URI: 
       # taz.de -- Ruandisches Tagebuch Folge 3: Die Kunst des Neuanfangs
       
       > Mal was Schönes aus Kigali: Besuch bei Fred, der eine neue Kulturszene
       > aufbauen hilft. „Wir werden es schaffen“, sagt er optimistisch.
       
   IMG Bild: Der Maler Fred Kagame in den Uburanga Arts Studios.
       
       Dienstag 8. April. Um 6 Uhr morgens ist es schon so hell draußen, dass ich
       nicht mehr schlafen kann. Also mache ich einen ausgieben Spaziergang durch
       Downtown-Kigali. Es herrscht schon geschäftiges Treiben auf den Straßen.
       Ich schlendere herum, die Leute tuscheln hinter mir her. Eine Muzungu
       frühmorgens zu Fuß in Downtown sieht man hier nicht jeden Tag. Ich muss
       schmunzeln: So sehr sich Ruanda verändert, so sehr werden manche Dinge wohl
       immer gleich bleiben.
       
       Ich beschließe, die Künstlervilla „Uburanga Arts Studio“ zu besuchen - die
       Künstler, die ich an meinem Ankunftsabend getroffen habe. Mit einem
       Motorrad-Taxi fahre ich nach Kimihurura, ein Stadtteil ein gutes Stück
       außerhalb des Zentrums. Ich muss ziemlich lange verhandeln, um nicht einen
       völlig überteuerten Preis zu bezahlen.
       
       Das Tor ist offen, ich trete ein. Ein großer schöner Garten mit vielen
       Bäumen, Skulpturen stehen verstreut auf der Wiese, hängen zwischen den
       Ästen, überall Bilder und Installationen. Fred führt mich durch den Garten
       und dann ins Haus: Atelier, Gallerie, Werkstatt. Acht Künstler haben sich
       hier vor vier Jahren zusammengetan, die Wände sind behangen mit Bildern in
       den unterschiedlichsten Stilen, abstrakt, realistisch, manche knallbunt,
       manche düsterer.
       
       Fred ist von Anfang an dabei. Als er noch zur Schule ging, kam er immer am
       Wochenende, seit 2011 ist er hauptberuflich Künstler. Ein Bild von ihm mit
       bunten Vögeln hängt direkt neben der Eingangstür. Vögel sind seine
       Lieblingstiere, sagt er: sie symbolisieren für ihn den Wandel des Lebens,
       sie inspirieren die Leute. „Vögel stehen für die Freiheit und Afrika
       braucht Freiheit“, erklärt er.
       
       ## „Pure Rwandan“
       
       Fred erzählt mir, dass er im Kongo geboren wurde, seine Eltern mussten in
       den 60er Jahren aus Ruanda vor den Massakern an Tutsi flüchten. Im Dezember
       1994, da war er 4 Jahre, ist die Familie nach Ruanda gekommen. Viele
       Völkermörder waren damals aus Ruanda vor der RPF nach Goma geflohen, die
       kongolesische Großstadt direkt hinter der Grenze, und fingen an, auch dort
       Tutsi umzubringen.
       
       Fred gehört zu der jungen Nachgenozid-Generation. Ich frage ihn, wie er die
       Ruander wahrnimmt. Gibt es für ihn noch Tutsi und Hutu? Er sieht mich
       erstaunt aber auch ein wenig empört an. „Ich fühle mich als Ruander“,
       erklärt er mir, „a pure Rwandan“. Auch wenn es früher Diskriminierungen
       gab, werde so ein Hass nie wieder entstehen. „Wir bauen gemeinsam unsere
       Zukunft als Ruander auf!“
       
       Fred hat vier jüngere Geschwister. „Kinder sind die Opfer der Probleme
       dieser Welt“, ist er überzeugt. Auch deswegen hat er letzten Dezember
       begonnen, mit Kindern aus der Nachbarschaft eine Tanzgruppe auf die Beine
       zu stellen. Sie lernen traditionelle ruandische Tänze, Fred träumt davon,
       eines Tages mit seiner Gruppe auf Festivals aufzutreten und die ruandische
       Kultur in der Welt bekannt zu machen. „Wir leiden unter dem Image, ein Land
       voller Mörder zu sein, doch wir werden es schaffen, dieses Bild zu
       überwinden.“
       
       ## Kunst hat in Ruanda noch wenig Stellenwert
       
       Von seinen überschaubaren Einnahmen kann er die Tanzlehrer nicht
       finanzieren, deshalb ist er auf der Suche nach Sponsoren. Das ist nicht
       leicht in Ruanda. Kunst muss sich erst noch einen Stellenwert in dieser
       Gesellschaft erringen. Auf ihrer Facebook-Seite kann man schon längst die
       Kunstwerke des Uburanga Arts Studio bewundern und amit ihnen in Kontakt
       treten. Aber ihre Gemälde können sie in der Regel nur an Ausländer
       verkaufen - neben einer Galerie betreiben sie einen Shop im
       Dutyfree-Bereich des Flughafens von Kigali.
       
