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       # taz.de -- Retrospektive Rembrandt Bugatti: Ein vergessener Bildhauer
       
       > Die Alte Nationalgalerie in Berlin zeigt eine hinreißende Retrospektive
       > des Tierbildhauers Rembrandt Bugatti, der zu Unrecht kaum bekannt ist.
       
   IMG Bild: Die Skulptur „Grasendes Nilpferd“ aus dem Jahr 1909 in der Berliner Alten Nationalgalerie.
       
       Die Nationalgalerie in Berlin hütet, als einziges Museum in Deutschland,
       ein Werk Rembrandt Bugattis (1884–1916) in ihrer Sammlung: eine 1905
       gegossene „Französische Bulldogge“, „klein wie eine Maus“, wie Philipp
       Demand, Leiter der Alten Nationalgalerie, bei der Pressekonferenz zur
       weltweit ersten großen musealen Einzelausstellung des Tierbildhauers sagte.
       
       Trifft man dann auf den Hund, der wie sämtliche Exponate auf einem
       Vierkantstahlgestell steht, erkennt man: Ja, er ist nicht viel größer als
       eine Maus, aber doch eine entschieden eindrucksvolle Hundepersönlichkeit.
       
       Nicht weniger hinreißend ist Bugattis Skulptur des eigenen, „Wurst“
       genannten Hunds (1905). Etwas der Leichtigkeit Vergleichbares, mit der er
       dem vertrackten Charme dieses kräftigen Kerls von einem Dackel seinen
       besonderen Ausdruck gibt, dürfte schwer zu finden sein. Sie dürfte aus der
       Schnelligkeit herrühren, mit der Bugatti seine Tiere in einem einzigen
       Durchgang modellierte – nachdem er sie allerdings tage- oder auch
       wochenlang beobachtet hatte.
       
       Der 1884 in eine – sein Vorname sagt es schon – künstlerisch ambitionierte
       Familie geborene Bildhauer war ein Naturtalent. Schon als 16-Jähriger
       stellte er, der nie eine Kunstakademie besucht hatte, 1901 erstmals eine
       Gipsplastik auf der Frühjahrsausstellung in Mailand aus. 1903 war er schon
       auf der Biennale von Venedig vertreten.
       
       ## Vertrag mit einem Galeriesten
       
       Und 1904 nahm ihn dann der Gießer und Galerist Adrien-Aurélien Hébrard
       unter Vertrag. Als einer der ersten limitierte er die Auflage der Güsse;
       Bugatti, den er regelmäßig in Paris ausstellte, erhielt durch ihn ein
       überschaubares, doch regelmäßiges Einkommen über monatliche Zahlungen, die
       Hébrard am Ende des Jahres mit den Einnahmen aus der Produktion
       verrechnete.
       
       Er stand sich eigentlich nicht schlecht, der junge Mann, der 1903 mit
       seiner Familie nach Paris kam, dem Zentrum der künstlerischen Avantgarde.
       Doch Picasso, Braque, Modigliani oder Brancusi und ihre Formexperimente
       interessierten ihn offenkundig nicht. Ihn interessierten die Tiere im Zoo.
       
       Mit den Elefanten, Löwen, Geiern, Antilopen oder Nashörnern war er ohnehin
       unterwegs in die Moderne, soweit sie die Emanzipation von der Last
       überkommener Traditionen meint. Denn keinerlei akademisches Regelwerk
       belastet etwa die Darstellung der Exoten im Zoo von Antwerpen, wo sich ab
       1906 das Leben von Rembrandt Bugatti vornehmlich abspielte. Dass die
       künstlerische Beschäftigung mit dem Tier um die Jahrhundertwende und zu
       Beginn des 20. Jahrhunderts boomte, lag auch daran, dass diese
       Beschäftigung an sich einen Aufbruch zu neuen Ufern markierte.
       
       ## Futurismus eingeschlossen
       
       Rembrandt Bugatti dürfte denn auch der erste europäische Bildhauer gewesen
       sein, der einen Vogel wie den Jabiru oder ein Säugetier wie den Ameisenbär
       darstellte, eine Konfrontation, die per se zu neuen Formideen führte. Der
       „Große Ameisenbär“, den der junge Künstler 1909 schafft, rollt sich denn
       auch zu einer Art futuristisch-technoiden Tierscheibe zusammen, wie man sie
       so noch nicht gesehen hatte.
       
