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       # taz.de -- Kommentar Genfer Ukraine-Erklärung: Lob der Diplomatie
       
       > Die Genfer Erklärung zur Lösung der Krise in der Ukraine ist ein Erfolg.
       > Denn Maximalforderungen sind nicht durchsetzbar, sondern gefährlich.
       
   IMG Bild: Entspannung ist möglich – doch es braucht einen langen Atem.
       
       Die [1][Genfer Erklärung], die von den USA, EU, Russland und Ukraine
       unterzeichnet wurde, ist nicht die Lösung dieses vertrackten Konfliktes.
       Aber sie ist ein Anfang. Ein wenig bemerkter Erfolg von Genf lautet: Moskau
       hat stillschweigend akzeptiert, dass es in Kiew eine neue Regierung gibt.
       Bisher hatte das Putin-Regime trotzig behauptet, dass Janukowitsch noch
       immer der legitime ukrainische Präsident sei. Jetzt aber reden Moskau und
       Kiew miteinander. Das ist eine gute Nachricht, denn nur so sind Kompromisse
       möglich.
       
       Skeptiker halten das Ergebnis des Krisengipfel indessen für unbrauchbar. Es
       sei zwar schön, dass nun Demonstranten entwaffnet werden und der
       ukrainische Staat wieder das Gewaltmonopol übernehmen soll. Aber das sei
       nur Papier. Noch nicht mal ein Termin sei vereinbart worden. Vorsicht mit
       Maximalforderungen! Die Entwaffnung wäre derzeit, in Kiew und Donezk, nur
       mit massiver Gewalt möglich. Nichts aber wirkt derzeit verheerender als
       Gewalt, die eine Spirale der Rache in Gang setzt. Deshalb zeugt es von
       Augenmaß und nicht von Schwäche, dass in Genf kein Termin für die
       Entwaffnung von Militanten fixiert wurde.
       
       Zu Verhandlungen gehört es, die andere Seite und deren Interessen als
       legitim anzuerkennen. Nur dann kann das Spiel von Geben und Nehmen
       funktionieren. In Genf hat es nun zaghaft begonnen: Demonstranten, die ihre
       Waffen abgeben, werden amnestiert. Die Genfer Erklärung skizziert einen
       Weg, wie eine Entkrampfung der Krise aussehen kann. Sie ist die erste
       Etappe in einem Langstreckenlauf.
       
       Eine Schlüsselfrage lautet, ob die Präsidentschaftswahl in der Ukraine am
       25. Mai einigermaßen fair verläuft und ihr Ergebnis in Charkiw und Lwiw
       anerkannt wird. Der haushohe Favorit, der Oligarch Petro Poroschenko, ist
       zwar Teil der korrupten Oberschicht, aber jemand, der zwischen West- und
       Ostukraine vermitteln kann. Das ist entscheidend, um eine Gewalteskalation
       und ein Szenario wie in Jugoslawien 1991 zu verhindern. Deshalb ist es
       wichtig, dass diese Wahlen korrekt ablaufen. Dafür sind weit mehr als nur
       120 OSZE-Beobachter nötig.
       
       ## Kiewer Regierung ist kein Spiegel der ukrainischen Bevölkerung
       
       Viele Militante in Donezk verstehen sich als Ukrainer, die keineswegs einen
       Anschluss an Russland wollen. Ihr Protest hat viele Motive: Frust über die
       miese wirtschaftliche Lage und Korruption und Angst, dass die
       russischsprachige Minderheit zu kurz kommt. Viele Ostukrainer empfinden es
       als Hohn, dass in Kiew ausgerechnet der rechtsnationale Swoboda-Mann
       Alexander Sytsch für die Rechte von Minderheiten zuständig ist.
       
       Die Übergangsregierung in Kiew spiegelt nicht die ukrainische Bevölkerung
       wider. Deshalb sind so bald wie möglich auch Parlamentswahlen nötig. Doch
       bis dahin: Warum drängt die EU nicht darauf, eine neue Übergangsregierung
       von Moderaten zu bilden, die West- und Ostukraine repräsentiert? Das wäre
       auch ein Mittel, um den verbalradikalen Separatismus, der im Osten um sich
       greift, einzuhegen und über vernünftige, machbare Autonomieregelungen zu
       verhandeln. Eine ausgewogenere Regierung in Kiew würde auch der russischen
       Propaganda gegen die „Faschisten in Kiew“ den Wind aus den Segeln nehmen.
       
       Zudem: Warum keine internationale Untersuchungskommission, die
       recherchiert, wer auf dem Maidan für das Blutbad verantwortlich war? Das
       Misstrauen, dass der Swoboda-Generalstaatsanwalt objektiv ermittelt, ist
       begründet. Andererseits hat Russland während der Krimkrise ukrainische
       Schiffe beschlagnahmt, für die es zumindest Entschädigungen an die
       finanziell äußerst klamme Kiewer Regierung zahlen sollte.
       
       Der Westen ist keineswegs ohnmächtig, wie viele Kommentatoren behaupten.
       Mit der richtigen Mixtur von Selbstkritik und Selbstbewusstsein, dosierten
       Sanktionsdrohungen gegen Moskau und dem Verzicht auf eine
       Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, ist Entspannung möglich. Man braucht dafür
       gute Diplomaten. Und einen langen Atmen.
       
       18 Apr 2014
       
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