die syrische Regierung und die Opposition gegenseitig der Angriffe,
die nach widersprüchlichen Angaben beider Seiten zwischen „einigen Dutzend“
bis zu 100 Verletzte und zwei Tote forderten. Die USA und Frankreich machen
auf Basis nicht näher erläuterter „Indizien“ und eigener „Überprüfungen“
die Regierung Assad verantwortlich.
Zu einer unabhängigen Untersuchung in der Lage wären die InspekteurInnen
der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW). Seit dem Beitritt
Syriens zu der internationalen C-Waffenverbotskonvention im Oktober 2013
überwachen sie den Abtransport und die Vernichtung des syrischen
C-Waffenarsenals.
Damit die InspekteurInnen auch ein Mandat erhalten zur Untersuchung der
Ereignisse vom 11./12. April, müsste nur einer der 190 Vertragsstaaten der
Verbotskonvention einen entsprechenden Antrag bei der OPCW stellen. Mit
einem entsprechenden Untersuchungsauftrag könnte die OPCW die syrische
Regierung zumindest zur Deklaration der vorhandenen Chlorgasvorräte
auffordern. Doch bis gestern lag ein solcher Auftrag nicht vor – weder
formell noch informell.
Bis heute wartet die OPCW auch auf einen Untersuchungsauftrag zu dem
Giftgaseinsatz vom 21. August letzten Jahres. Seit dem Beitritt Syriens zu
der Konvention hätte die OPCW sehr viel weitergehende
Untersuchungsbefugnisse als das Expertenteam, das diesen Einsatz zunächst
untersuchte.
## Alle Indizien deuten auf den Einsatz industriellen Chlorgases
Die USA und Frankreich verzichteten auch im UN-Sicherheitsrat, der sich am
Dienstag mit den Angriffen befasste, auf einen Untersuchungsauftrag an die
OPCW.
Alle bislang vorliegenden Indizien in Form von Zeugenaussagen,
Videoaufnahmen sowie Symptomen bei Verwundeten und Toten (Atembeschwerden
bis zum Erstickungstod, innere Verätzungen) deuten darauf hin, dass in Kfar
Seita keine durch die C-Waffenkonvention verbotenen Kampfstoffe eingesetzt
wurden, sondern industrielles Chlorgas.
Produktion und Besitz dieser unter anderem für die Plastikherstellung
benötigten Substanz ist auch Syrien als jüngstem Vertragsstaat der
Konvention ohne Einschränkung erlaubt. Allerdings reizt Chlorgas bereits in
geringer Konzentration die Schleimhäute und greift die Atemwege an. Ab 10
Milligramm pro Kubikmeter Luft (ppm) kommt es zu schweren Lungenschäden.
Bei 100 ppm wirkt Chlorgas tödlich. Im Ersten Weltkrieg wurde Chlorgas
zeitweise als Kampfgas eingesetzt – bis mit Senfgas und Sarin „wirksamere“
Stoffe zur Verfügung standen.
Als die Verbotskonvention zwischen 1969 und 1993 von der Genfer
UNO-Abrüstungskonferenz ausgehandelt wurde, hatte kein Staat mehr Chlorgas
in seinen Waffenarsenalen. Daher wurde Chlorgas auch nicht in die Liste
verbotener Substanzen aufgenommen.
Von den 1.300 Tonnen Chemiewaffen in Syrien, die die Regierung Assad seit
Oktober deklariert hat und deren Existenz die OPCW vor Ort verifiziert
haben, wurden bis gestern zwar 100 Tonnen vor Ort vernichtet sowie 1.038
Tonnen auf Schiffe im Hafen Latakia abtransportiert. Die OPCW ist
zuversichtlich, dass auch der Abtransport der restlichen 162 Tonnen bis zur
vereinbarten Frist am Sonntag (27. April) gelingt.
Doch wie viel Chlorgas sich noch in Syrien befindet, das – von welcher
Seite auch immer – auch künftig als Waffe mit tödlicher Wirkung eingesetzt
werden könnte, weiß die OPCW bislang nicht.
24 Apr 2014
## AUTOREN
DIR Andreas Zumach
## TAGS
DIR Sarin
DIR Chemiewaffenkonvention
DIR Schwerpunkt Syrien
DIR Chemiewaffen
DIR OPCW
DIR Chlorgas
DIR Giftgas
DIR Sarin
DIR Homs
DIR Homs
DIR Revolution
DIR Schwerpunkt Syrien
DIR Chemiewaffenkontrolle
DIR Schwerpunkt Syrien
DIR Schwerpunkt Syrien
DIR Schwerpunkt Syrien
## ARTIKEL ZUM THEMA
DIR Letzte Chemiewaffen offiziell übergeben: Alles raus aus Syrien?
Historischer Moment in Syrien: Alle Chemiewaffen sollen aus dem
Bürgerkriegsland entfernt worden sein. Unklar bleibt, ob das Assad-Regime
mit offenen Karten spielt.
DIR Bürgerkrieg in Syrien: Rebellen vor Abzug aus Homs
Nach zwei Jahren Blockade, Hunger und Beschuss haben die Aufständischen mit
Regierungsvertretern verhandelt. Die Umsetzung steht noch aus.
DIR Temporärer Waffenstillstand in Homs: Assad erobert „Revolutionshauptstadt“
Die syrischen Kriegsparteien haben sich auf eine kurzfristige Waffenruhe in
Homs geeinigt. Die Aufständischen sollen die Stadt verlassen.
DIR Syrischer Bürgerkrieg: Die Frauen der Revolution
Syrien kämpft – um Demokratie: ein Besuch bei Aktivistinnen, die sich um
eine gewaltfreie Konfliktlösung bemühen – und der Einschüchterung trotzen.
DIR Krieg in Syrien: Fast alle Chemiewaffen außer Landes
Bis Juni soll das Assad-Regime alle Chemiewaffen abgeben. 80 Prozent der
Giftstoffe sind bereits vernichtet worden. Frankreich sieht dennoch
Hinweise auf deren Einsatz.
DIR Krieg in Syrien: Tote und Verletzte bei Giftgasangriff
Regierung und Rebellen geben sich gegenseitig die Schuld an einer
Chlorgasattacke in Kfar Seita. Der Abtransport der Chemiewaffen geht indes
weiter.
DIR Chemiewaffen in Syrien: Die Hälfte ist raus
Die Hälfte der Chemiewaffen in Syrien ist nicht mehr im Land, teilen
internationale Inspektoren mit. Syrische Kampfhubschrauber beschießen
libanesisches Gebiet.
DIR Syrisches Giftgasprogramm: Deutsche Lieferungen für C-Waffen
Über ein Jahrzehnt lang waren deutschen Firmen am Aufbau des syrischen
Giftgasprogramms beteiligt. Mehr als 50 Lieferungen werden auf einer
OPCW-Liste aufgezählt.
DIR Syrische Chemiewaffen: Zurück zum Ursprung
Syriens Chemiewaffen wurden auf See entschärft. In Munster werden einige
von ihnen entsorgt. Das Heide-Örtchen hat eine lange Giftgas-Tradition.