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       # taz.de -- Tannhäuser-Aufführung in Berlin: Gebogene Körper, gespreizte Schenkel
       
       > Choreografin Sasha Waltz und Dirigent Daniel Barenboim sind Berlins neues
       > Bühnen-Dreamteam. Nun feierten sie mit Wagners Tannhäuser Premiere.
       
   IMG Bild: Wagner in Waltz-Spielart am Samstag in der Berliner Staatsoper mit Peter Seiffert als Tannhäuser.
       
       Wer heute das Libretto von Wagners „Tannhäuser“ in die Hand nimmt, wird
       sich ein erstauntes Grinsen beim Lesen der ersten Regieanweisung nicht
       verkneifen können. Noch bevor Tannhäuser seine erste Zeile singt, „Zu viel!
       Zu viel! O dass ich nun erwachte!“, malt das Libretto zur Ouvertüre nämlich
       ein bacchantisches Treiben in der Venusgrotte aus.
       
       Nicht nur die Landschaft und der Duft ändern sich mehrmals, neben
       Amoretten, Kindern und Grazien treten Faune, Nymphen und Satyre auf.
       Liebesumarmungen werden geschildert, die vom Neckenden ins Berauschte und
       weiter ins Wütende kippen. Dieses Bacchanal ist erschöpfend. Kein Wunder,
       dass der von Venus hier gefangen gehaltene Tannhäuser sich mal wieder nach
       Durchatmen auf einer grünen Wiese sehnt.
       
       Dieser ersten Szene eine erotische Gestalt und sinnliche Körperlichkeit auf
       der Bühne zu verleihen, die nicht allein vom genüsslichen Auf- und
       Abschwellen der Musik evoziert wird, zögern allerdings viele Regisseure, zu
       nahe liegt die Gefahr von Kitsch und Lächerlichkeit. Sasha Waltz wagt es in
       ihrer ersten Inszenierung einer Wagner-Oper – es ist nicht die erste
       Kollaboration mit Dirigent Daniel Barenboim, aber jene, der man in Berlin
       am meisten entgegenfieberte.
       
       ## Züngeln, Gleiten, Purzeln
       
       Mit siebzehn Tänzerinnen und Tänzern entfacht die Choreografin ein
       expressives und üppiges Bild vom Balgen der Körper und vom reizenden
       Necken. Wie vom Pinsel eines Jugendstilmalers entworfen biegen sich die
       Körper symmetrisch, züngeln Arme auf und spreizen sich Schenkel. Das alles
       wird gerahmt von einer kreisrunden Öffnung eines Trichters, durch den immer
       wieder neue Körper von hinten nachgleiten, während die vordersten
       herauspurzeln.
       
       Diese Ouvertüre ist vergnüglich. Daniel Barenboim dirigiert die
       Staatskapelle Berlin mit großer Lust daran, die ganze Fülle zwischen
       verhaltenem, zartem Klang und dem vollen Aufbrausen auszukosten, die Orgie
       tobt, die Spannung wächst. Wenn Tannhäuser und Venus endlich auftreten und
       um seinen Abschied streiten, scheint die Erregung ihrer Stimmen die
       faunischen Gestalten zu noch mehr Übermut zu befeuern.
       
       Aber damit ist auch schon viel von dem benannt, mit dem sich die
       Inszenierung von Sasha Waltz von anderen Wagner-Aufführungen unterscheidet.
       Keine weitere Szene mehr bietet dem Tanz so viel Raum.
       
       ## Schweres Gewand der Oper
       
       Zwar begleiten Tänzer noch viele weitere Szenen: Sie mischen sich als
       flinke Springsinsfeld unter die gravitätische Jagdgesellschaft, der
       Tannhäuser in der Außenwelt begegnet. Sie umspielen die Prozession der
       Pilger, der Tannhäuser sich anschließen muss, mit Gesten des Flehens und
       Büßens und bilden am Hofe der Wartburg eine flirtverliebte Hofgesellschaft.
       Aber all das ist mehr wie ein zusätzlicher Saum an das schwere Gewand der
       Oper gehäkelt.
       
       Als Sasha Waltz vor zehn Jahren ihre erste Oper inszenierte, „Dido &
       Aeneas“ von Henry Purcell, war das eine staunenswert durchchoreografierte
       Oper, in der Chor und Tänzer verschmolzen und die Gesangssolisten selbst
       von den Tänzern mit in die Bewegung genommen wurden. „Tannhäuser“, ihre
       vierte Operninszenierung, bleibt dagegen eine Oper mit Tanz – wenn die
       Anteile auch deutlich höher sind als sonst.
       
       Nun ist Waltz nicht allein für den Tanz, sondern für die ganze Regie
       verantwortlich – und die ist dann doch sehr gelungen. Die Bühnenräume sind
       großzügig und abstrakt. Im dritten Akt, der von der Trauer Elisabeths, die
       sich von Tannhäuser verraten fühlt und ihm dennoch verzeihen will, erzählt
       und vom Mitleiden Wolframs, der ein Freund der beiden ist und tief
       getroffen von ihrer Verzweiflung, schafft diese eine große Konzentration.
       
       Es sind nur Nebel und sparsames Licht um diese beiden. Diese Bilder lassen
       der Musik einen Raum, der sie weit über den konkreten Augenblick hinaus
       ausgreifen lässt.
       
       ## Ausgezeichnete Sänger
       
       Das ist auch den ausgezeichneten Sängern zu verdanken, die die Staatsoper
       für diesen ersten Wagner von Waltz engagiert hat. Peter Mattei als Wolfram,
       Peter Seiffert als Tannhäuser, Tobias Schnabel als Biterolf, Ann Petersen
       als Elisabeth – sie singen ihre Rollen nicht nur mühelos und großartig,
       sondern scheinen sich in dieser Inszenierung auch zu Hause zu fühlen.
       Niemanden scheint hier die Aura eines Gesangsstars zu umgeben.
       
       Die Wagner-Sänger überragen übrigens fast alle den Chor und die Tänzer um
       einen Kopf mindestens – was oft zu Bildern führt, in denen die Sängerkörper
       von den Tänzern umrankt werden. Auch ihre Biografien im Programmheft sind
       viel länger, voll der renommierten Engagements. Es mutet ein wenig so an,
       als ob hier etwas Schweres und etwas Leichtes aufeinandertreffen.
       Letztendlich aber bleibt Wagner Wagner, und man fragt sich schon, warum der
       Luftgeist Waltz ausgerechnet dem seine Liebe erklären muss.
       
       13 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Katrin Bettina Müller
       
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