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       # taz.de -- Michael Sailer: In corpore sano
       
       > Schwabinger Krawall: Er, sagt der Kevin, habe gehört, in Amerika könne
       > man ein Sportabitur machen, das komme also in Deutschland sicher auch
       > bald.
       
       Der Kevin ist beim Schwänzen erwischt worden. Das ist dumm gelaufen, weil
       die Mama eigentlich zum Elternsprechtag gar nicht gehen wollte, sondern
       sich lieber erholen. Dann ist sie aber doch hingegangen und hat die Mutter
       vom Solkan getroffen, dem Banknachbarn vom Kevin.
       
       Wo er letzten Montag um zwölf gewesen sei, fragt sie beim Abendessen den
       Kevin, der etwas mit „Schule“ grummelt. Warum ihn dann die Frau Özcan um
       dieselbe Zeit mit dem Solkan beim Süßwaren-Vogt getroffen hat, will die
       Mama wissen und erfährt, die Frau Özcan sei eine „Kuh“.
       
       Darum gehe es nicht, mischt sich Onkel Rainer ein, der ein rotes Gesicht
       hat, weil der Kevin die Entschuldigung mit seinem Namen unterschrieben und
       als Begründung „akut mangelnde Bewegung“ angegeben hat. Es habe sich, sagt
       der Kevin, lediglich um Religion gehandelt, da lerne man eh bloß Mist, beim
       Vogt hätten sie sich nur schnell einen Kaugummi geholt und seien dann zum
       Fußballspielen in den Luitpoldpark gegangen.
       
       Den ganzen Tag, schreit er, müsse er in dieser Schule herumhocken und
       Schmarrn lernen, der ihm später sowieso nichts bringe, und dabei wisse
       jeder, dass ein Fünftel aller bayerischen Schüler Übergewicht habe, und
       wenn er nicht Fußball spiele, dann werde er am Ende so ein fetter Mops wie
       der Religionslehrer, und einen solchen körperlichen Zustand könne man sich
       in der heutigen Zeit auf keinen Fall mehr erlauben, schließlich lebe man in
       einer Leistungsgesellschaft.
       
       Die Mama seufzt resigniert und sagt, Leistung gebe es nicht nur beim
       Fußball, sondern auch geistig. Darauf pfeife er, sagt der Kevin, denn das
       sehe man nicht und davon habe man auch nichts. Wenigstens, denkt die Mama,
       sagt er noch nicht „Selbstverwirklichung“, und schlägt vor, wenn der Kevin
       partout keine Lust mehr auf die Schule habe, brauche er das nur definitiv
       zu äußern. Dann könne er nach der neunten Klasse gerne eine Lehre als
       Sachbearbeiter anfangen. Das will der Kevin auch nicht, denn zwar habe er
       vom Schulterror genug, aber lernen müsse er auch nichts anderes mehr.
       
       Mit einer solchen Einstellung, brüllt Onkel Rainer, der sich derweil ins
       Wohnzimmer zum Fernsehen zurückgezogen hat, sei er ja sehr gespannt, was
       aus dem Kevin einmal werden solle, weil ein Abitur und ein Studium könne er
       sich mit einer solchen Einstellung ebenso abschminken wie irgendeine Art
       von sonstiger Karriere. Der langsam verebbende Rest seiner Rede wird
       übertönt von einem Nachrichtenbeitrag zur forcierten Bildungsoffensive der
       neuen Bundesregierung und einer Ankündigung der „Körperwelten“-Ausstellung
       im Olympiapark.
       
       Er, sagt der Kevin, habe im Übrigen gehört, in Amerika könne man ein
       Sportabitur machen, das komme also in Deutschland sicher auch bald, und
       wenn nicht, sei ihm das im Grunde genommen egal, weil er auf lange Sicht
       sowieso etwas werden wolle, wofür man weder Abitur noch Lehre brauche,
       sondern bloß gute Muskeln. Was er denn da in Gottes Namen werden wolle,
       fragt die Mama, und der Kevin sagt im Brustton tiefster Überzeugung:
       „Plastiniert.“
       
       10 Apr 2014
       
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