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       # taz.de -- Ausstellung über die Wiener Albertina: Mimi und Berti
       
       > Immer diese Habsburger: „Die Gründung der Albertina“ lockt mit Dürers
       > Hasen und erzählt die Geschichte des Herzogs Albert.
       
   IMG Bild: Reiche Geschichte: Impressionen aus der Albertina-Ausstellung.
       
       Wien ist wie ein alter Mann in einem viel zu großen Anzug. Auf
       Repräsentation bedacht, aber etwas unbeholfen; schwermütig, aber auch
       einzigartig in seiner Wurschtigkeit. „Gemütvoll naiv“, nannte der
       Schriftsteller Georg Stefan Troller einmal die Österreicher und speziell
       die Wiener: „Dem Göttlichen wie dem Irdischen und sogar dem Teuflischen mit
       der gleichen herzhaften Unbefangenheit“ zugetan. Einerseits.
       
       Andererseits gibt es diesen Anachronismus, immer noch bloß als das zu
       gelten, was übrigblieb. So sah die französische Siegermacht Österreich nach
       dem Untergang des Habsburgerreichs 1918. Und wo es ein Jahrhundert lang
       tatsächlich immer wieder um das bloß Übriggebliebene ging, stieg auch die
       Angst, von anderen übervorteilt zu werden.
       
       Man muss sich Wien nicht über die Mottenkiste nähern, auch wenn sich oft
       der Eindruck einstellt, dort sei noch immer vieles wie in der höfischen
       Gesellschaft strukturiert. Die Habsburger einfach ignorieren, das ist kaum
       möglich. Die Geschichte ist überall präsent. Und bietet auch schöne
       Episoden. etwa die von Mimi und Berti: von Erzherzogin Marie-Christine und
       ihrem Mann Herzog Albert von Sachsen-Teschen.
       
       Deren Leben und Wirken dokumentiert nun eindrucksvoll die kulturhistorische
       Ausstellung „Zwischen Dürer und Napoleon. Die Gründung der Albertina“ in
       der Wiener Albertina.
       
       ## Die Lieblingstochter
       
       Herzog Albert heiratete 1766 Marie-Christine. Sie war die Lieblingstochter
       von Kaiserin Maria Theresia und das einzige von 16 Kindern, dem eine
       Liebesheirat gewährt wurde, ja, für deren Zustandekommen die Kaiserin sogar
       intrigierte. Nach Jahren der Statthalterschaft in Ungarn und den
       Österreichischen Niederlanden flüchtete das Paar 1792 vor den
       Revolutionskriegen nach Wien und ließ sich im Palais auf der
       Augustinerbastei nieder.
       
       Dieses Palais ist das heutige nach Herzog Albert benannte Museum Albertina
       – ein Touristenmagnet, gegenüber einem anderen Touristenmagneten gelegen,
       Alfred Hrdlickas „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“.
       
       Albert von Sachsen-Teschen nutzte den Reichtum seiner Frau Marie-Christine,
       um bis zu seinem Tod im Jahre 1822 eine bedeutende Sammlung von 14.000
       Zeichnungen und 200.000 druckgrafischen Blättern aufzubauen, die er
       testamentarisch zum Fideikommiss erklärte, um sie für die Nachwelt zu
       retten. Seine Sammlung bildet den Kernbestand der Albertina. Nun werden
       hier erstmals etwa 150 Highlights aus Alberts Sammlung präsentiert.
       
       ## Seltener Ausflug aus dem Depot
       
       Albrecht Dürers berühmte Studie des scheuen „Feldhasen“ ist nach zehn
       Jahren wieder zu sehen. Er gilt als wichtigstes Werk deutscher
       Renaissance-Kunst. Mit Ausstellungsende wird er wieder im Sicherheitsdepot
       verschwinden, wie alle anderen Zeichnungen auch. Aus konservatorischen
       Gründen.
       
