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       # taz.de -- Record Store Day in Deutschland: Wichtiger als Weihnachten
       
       > Am Samstag locken limitierte Auflagen Fans und Schnäppchenjäger in die
       > Plattenläden. Der Mainstream verdient prächtig mit.
       
   IMG Bild: So gemütlich kann es in einem Plattenladen am Record Store Day sein.
       
       BERLIN taz | Für ein bislang unveröffentlichtes Album des 2011 verstorbenen
       New Yorker Musikers Gil Scott-Heron würde ein echter Fan sicher sein
       letztes Hemd geben. Am Record Store Day diesen Samstag ist dieses Album im
       Berliner Plattenladen „Mr Dead & Mrs Free“ auch tatsächlich erhältlich –
       allerdings nur in kleiner Stückzahl in dem Geschäft im Stadtteil
       Schöneberg. Schon das letzte Album des Künstlers habe sich anständig
       verkauft, sagt Katharina Winkels, eine der drei InhaberInnen.
       
       An interessierter Kundschaft wird es also nicht mangeln – im Gegenteil:
       „Man fühlt sich am Record Story Day wie auf einem Kindergeburtstag mit
       einer halben Tüte Kekse in der Hand“, sagt Winkels. „Wenn wir um elf Uhr
       aufmachen, stehen die Leute vor der Tür bereits Schlange.“
       
       Der Record Store Day ist eine US-Erfindung. Als Antwort auf die Krise der
       Musikindustrie sollte kleinen Plattenläden und Indielabels besondere
       Aufmerksamkeit zuteil werden. Mit limitierten Sonderauflagen werden Kunden,
       die ihre Schallplatten ansonsten aus Bequemlichkeit bei Onlinehändlern
       kaufen, gelockt. Dort können sie nicht nur Sammlerstücke erstehen, sondern
       mit etwas Glück auch ihre Lieblingsband live erleben: Viele kleine
       Plattenläden werden am Record Store Day zur Konzertbühne auf engstem Raum.
       
       Auch hierzulande findet seit zwei Jahren ein Record Store Day statt. Dieses
       Jahr nehmen bundesweit 180 Plattenläden mit fast 500 eigens dafür
       produzierten Titeln im Angebot daran teil. Dazu sind an die hundert
       Live-Gigs geplant – auch bei Mr Dead & Mrs Free: „Die Bereitschaft der
       Bands, umsonst zu spielen, ist hoch“, sagt Katharina Winkels.
       
       ## Feiern von Gemeinschaft
       
       „An dem Punkt geht es nicht ums Verkaufen, sondern um das Abfeiern der
       Community.“ Die Gemeinschaft, das sind für Katharina Winkels die
       „Angehörigen von dem, was wir Rock ’n’ Roll nennen“. Diese Gleichgesinnten
       treffen im Plattenladen aufeinander, sagt Winkels. Gleichzeitig sei das der
       Ort, an dem für Stammkunden Wichtiges von Uninteressantem getrennt werde.
       „Wenn hier jemand reinkommt, will er vielleicht drei Platten kaufen, in
       drei will er nur reinhören und drei empfehlen wir ihm. Und wir sagen auch
       mal ’Die brauchst du nicht‘. Das hat er bei Amazon nicht.“
       
       Doch zum Record Store Day kommen nicht nur Stammkunden. Manche Besucher
       seien schlicht an Schnäppchen interessiert, die sie gewinnbringend direkt
       weiterverkaufen. „Wir nennen es deshalb auch den Ebay-Day“, sagt Winkels.
       
       Gewinn machen wollen die Plattenläden aber auch. Wie die Los Angeles Times
       herausfand, ist der Record Store Day in den USA für die unabhängigen
       Plattenläden inzwischen sogar wichtiger als das Weihnachtsgeschäft. Auch
       für Mr Dead & Mrs Free ist der Tag im April inzwischen der umsatzstärkste
       des gesamten Jahres – dass sie daran teilnehmen, steht also außer Frage.
       
       Kleine Plattenfirmen müssen sich dagegen überlegen, ob es lohnt, speziell
       für den Record Store Day Tonträger zu produzieren. „Wir finden es
       prinzipiell gut, die Plattenläden zu unterstützen“, sagt Florian Zimmer von
       Morr Music. Das Berliner Elektronik-Label hat deshalb im vergangenen Jahr
       extra 500 Exemplare einer Platte für den Record Store Day pressen lassen,
       eine Wiederauflage eines vergriffenen Werks.
       
       ## Onlineshops oder große Ketten sind tabu
       
       Aber die Regeln sind streng: Onlineshops oder große Ketten sind tabu. Das
       ist ungünstig, wenn etwa das Album einer unbekannten Band vorgestellt
       werden soll, für die ein Label gerne alle Vertriebswege nutzen würde, sagt
       Zimmer.
       
       Alben oder Singles bereits bekannter Künstler seien dagegen eine sichere
       Anlage – die können besonders teuer verkauft werden. Viele
       Major-Plattenfirmen haben das inzwischen verinnerlicht. „Die Presswerke
       sind damit beschäftigt, Tausende von Oasis-Neuauflagen oder REM-Alben
       nachzupressen“, steht im Blog von Kudos, einem Vertrieb für kleine
       Indie-Labels in London.
       
       In den Wochen vor dem Record Store Day seien die Presswerke deshalb mit
       Großaufträgen überlastet und kleinere Auflagen würden nicht mehr
       angenommen. „Anscheinend haben die Majors und die größeren Indie-Labels den
       Tag in Besitz genommen“, steht im Blog.
       
       Solche Produktionsengpässe gebe es in Deutschland nicht, sagt Peggy Stürmer
       von der Plattenfirma Celebrate Records. Die Lieferfristen betrügen
       allgemein vier bis fünf Wochen – das sei aber in dieser Jahreszeit normal
       und habe mit dem Record Store Day nichts zu tun. Bei Mr Dead & Mrs Free
       geht man davon aus, dass alle Platten pünktlich zum Samstag geliefert
       werden.
       
       Und dann sind da ja noch die Konzerte. Wer im kleinen Verkaufsraum
       auftreten wird, soll aber eine Überraschung bleiben.
       
       18 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
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