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       # taz.de -- NS-Archäologie: Freigelegte Geschichte
       
       > Am Bunker „Valentin“ in Bremen graben Studierende Reste einer alten
       > Betonmischanlage aus - Spuren einer mörderischen Baustelle.
       
   IMG Bild: Mühsame Suche nach den Spuren der Bunker-Baustelle: ein Bremer Geschichts-Student
       
       BREMEN taz | Im Grunde ist alles gut dokumentiert. Denkt man. „Wir wissen,
       was uns hier erwartet“, sagt auch Uta Halle, die Landesarchäologin. Immer
       wieder ließen die Bauherren die Arbeiten am Bunker „Valentin“
       fotografieren, wobei die oft gestellten Bilder das Leid der über 10.000
       ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenen und KZ-Häftlinge vielfach nur erahnen
       lassen. Kommt der Besucher heute nach Farge, sieht er davon kaum etwas. Das
       ändert sich gerade – dank zwölf Geschichtsstudierenden der Uni Bremen. Sie
       holen Spuren der Baustelle an die Oberfläche.
       
       Die Natur hat das umzäunte Gelände rund um den monströsen Bunker längst
       zurückerobert. Nur da und dort ragen Betonreste hervor. In ein paar Jahren
       könnte es hier, direkt hinter dem Deich, fast idyllisch aussehen.
       
       Mehrere Tausend Menschen starben ab 1943 an diesem Ort, durch
       Unterernährung und Krankheiten, willkürliche Tötungen und unmenschliche
       Arbeitsbedingungen. „Jedes Opfer muss gebracht werden“, hatte Großadmiral
       Karl Dönitz gesagt, einer der Hauptverantwortlichen des Baus. Die hier zu
       bauenden U-Boote, so hofften die Nazis, würden ihnen doch noch den
       „Endsieg“ bringen.
       
       Die Betonmischanlagen, deren Überreste die StudentInnen bereits ein Stück
       weit freilegten, waren ein zentraler Arbeitsplatz. Die Überlebenden
       beschreiben sie als einen der gefährlichsten Orte der Baustelle. Zugleich
       gehören die Fundamentreste dieser Anlagen zu den wenigen Relikten, die
       wenigstens teilweise erhalten sind. Rekonstruiert werden sie nicht. Doch
       wenn 2015 der Informationsweg rund um die nationale Gedenkstätte eröffnet
       wird, ist diese Ausgrabung eine zentrale der 20 Stationen.
       
       Im Boden hat sich die unterste Holzstufe der Treppe erhalten, über die die
       Zwangsarbeiter 50 Kilo schwere Zementsäcke auf die Mischanlage schleppten.
       Sie soll, einmal konserviert, im „Denkort Bunker Valentin“ ausgestellt
       werden. Daneben sieht man Überreste einer Feldbahn, die Kies und Sand zur
       Anlage brachte. Die Schienen fehlen, vermutlich wurden sie nach dem Krieg
       eingeschmolzen. Relikte der Täter und Opfer haben die Studierenden nicht
       gefunden, auch keine Überreste früherer Besiedlungen. Farge und Rekum sind
       seit der Jungsteinzeit bewohnt, der Geestrücken ist hochwassergeschützt und
       fruchtbar.
       
       Dennoch, sagt Halle, war die Grabung auf der Bunker-Nordseite ein Erfolg:
       Sie habe mehr zu Tage gefördert, als zuvor angenommen. Auch
       Zivilisationsmüll: Gummibärchentüten aus den Siebzigern oder ein alter
       Turnschuh. Die Studierenden verpacken alles in säuberlich beschriftete
       Plastiktütchen. Sie sollen lernen, wie Archäologen ihre Quellen gewinnen,
       wie das überhaupt ist, im Feld zu forschen.
       
       Für Johanna Purwin, neuntes Semester, ist die Lehrgrabung die erste
       praktische Erfahrung. Ist es öde, mit dem Schäufelchen eine Woche zu
       graben? „Man findet genug“, sagt sie, „die Motivation bleibt erhalten.“
       Zehn StudentInnen wollte Halle zunächst mitnehmen, zwölf haben sich
       beworben, mit Motivationsschreiben. Alle wurden genommen.
       
       Dabei ist zeitgeschichtliche Archäologie für Halle eher fremd. Sie ist
       Professorin für Ur- und Frühgeschichte, und dass nach den Angaben eines
       Fotos gegraben wird, ist auch für sie neu. Dieser Zweig der
       Geschichtswissenschaft habe sich erst in den letzten zehn Jahren etabliert.
       In kleinen Details zeigt sich nun an der Erdoberfläche, was aus Bildern und
       Texten allein bislang nicht klar hervorgeht. Und auch neue Fragen tauchen
       auf: Woher kommen all die Schlackestückchen, die hier liegen? Wie
       funktionierte die Wasserversorgung?
       
       Weitere Grabungen sind vorerst aus finanziellen Gründen nicht geplant. Im
       Sommer gibt es zumindest noch ein internationales Workcamp. Am Ende muss
       alles, was freigelegt wird, auch konserviert werden. Da ist es doch
       einfacher, es wächst einfach Gras drüber.
       
       6 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Jan Zier
       
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