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       # taz.de -- Nachruf Gabriel García Márquez: Leben für die Utopie
       
       > Der Schriftsteller García Márquez beschwor die Verantwortung seiner
       > Zunft. Der Gedanke begleitete ihn auch außerhalb der Literatur.
       
   IMG Bild: Beschwor stets die Notwendigkeit einer eigenen Geschichtserzählung: Gabriel García Márquez.
       
       Anlässlich einer Diskussionsveranstaltung mit dem kubanischen Filmregisseur
       Tomás Gutiérrez Alea besuchte ich 1993 die Internationale Filmhochschule
       der drei Welten in San Antonio de los Baños südlich von Havanna. Zu dieser
       Zeit, die in Kuba mit viel Euphemismus „Periodo especial“ genannt wurde und
       von regelmäßigen Stromausfällen und absolut knapper Versorgungslage
       gekennzeichnet war, erschien mir bereits die Ankunft in San Antonio
       überwältigend. Wie eine Oase in der Wüste tauchte der moderne Bau der
       Filmhochschule auf mit Swimmingpool, umgeben von Orangenplantagen und
       gefüllt mit dem Lärm der dort lebenden Filmstudenten.
       
       Mitten in dem jugendlichen Treiben bemerkte ich plötzlich ein paar weiße
       Slipper, die Haupttreppe herabschreitend. Eine Erscheinung wie aus dem
       Nichts ganz in Weiß und mit Guayabera bekleidet stand vor mir. Es war
       Gabriel García Márquez. Schließlich hatte der weltberühmte Schriftsteller
       1986 diese Schule auf Kuba für Filmstudenten aus Lateinamerika, Asien und
       Afrika mit begründet und immer wieder auch dort unterrichtet.
       
       Mit Kuba und dem kubanischen Staatschef Fidel Castro verband Garcia Márquez
       eine alte, dauerhafte Freundschaft, seitdem er als Journalist 1959 kurz
       nach dem Sieg der kubanischen Revolution nach Havanna gereist war und in
       den folgenden drei Jahren für die kubanische Presseagentur Latina Press in
       Bogotá, Havanna und New York gearbeitet hatte. Sein peruanischer
       Schriftstellerkollege Mario Vargas Llosa jedoch kritisierte den Kolumbianer
       deswegen als einen Büttel des Regimes Castros und kündigte ihm die
       Freundschaft.
       
       [1][Am Donnerstagnachmittag ist Gabriel García Márquez nun im Kreis seiner
       Familie im Alter von 87 Jahren in seinem Haus in Mexiko-Stadt verstorben].
       Ganz Lateinamerika trauert um den kolumbianischen Literaturnobelpreisträger
       – und verliert mit seinem Tod „einen Compañero mit Utopien“, wie der
       uruguayanische Präsident José Mujica kurz nach Bekanntwerden der Nachricht
       beteuerte.
       
       ## Dreitägige Staatstrauer in Kolumbien
       
       [2][//twitter.com/JuanManSantos/status/456889231433297920:Der
       kolumbianische Präsident Juan Manuel Santos twitterte] „Tausend Jahre
       Einsamkeit und Traurigkeit über den Tod des größten Kolumbianers aller
       Zeiten“ und ordnete eine dreitätige Staatstrauer an.
       
       Das Erscheinen seines Romans „Cien años de soledad“ (deutsch: „Hundert
       Jahre Einsamkeit“) in Buenos Aires hat García Marquez 1967 berühmt gemacht.
       Bis dahin hatte der Autor, der am 6. März 1927 in Aracataca, Kolumbien
       geboren wurde und später in Sucre, Barranquilla und Bogotá aufwuchs, vor
       allem als Journalist, Korrespondent und Drehbuchautor gearbeitet. Sein
       erster Roman „Laubsturm“ (span.: La Hojarasca) erschien 1955, seine erste
       Erzählung „Der Oberst hat niemand, der ihm schreibt“ (span.: El coronel no
       tiene quien le escriba“) 1961.
       
       ## Meisterwerk „Hunder Jahre Einsamkeit“
       
       Sein Ruf als hervorragender Vertreter eines modernen „Magischen Realismus“
       gründet sich jedoch vor allem auf sein Meisterwerk „Hundert Jahre
       Einsamkeit“. Darin erzählt García Marquez in einem weit verzweigten
       Labyrinth und über mehrere Generationen hinweg vom Aufstieg und Niedergang
       der Familie Buendía und verschränkt es mit dem Werden und Vergehen des von
       ihnen gegründeten (fiktiven) Dorfes Macondo, das isoliert von der Außenwelt
       im kolumbianischen Regenwald liegt und nur selten durch eine Gruppe von
       Zigeunern und ihrem Anführer Melchíades mit Informationen vom Rest der Welt
       versorgt wird.
       
       Bis heute wurden weltweit über fünfzig Millionen Exemplare dieses Buches in
       mehr als 35 Sprachen verkauft. Auf Deutsch erschien es 1970 in einer
       Übersetzung von Curt Meyer-Claasen bei Kiepenheuer & Witsch. Der große
       Erfolg dieses Romans verhalf in den folgenden Jahren auch anderen
       lateinamerikanischen Autoren zu einer neuen Sichtbarkeit auf dem deutschen
       Buchmarkt.
       
       In „Hundert Jahre Einsamkeit“ macht García Márquez das tropische und von
       der Welt vergessene Macondo selbst zum Zentrum einer parallel existierenden
       (lateinamerikanischen) Weltgeschichte. Auch in seiner Rede zur Verleihung
       des Literaturnobelpreises 1982 beschwört er die Notwendigkeit einer eigenen
       Geschichtserzählung: „Die Deutung unserer Wirklichkeit mit Hilfe fremder
       Schemata trägt nur dazu bei, uns immer unbekannter, immer unfreier, immer
       einsamer zu machen.“
       
       ## Gut schreiben ist revolutionär
       
       Diese Idee der Selbstermächtigung im Angesicht der Isolation verfolgte
       García Márquez auch außerhalb seines literarischen Werks. Die gemeinsam mit
       dem argentinischen Cineasten Fernando Birri 1986 gegründete Filmhochschule
       der drei Welten gehörte genauso wie auch die von ihm 1994 ins Leben
       gerufene Schule für Journalismus in Cartagena dazu und war Teil einer
       gesellschaftlichen Utopie.
       
       Doch wie García Márquez selbst bemerkte: „Die revolutionäre Aufgabe eines
       Schriftstellers ist es, gut zu schreiben.“ So wird die Welt diesen großen
       Lateinamerikaner als Schriftsteller in Erinnerung behalten, der in seinen
       Romanen wie kein anderer Pathos und Leidenschaft packend miteinander zu
       vereinen wusste – und dem klar war, wie er als Schlusssatz von „Hundert
       Jahre Einsamkeit“ schrieb, „dass alles in ihnen Geschriebene seit immer und
       für immer unwiederholbar war, weil die zu hundert Jahren Einsamkeit
       verurteilten Sippen keine zweite Chance auf Erden bekamen“.
       
       18 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] /Gabriel-Garcia-Mrquez-gestorben/!137015/
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       ## AUTOREN
       
   DIR Eva-Christina Meier
       
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