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       # taz.de -- Debatte Umweltpolitik: Fracking statt Putin
       
       > Heimisches Schiefergas als Erlöserphantasie: Teile der Union wollen mit
       > Fracking die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen reduzieren.
       
   IMG Bild: Küssen gegen das Böse: Zwei Demonstrantinnen zeigen, was sie vom Fracking halten.
       
       Bundeskanzlerin Angela Merkel verteilte in Sachen Krimkrise
       Beruhigungspillen und schwang auf dem Europa-Parteitag der Union am
       Wochenende gleichzeitig die Peitsche. Niemand wolle den Gesprächsfaden zu
       Putin abreißen lassen, so die CDU-Vorsitzende, aber notfalls werde die EU
       zu harten wirtschaftlichen Sanktionen greifen.
       
       Bisher beließen es die Europäer bei eingefrorenen Konten und
       Reisebeschränkungen für ein gutes Dutzend russischer Krimschurken. Kritiker
       monieren, dass wegen der fatalen Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen
       – die EU bezieht ein Drittel ihres Gasbedarfs aus Putinland – ein scharfer
       Sanktionskurs nicht möglich sei, weil uns sonst die Russen den
       sprichwörtlichen Gashahn zudrehen. Dann halten wir „im Winter nur einen
       Monat durch“, rechnete der Spiegel vor und hatte gleich eine Lösung parat:
       Bevor wir den „Gaskrieg mit Russland“ riskieren oder schnatternd den
       Kirschbaum aus Nachbars Garten verheizen, sollten wir dringend über eine
       andere Option nachdenken: Fracking.
       
       ## Und selbst die SPD
       
       Inzwischen haben auch mehrere CDU-Granden die Krimkrise genutzt, um die
       fast schon vergessene Technologie der Erdgasgewinnung durch das Einpressen
       von Chemikalien-Wasser-Cocktails in die Erdkruste wiederzubeleben. Der
       stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Michael Fuchs sieht Fracking als
       Chance, um uns „unabhängig zu machen von anderen Lieferanten“.
       CSU-Ex-Verkehrsminister Peter Ramsauer, der inzwischen dem
       Wirtschaftsausschuss des Bundestags vorsteht, will „die Fracking-Option
       dringend offenhalten“, um „Versorgungssicherheit und Preisstabilität“ zu
       gewährleisten, und selbst SPD-Parteichef und Wirtschaftsminister Sigmar
       Gabriel hat „gehört“, dass die Fracking-Unternehmen jetzt „daran arbeiten,
       ein wesentlich besseres Verfahren zu entwickeln, das muss man neu
       beurteilen“.
       
       Fracking statt Putin? Heimisches Schiefergas aus Mettmann (NRW) oder
       Bötersen (Niedersachsen) statt Gazpromlieferungen aus Sibirien? Es ist eine
       typisch deutsche Energiedebatte, die aus der Krimkrise erwächst. In keinem
       anderen Land verstellt seit jeher eine Überdosis ideologischen Betons die
       Rationalität, wenn es um Energie aus Uran, Sonne oder aus den Tiefen der
       Erdkruste geht. Ein Fünfminuten-Telefonat mit dem Erdgaslieferanten
       Wintershall hätte genügt, um den Aberwitz einer Substitution von auch nur
       10 Prozent der russischen Erdgaslieferungen durch Fracking in den nächsten
       zehn Jahren zu offenbaren.
       
       Schon der Zeithorizont macht klar, dass es mindestens bis 2020 dauern
       würde, bis Probebohrungen realisiert, Standorte ausgesucht und genehmigt,
       die Infrastrukturen aufgebaut, Verbindungen zum Gasnetz gelegt und die
       ersten Frackings niedergebracht wären. Optimistisch betrachtet, könnte
       Erdgas aus Fracking dann vielleicht ab Mitte des nächsten Jahrzehnts 2 bis
       3 Prozent unseres heutigen Gasbedarfs decken.
       
