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       # taz.de -- Spalteritis: Der Friede ist gestört
       
       > Der Christopher Street Day will irgendwie politischer werden - über das
       > Wie ist zwischen CSD e.V. und Szene ein offener Streit entbrannt.
       
   IMG Bild: Christopher Street Day 2012 mit Polit-Prominenz
       
       Das Szenario hat etwas Konspiratives: Als sich die Tür des SchwuZ am
       Dienstagabend öffnet, geht es durch eine lange Kellerflucht ins Innere des
       Traditionsclubs, der jetzt auf dem Gelände der alten Neuköllner
       Kindl-Brauerei beheimatet ist. An die 300 Menschen füllen den Raum mit den
       rohen Betonwänden und einer riesigen Discokugel – Lesben und Schwule, die
       sich von der Debatte unter dem Motto „Quo vadis, CSD?“ Durchblick erhoffen
       in einem Konflikt, der wie ein Keil in der queeren Szene steckt.
       
       Verlegerin Manuela Kay (Siegessäule, L-Mag) ist eine der Gastgeberinnen,
       zum Warm-up fragt sie das Publikum, wer noch nie dabei war beim Christopher
       Street Day. Eine einsame Hand hebt sich. „Mal sehen, ob du nach diesem
       Abend immer noch hinwillst“, sagt Kay, und der Saal lacht. Auf die Frage,
       wer damit scheitern würde, Unbeteiligten den CSD-Streit zu erklären, gehen
       schon mehr Hände hoch.
       
       Aber Aufklärung naht: Auf dem Podium sitzt Reinhard Thole vom CSD e. V. –
       er gibt den Buhmann. Dazu AktivistInnen wie Ute Hiller (Aids-Hilfe), Jörg
       Steinert (Lesben- und Schwulen-Verband, LSVD), der CDU-Abgeordnete Stefan
       Evers und die Landessprecherin der queeren Linken, Wiebke Oschmann.
       
       ## Übler Beigeschmack
       
       Unter der Moderation von Kays Kollegin Gudrun Fertig schält sich bald
       zweierlei heraus: Eigentlich wollen alle dasselbe, nämlich den CSD ein
       wenig vom kommerziellen Ballast befreien und politischer machen. Nur
       welcher Weg dahin führt, daran scheiden sich die Geister.
       
       Der Verein, der die CSD-Events organisiert, hat die Szene gegen sich
       aufgebracht, indem er – Kritiker finden: handstreichartig – ein Re-Branding
       beschlossen hat: „Stonewall-Parade“ soll das Kind nun heißen – dahinter
       steht ein Konzept, das den CSD e. V. als politische NGO etabliert. Einen
       üblen Beigeschmack hat das allerdings für viele, weil der Verein sich die
       Wortmarke „Stonewall“ gesichert hat. Was, bitte, soll das?, fragen die
       Gesichter im Publikum.
       
       „Das Geld für unsere Arbeit war schon immer knapp“, versucht Reinhard Thole
       eine Apologie. Und da könne eine lizenzpflichtige Marke garantieren, dass
       sich kommerzielle Nutznießer der Events angemessen an der Finanzierung
       beteiligten. Außerdem sei „Stonewall“ als Name der Bar, in der sich 1969
       die Krawalle in der New Yorker Christopher Street entzündeten, weithin
       bekannt.
       
       Da hat Thole das komplette Podium gegen sich: Einen eingeführten Namen soll
       man beibehalten und „das Privateigentum an einem Namen“, meint
       LSVD-Geschäftsführer Steinert, sei „nicht kompatibel mit dem politischen
       Anspruch“.
       
       Besonders sauer macht die Mehrheit auf dem Podium und im Saal, wie der
       Vereinsvorstand das alles durchgebracht hat. Völlig sauber, betont Thole,
       aber unter Missachtung der basisdemokratischen Tradition in der Szene,
       kontern die anderen. Das monatlich tagende, offene CSD-Forum sei nicht
       befragt worden, vielmehr habe der Vorstand die neue Satzung von einer dünn
       besetzten Mitgliederversammlung durchwinken lassen.
       
       ## Neue Abspaltung
       
       Dazu kommt Unmut über die „Sumpf“-Kampagne, mit der der Verein dem
       Bezirksamt Mitte vorwirft, die Queer-Parade finanziell zu übervorteilen.
       Mit „Verbrecherfotos“ von Politikern wurde Stimmung gemacht. „Ja, Krawall
       gehört zur politischen Kultur“, findet Ute Hiller von der Aids-Hilfe, aber
       irgendwann habe sich der Eindruck von „Beratungsresistenz“ eingestellt.
       
       Die Aids-Hilfe hat den CSD e. V. verlassen, und Hiller stellte mit Oschmann
       und anderen ein „Aktionsbündnis CSD 2014“ auf, das für den 21. Juni eine
       eigene Demonstration mit „politischer Route“ plant: von der ugandischen
       Botschaft über die Landesvertretung Baden-Württembergs bis hin zur
       CDU-Zentrale. Und prompt gibt es, nachdem sich der „transgeniale CSD“
       offenbar selbst zerlegt hat, eine neue Abspaltung.
       
       So geht es hin und her, das Publikum sitzt auf der Stuhlkante und johlt
       schon mal, aber fair bleibt es. Findet auch Thole, der sich dafür bedankt,
       ein wenig Demut und Dialogbereitschaft signalisiert. Auch die anderen
       wollen weiterreden, Jörg Steinert plädiert für ein Umbenennungsmoratorium,
       und die Linken-Vertreterin verkündet sogar ihren Eintritt in den
       CSD-Verein.
       
       Ein Bonmot des Abends stammt vom Christdemokraten Evers: „Ich will lieber
       in der Stadt mit dem größten CSD leben als in der Stadt mit den meisten.“
       
       16 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Claudius Prößer
       
       ## TAGS
       
   DIR schwuz
   DIR Christopher Street Day (CSD)
   DIR Christopher Street Day (CSD)
       
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