       Auch das geschiente Bein der Kudu-Antilope ist kein Tabu. Es ist nur Grund
       eines vorsichtigeren Verhaltens der ganzen Tiergruppe, dem Bugatti im
       statischen Gruppenporträt dreier Antilopen um „Die Verletzte Mutter“ (1911)
       Rechnung trägt. Sonst aber liebt der Bildhauer seine Tiere in Bewegung.
       Diese seine besondere Faszination am Tier gestalterisch zu benennen, gelang
       Bugatti mit seiner „Kuh mit gedrehtem Kopf“ (1901) denn schon ganz früh.
       
       ## Exzentrik lag in der Familie
       
       Trotzdem verkörpert Bugattis unvergleichliches Werk eine andere, eigene
       Moderne, jenseits der gängigen Entwicklungsgeschichte der Skulptur von
       Rodin oder Maillol hin zu Brancusi, Lipchitz oder Archipenko. Im Sinne
       einer Fortschrittslogik unzweifelhaft modern war dagegen das Werk seines
       älteren Bruders Ettore, der Autos baute. Auch er verausgabte sich an
       exzentrische Meisterwerke, allen voran der legendäre „Royale“ mit 300 PS,
       der sechsmal gebaut, aber nur dreimal verkauft wurde.
       
       Als Ettore 1926 den „Kleinen dressierten Elefanten“, den sein Bruder ihm
       1903 als Petschaft für sein Siegel modelliert hatte, auf die Kühlerhaube
       der Limousine setzte, war Rembrandt schon zehn Jahre tot.
       
       Durch den Ausbruch des Krieges 1914 gerät Rembrandt Bugatti in eine
       katastrophale Lage: der Kunstmarkt bricht ein, sein Gießer Hébrard gibt
       auf, im Oktober besetzen die Deutschen Antwerpen. Der Zoo wird geschlossen
       und zu einem Lazarett umfunktioniert, viele der Tiere, denen Bugattis
       Zuneigung gehörte, werden getötet. Er meldet sich zum belgischen Roten
       Kreuz und kommt so in direkten Kontakt mit den Grausamkeiten des Krieges.
       Gesundheitlich und finanziell angeschlagen, geht er für ein Jahr zu seiner
       Familie nach Mailand. Dann fährt er nach Paris, wo er sich am 8. Januar
       1916 das Leben nimmt.
       
       ## Star auf dem Kunstmarkt
       
       Danach wurde er von der Kunstgeschichte vergessen. Nur die Sammler hielten
       ihm die Treue. Ähnlich seinem Vater Carlo, dessen Möbel heute bei Auktionen
       Höchstpreise erzielen, wurde er zu einem Kunstmarktstar. Der Rundgang durch
       die Alte Nationalgalerie, wo seine Skulpturen jetzt – platziert im Kontext
       der kanonisch abgesicherten Kunst – umso lebendiger und eindrücklicher
       wirken, macht deutlich, wie verdienstvoll es ist, dass all die mächtigen
       Büffel, sprungbereiten Tiger und zierlichen Antilopen, insgesamt fast 100
       Plastiken, aus den Privatsammlungen heraus in die Öffentlichkeit geholt
       wurden.
       
       Jetzt stehen seine nubischen Löwen vor der „Rückkehr zur Heimat“, dem
       großartigen Gemälde seines Onkels Giovanni Segantini, und sie sind formal
       nicht weniger großartig und kunsthistorisch nicht weniger bedeutungsvoll.
       Denn auf unerhörte und einzigartige Weise spricht Bugattis „Sitzender
       Jaguar“ (1908) die Fragilität der Moderne an. Eben weil es kein Trost ist,
       sich daran zu erinnern, dass es noch nicht ausgemacht ist, wer in nicht
       allzu ferner Zukunft als Erster von dieser Erde verschwinden wird, das Auto
       oder das Tier.
       
       9 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Brigitte Werneburg
       
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