       Den Ruandern fehlt - noch - die monetäre Wertschätzung für diese Arbeiten.
       Auch gute Materialien sind in Ruanda noch nicht zu bekommen. Acryl-Farben
       müssen sie teuer aus Uganda oder Kenia beziehen.
       
       Kunstunterricht kennt man an Ruandas Schulen nicht, deshalb bieten Fred und
       seine Mitstreiter auch Zeichenklassen an. Die Nachfrage ist enorm. Fred ist
       davon überzeugt, dass man mit Kunst nicht nur Lebensmut erschaffen, sondern
       auch die Gesellschaft verändern kann. “Mein größter Traum ist eine
       Ausstellung in Europa“, sagt Fred.
       
       Plötzlich zieht sich der Himmel wieder zu. Wolkenbruch. Es will gar nicht
       mehr aufhören zu regnen. Da fällt mir ein, dass es gestern, am Tag der
       großen Gedenkfeiern, gar nicht geregnet hat - zum Glück, im Stadion wären
       wir abgesoffen. Lachend frage ich Fred, was er denkt, wie Präsident Kagame
       das wohl hinbekommen hat. Wir müssen beide herzlich lachen. Fred heißt
       übrigens auch Kagame. Mit dem Präsidenten ist er aber nicht verwandt.
       
       Zum Schluss zeigt Fred mir noch die T-Shirts, die Augustin bedruckt: in
       blau-gelb-grün prangt da der Schriftzug „Muzungu“ (Weißer). Das muss ich
       einfach haben.
       
       9 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Marie-Claude Bianco
       
       ## TAGS
       
   DIR Ruanda
   DIR Kigali
   DIR Schwerpunkt Völkermord in Ruanda
   DIR Ruanda
   DIR Ruanda
   DIR Ruanda
   DIR Ruanda
   DIR Ruanda
   DIR Völkermord
   DIR Ruanda
   DIR Ruanda
   DIR Ruanda
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 8: Auch ein wenig mein Land
       
       Zum Abschluss ihres Ruanda-Aufenthalts zieht unsere Autorin Bilanz – Bilanz
       ihrer Reise und eine Bilanz des Wandels in Ruanda.
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 7: Wider die Perspektivlosigkeit
       
       Safi musste mitansehen, wie ihre Mutter 1994 zerhackt wurde, und sie hat
       keine Angehörigen mehr. Jetzt will sie etwas tun für die Kinder der
       Völkermordüberlebenden.
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 6: Die gute Frau von Kaduha
       
       Die deutsche Ordensschwester Milgitha rettete 1994 viele Tutsi. Ihr Orden
       hat sich von ihr losgesagt, aber Ruanda ist für sie zur Heimat geworden.
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 5: Deutschland liegt in Kigali
       
       Ruanda? Hinter deutsch anmutenden Reihenhäusern geht es zum deutsch
       geförderten Kwetu-Filminstitut und schließlich zur Station der Deutschen
       Welle.
       
   DIR Aufarbeitung des Genozids in Ruanda: Herr Professor vor Gericht
       
       Lange Zeit weigerten sich westliche Staaten, Täter an Ruanda auszuliefern.
       Mit neuem Vertrauen in die Justiz des Landes hat sich das geändert.
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 4: Alptraum als Wirklichkeit
       
       Der bisher schwerste Gang unserer Autorin: Ein Besuch in Ruandas zentraler
       Gedenkstätte in Gisozi 20 Jahre nach dem Völkermord.
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 2: Dieses kranke Land
       
       Immer wieder Schreie und Zusammenbrüche. Ich habe Gänsehaut. Was haben
       diese Frauen auszuhalten! Die Mörder sind alle noch hier.
       
   DIR Ruandisches Tagebuch Folge 1: Tag der Ankunft
       
       Marie-Claude Bianco, die in der taz ihre Erinnerungen an Ruanda 1994
       aufgeschrieben hat, ist zur Gedenkwoche nach Kigali zurückgekehrt.
       
   DIR Erinnerung an den Völkermord in Ruanda: Draußen knallen Schüsse
       
       Unsere Autorin wuchs in Deutschland auf. Geboren wurde sie in Ruanda. Im
       Frühjahr 1994 beginnt das Morden in dem Land. Da macht sie dort gerade
       Urlaub.