       ## Nicht jede Technologie
       
       Realistisch betrachtet wird sich Fracking in einem eng besiedelten Land wie
       der Bundesrepublik mit einer umweltsensibilisierten Bevölkerung aber
       niemals zur ernsthaften Alternative entwickeln. Inzwischen hat die
       gesellschaftliche Restvernunft auch im Unionslager ihren Platz. Thüringens
       Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht hat verstanden, dass „wir nicht
       jede Technologie brauchen, ich bin strikt dagegen“. Und sie ist nicht die
       Einzige in der Union. Heilsam sind die Luftbilder aus den USA, wo die
       Landschaft von tausenden Bohrtürmen perforiert ist wie von MG-Salven.
       
       Während in Deutschland einige Energieveteranen alten Atomschlags vom
       Fracking träumen, verfliegt in den USA, der Supermacht der
       Schiefergasexploration, gerade die große Euphorie. Die Investitionen in die
       Ausbeutung von Schiefergas und -öl sind dort dramatisch abgestürzt.
       Ausländische Kapitalgeber hatten noch 2011 über 30 Milliarden Dollar
       investiert. Ein Jahr später waren es noch 7 Milliarden, vergangenes Jahr
       nur noch 3,4 Milliarden. Und die großen US-Frackingfirmen kämpfen gegen
       riesige Schuldenberge. Marktführer Chesapeake, einst der große Star am
       Börsenhimmel, musste Gasfelder und Pipelines im Wert von 6,9 Milliarden
       Dollar verkaufen, um seine dramatischen Schulden abzutragen. Shell hat
       Wertberichtigungen von 2 Milliarden Dollar auf sein US-Frackinggeschäft
       vornehmen müssen. Das Defizit von 80 großen Firmen lag 2013 zusammen bei
       50,6 Milliarden Dollar. Fracking lohnt sich nicht! Und taugt nicht als
       Erlöserfantasie. Die Gaspreise müssen schon kräftig anziehen, um
       auskömmliche Geschäfte zu garantieren.
       
       ## Peak Fracking ist erreicht
       
       Zudem ist im US-Bundesstaat Texas der Peak der Förderung bereits
       überschritten. Ob dies auch für die gesamten USA gilt, müssen die
       Förderquoten der nächsten Jahre zeigen. Der Münchner Energieexperte Werner
       Zittel, einer der seriösen Beobachter des US-Frackingsbooms, glaubt, dass
       die USA zumindest bei der Gasförderung ihren Höhepunkt überschritten haben.
       Beim Öl rechnet er 2015 bis 2017 mit dem Peak. Wer sich die Verbrauchs- und
       Förderzahlen der USA ansieht, der sieht sofort, dass auch die
       selbstgefälligen Ankündigungen, die USA würden unabhängig von Öl- und
       Gasimporten werden, nicht mehr als eine schöne Illusion waren. Letztlich
       steht hinter den überzogenen Hochrechnungen der Fracking-Potenziale nichts
       anderes als der alte Glaube an die unbegrenzte Welt mit unendlichem
       Wachstum und unbegrenzter Energie. Doch die Schätzungen der Gas- und
       Ölvorkommen mussten immer wieder korrigiert werden. In Polen, lange Europas
       großer Hoffnungsträger in Sachen Fracking, sind die taxierten Vorkommen
       inzwischen um 90 Prozent geschrumpft.
       
       Es passt ins Bild der Debatte, dass die einzigen Energieträger, die
       tatsächlich in gewaltigen Mengen verfügbar sind und die in den vergangenen
       Jahren Energieimporte aus dem Ausland in erheblichem Maße ersetzt haben, in
       der Krimkrise kaum erwähnt werden: Sonne, Wind und Co. Aber warum
       Solarkollektoren oder -module aufs Dach setzen, wenn man auch mit Millionen
       Tonnen in den Untergrund gepresster Giftbrühe und Gas aus aufgeknackter
       Erdkruste das Duschwasser heiß machen kann.
       
       8 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Manfred Kriener
       
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