       Die Sammlung der Albertina zählt zu den größten grafischen Sammlungen der
       Welt. Rund 60.000 Zeichnungen und Aquarelle und knapp eine Million
       Druckgrafiken von der Spätgotik bis zur zeitgenössischen Moderne lagern
       hier. Mit wenigen Ausnahmen sind sie in dem automatischen Hochregallager
       untergebracht, das 24 Meter unter die Erde reicht. Im Museumsbereich ist
       dieses Lagersystem einzigartig. Ein Robotersystem befördert das gewünschte
       Werk innerhalb einer Minute nach oben.
       
       Auch Dürers „Kopf eines Apostels“ und die „Betenden Hände“, die zu den am
       häufigsten reproduzierten Kunstwerken überhaupt zählen dürften, hängen in
       der Ausstellung „Zwischen Dürer und Napoleon“. Schlichtweg beeindruckend
       ist die Liste der gezeigten Werke: Die „Halbfigur eines Apostels“ von
       Leonardo da Vinci ist ebenso darunter wie Rubens’ „Tochter Clara Serena“,
       Hieronymus Boschs „Baummensch“ oder Brueghels geradezu
       gesellschaftskritische Zeichnung „Die großen Fische fressen die kleinen
       Fische“.
       
       Dokumente, Schmuck und Silber veranschaulichen zudem den Lebensstil des
       Paares, so dass die Schau mit insgesamt etwa 400 Objekten ein
       kulturhistorisches Panorama des Zeitalters des höfischen Barock und der
       Aufklärung über die Revolutionsjahre bis zum Biedermeier nach dem Wiener
       Kongress entstehen lässt.
       
       ## Gebildeter Adel
       
       Alberts Bildungsgrad war nicht gerade selbstverständlich im Hochadel.
       Inspiriert von den französischen Enzyklopädisten, schwebte ihm vor, eine
       systematische Sammlung von Kunst und Literatur seiner Zeit anzulegen. Die
       Bibliothek umfasste 25.000 Bände und gehörte zu den bedeutendsten des
       Kontinents. Sie war nicht wie die Zeichnungssammlung zum Fideikommiss
       bestimmt und ging so mit dem Ende der Monarchie verloren, als Erzherzog
       Friedrich sie mit ins Exil nach Ungarn nahm.
       
       Ebenso Alberts Gemäldesammlung, die Werke des Klassizismus, der Romantik
       und des Realismus vereinte. Überhaupt scheint seine Sammeltätigkeit von dem
       aufklärerischen Impetus geprägt, alles einander gleichwertig und in
       Gleichwertigkeit zu Gott zu vereinen.
       
       Viele seiner Bücher standen auf dem Index Romanus des Vatikans. Das kam bei
       den Habsburgern in Wien nicht gut an. 1786 besucht er mit Marie-Christine
       deren Schwester Marie Antoinette und König Ludwig XVI. in Paris. Sie sind
       schockiert von der Armut der Bevölkerung, die Schwestern entfremden sich
       noch mehr, als sie dies ohnehin schon sind.
       
       ## Verbotene Bündnisse
       
       Albert nutzt den Besuch, um die Salonière Madame de Staël und Thomas
       Jefferson zu treffen – wie Albert ein Freimaurer. Herzog Albert war seit
       1764 in der Dresdner Freimaurer-Loge „Zu den drei goldenen Schwertern“
       aktiv, traf dort die Aufklärer Lessing, Schiller und Winckelmann. Die
       Freimaurerei wurde im Habsburgerreich 1793 von Kaiser Franz I. verboten,
       wie überhaupt das Verhältnis zwischen Herzog Albert und Kaiser Franz I.
       immer schwieriger werden sollte.
       
