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       # taz.de -- Konflikt bei Tageszeitung „Libération“: Unsere Marke sind die Leser
       
       > Die Kapitaleigner der „Libération“ wollen aus dem Pariser Blatt ein
       > Happening machen. Die Redaktion wehrt sich gegen die Abwertung ihrer
       > Arbeit.
       
   IMG Bild: Paris, Metro, Leserin, Libération – passt.
       
       PARIS taz | Es ist kurz vor 17 Uhr. Seit vier Stunden ist der Streik
       aufgehoben. Die Auflage der Wochenendausgabe von Libération ist auf einem
       guten Weg. Wir haben uns entschieden, die Leser auf einer Doppelseite
       darüber zu informieren, warum sie ihre Zeitung am Freitag, den 7. Februar
       weder im Briefkasten noch am Kiosk gefunden haben: Krise, Umzugsprojekt,
       sinkende Löhne, keine Investitionen geplant, kein Vertrauen mehr …
       
       Die Eigentümer wollten auch einen eigenen Text in der Zeitung
       veröffentlichen. Sie wollten den Lesern erklären, was bei uns, bei
       Libération, los ist. Um 17 Uhr war dann im Redaktionssystem zu lesen: „In
       Zukunft wird das Projekt Libération nicht mehr allein Zeitungsverleger
       sein, sondern auch Multimedia-Träger (Print, Video, TV, Digital, Forum,
       Events, Radio et cetera)“.
       
       Der Immobilieninvestor Bruno Ledoux – einer der beiden Hauptanteilseigner,
       der auch Teileigentümer des Redaktionshauses Libé ist – will das Gebäude
       umbauen. Ein „Kultur- und Konferenzraum mit Drehplatz, Radiostudio,
       digitalem Newsroom, Restaurant, Bar, Start-up-Unternehmen“ soll entstehen.
       Und die Journalisten? Weg.
       
       Ihnen wurde angeboten umzuziehen, und zwar raus aus Paris. Weit weg von den
       Lesern. Der neue Geschäftsführer bezeichnet diesen Vorgang als Stärkung der
       „Marke“. Deren Zentrum solle das neue „Flore des 21. Jahrhunderts“ werden –
       in Anlehnung an das Café im Quartier Latin, wo Libération-Mitbegründer
       Jean-Paul Sartre einst seine Zeit verbrachte. Mit diesem Projekt will
       Ledoux die „engstirnigen“ Redakteure von Libé „alt aussehen lassen“. Er
       will alleiniger Eigentümer der Zeitung werden, um sich dann den einzigen
       Besitz anzueignen: die „Marke“ eben. Die rote Raute und der berühmte Name
       „Libé“ stehen zum Verkauf. Wofür? Um billige Filialen mit billigen
       Journalisten zu gründen. Und die Zeitung? Die „bleibt im Herzen des
       Projekts“, ließ man verlauten. Aber was hat man für eine Garantie? Keine.
       Warum sollen denn neue Investoren Geld in eine verschuldete Zeitung
       investieren? Weder die Geschäftsführung noch die Anteilseigner hatten vor
       diesem 7. Februar den Mitarbeitern von einem solchen Projekt erzählt. Nie.
       Kein einziges Wort. Das Vertrauen war weg.
       
       ## Wofür kämpfen?
       
       „NOUS SOMMES UN JOURNAL“ („Wir sind eine Zeitung“). Das war unsere Antwort.
       Auf der ersten Zeitungsseite. In Großbuchstaben. Das bedeutet: Das Projekt
       muss die Zeitung bleiben. Und, ja, eine Zeitung besteht nicht nur aus
       Papierseiten … Wir sind seit 1995 online, wir moderieren Veranstaltungen in
       ganz Frankreich, arbeiten mit den besten Fotojournalisten des Landes, haben
       ein junges Videoteam, das eigene Reportagen für uns dreht. Wir haben uns
       sogar mit Radio und sozialen Vereinen ausprobiert. „Diversifizierung“
       kennen wir also und haben auch keine Angst davor. Wir „verkaufen“ unsere
       „Marke“ schon seit Langem. Sind wir dadurch aber reicher geworden? Nein.
       
       Was brauchen wir dann? Investitionen in die neuen Technologien. Mehr
       Onlineprojekte. Und vor allem müssen wir uns die eine Frage stellen: Was
       bedeutet heutzutage eine „linke Zeitung“? Was fördern, fordern und
       verteidigen wir? Wofür kämpfen wir? Wen vertreten wir?
       
       Und: Wie schaffen wir das alles? Mit Qualitätsjournalismus. Nur damit.
       Ansonsten hat die „Marke“ keinen Sinn. Die rote Raute wird wertlos. Libé
       stirbt. Unsere „Marke“ sind nämlich unsere „Leser“. Sie entscheiden sich,
       eine Zeitung zu kaufen oder zu abonnieren, weil sie gute Informationen
       wollen, den Alltag besser verstehen und menschliche Geschichten lesen
       möchten. Weil wir kritisch schreiben und die Gegenwart mit guten Fotos
       illustrieren. Weil wir einen bestimmten Blick auf die Welt werfen. Und weil
       sie sich eben als Teil der Libé-Gemeinschaft fühlen.
       
       ## Bestimmt nicht links
       
       Deshalb findet man auch keinen Libé-Redakteur, der gegen ein „Libé-Café“
       oder einen „Kultur- und Konferenzraum“ wäre. Niemand will die Dachterrasse
       auf der 9. Etage mit Ausblick auf ganz Paris für sich selbst haben. Dort
       trinken wir immer noch nach den Redaktionskonferenzen unseren schlechten
       Kaffee aus der Maschine oder sitzen mit einem Sandwich beim Mittagessen.
       Seit Jahren hat man die Idee, hier ein Café auszubauen, einen Ort für die
       Leser. Um eine Gemeinschaft zu bilden, sie zu bekräftigen. Doch das findet
       man eben nicht in dem Projekt. Der neue Geschäftsführer sagt auch, – ohne
       Witz –, dass er „ni de droite, ni de gauche“, also „weder links, noch
       rechts“ sei.
       
       Sicher ist: wenn man das sagt, ist man ganz bestimmt nicht „links“. Wie
       aber kann man Libé führen und Werte vertreten, die so wichtig für die Leser
       und Mitarbeiter sind, wenn man sich selbst als „nicht links“ beschreibt? In
       dieser Krise prallen zwei Welten aufeinander. Eine, in der ein Investor
       glaubt, dass Mitarbeiter ihm wortlos folgen werden, weil er Geld in der
       Tasche hat. Eine andere, in der man glaubt, dass eine Zeitung kein normales
       Unternehmen ist, weil sie durch drei Generationen von Journalisten
       kollektiv entwickelt wurde und wichtig für die Pressevielfalt und somit für
       die französische Demokratie ist. Was sich in der 11 rue Béranger in Paris
       heute abspielt, ist kein Kampf der Alten gegen die Jungen – sondern ein
       Versuch, frei zu bleiben.
       
       18 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Lilian Alemagna
       
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