       Vor allem wegen Alberts geliebtem Adoptivsohn Carl, ein Feldherr, der in
       der Schlacht bei Aspern 1809 Napoleon seine erste Niederlage erleiden ließ
       und dafür von ihm bewundert wurde. Für Franz I. hingegen hatte Napoleon nur
       Spott übrig. Diese und andere Geschichten erzählt die Ausstellung in der
       Albertina auch.
       
       Ihre Besucher lockt die Albertina mit Dürers Hasen ins Haus. In Wien prangt
       er auf Plakaten an jeder zweiten Straßenecke. Mimi und Berti sind nicht so
       berühmt wie der berühmteste Hase der Welt. Dennoch sind es nicht nur die
       bekannten Meisterwerke, die in der Ausstellung überzeugen. Hans Baldungs
       Zeichnung „Saturn“ von 1516 etwa ist nachhaltig irritierend. „Saturn“ ist
       ein Bildnis aus dem Übergang zur Neuzeit, das nicht bloß ein Individuum,
       sondern einen Geisteszustand festhält. Ein Mann mit grauer, trockener Haut,
       tiefliegenden Augen, krausem Haar – so stellte man sich damals einen
       Melancholiker vor.
       
       ## Das erste Mal
       
       Aber Klaus Albrecht Schröder, seit dem Jahr 2000 Leiter der Albertina, mag
       recht haben, wenn er sagt, es sei die „Macht des ersten Mals“, das die Aura
       von Dürers Hasen und Dürers „Selbstbildnis des Dreizehnjährigen“ ausmache.
       War Dürer doch der erste Künstler, der mit fotografischer Präzision ein
       Tier im Aquarell festhielt, ihm einen eigenständigen künstlerischen Rang
       verlieh und damit erstmals über die Tradition der Musterblätter des 15.
       Jahrhunderts hinausging. So wie jenes Selbstbildnis zu den ersten bekannten
       selbstständigen Porträtdarstellungen der abendländischen Kunst zählt.
       
       Mit Schröder hat sich das Profil der Albertina verändert. Sie ist nicht
       mehr nur ein Ausstellungshaus für Grafik, sondern besitzt nun eine
       Gemäldesammlung der klassischen Moderne und zeigt Ausstellungen der
       Gegenwartskunst. Das hätten in Wien viele lieber anders gesehen, gibt es
       doch schon einige andere Orte, die sich der Gegenwartskunst annehmen.
       
       Und die aufklärerischen Tendenzen von Mimi und Berti – wie weit gingen sie
       wirklich? Schröder erklärt den Gegensatz von prunkvollem Leben und
       aufklärerischen Ideen „nicht als Schizophrenie von Personen, sondern als
       Schizophrenie der Epoche“. Dass Albert seiner Mimi in Wien das erste
       öffentliche Grabdenkmal für eine Frau errichten ließ, das ganz ohne
       christliche und adlige Symbolik auskommt, liest er als weiteren Beweis für
       dessen aufklärerische Gesinnung.
       
       ## Die Zukunft der Museen
       
       Schröder beschäftigt ein ganz anderes Problem. Kein kleineres als die
       Zukunft der Museen überhaupt. Noch vor wenigen Jahren sei die Öffnung der
       Institution Museum in den städtischen Raum und für bildungsferne Schichten
       das Thema gewesen. Aktuell müsse es jedoch eher um die Reflexion dessen
       gehen, was die Digitalisierung und die Auflösung des Privaten für die Art
       der Betrachtung und die Formen des Wissens bedeute. Vielleicht wird also
       längst dem Museum als Instanz das Wasser abgegraben?
       
       In Wien, so darf man getrost einräumen, wird das vielleicht langsamer
       vonstatten gehen als anderswo. Denn Wien, wo noch immer die Herzen der
       Habsburger in Seide gewickelt im Herzgrüftel in der Augustinerkirche und
       ihre Eingeweide unter dem Stephansdom wie Gurken in Fässern ruhen, dieses
       Wien ist immer noch wie ein alter Mann in einem viel zu großen Anzug.
       
       20 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tania Martini
       
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