URI: 
       # taz.de -- Kölner Subkultur gegen Investoren: Auf der falschen Seite
       
       > In Köln steht erneut eine Institution der Subkultur vor dem Aus. Das
       > Gebäude 9 in Deutz soll einem Wohngebiet weichen. Schnell formiert sich
       > Protest.
       
   IMG Bild: Verwaschene Klinker am Kölner „Gebäude 9“
       
       Wer ins Gebäude 9 will, hat immer eine kleine Reise vor sich, die über den
       Rhein hinüber nach Deutz führt und deren letzter knapper Kilometer zu Fuß
       zurückgelegt werden muss. Von der Stadtbahnhaltestelle zwischen
       mehrspuriger Verkehrsstraße, Messehotels und Tankstelle aus geht es vorbei
       an den mächtigen Messehallen, unter der schweren Betontrasse der Zoobrücke
       hindurch, immer geradeaus durch fast suburbanes Gebiet, und erst nach
       einiger Zeit eröffnet sich links plötzlich der Zugang zu einem Hinterhof
       zwischen alten, leicht heruntergekommenen Industriehallen. In einer dieser
       Hallen: das Gebäude 9, das man in Köln nur „das Gebäude“ nennt.
       
       Letzte Woche Dienstag, es ist ein lauer Frühlingsabend, die Sonne ist
       gerade untergegangen. Lampionketten baumeln über den Bierbänken vor dem
       alten Gemäuer, die Stimmung ist gut, denn King Krule spielt hier gleich ein
       Konzert. King Krule heißt mit bürgerlichem Namen Archy Samuel Marshall, er
       ist 19 Jahre alt und das Abziehbild eines britischen Milchbubis: Diesem
       schmalen Kerlchen mit Segelohren, roten Haaren und Sommersprossen würde man
       erst mal nicht die komplexe Musik zwischen Jazz, Blues und Indierock
       zutrauen, die Marshall macht. Er gilt als einer der großen Hoffnungen des
       Pop, das Gebäude ist ausverkauft und erlebt ein großartiges Konzert.
       
       Doch es sieht so aus, als hätte hier die letzte Konzertsaison begonnen. Ein
       neuer Investor will die alten Industrie-Hinterhöfe in ein Wohngebiet
       verwandeln, die Stadtteilverwaltung hat es schon beschlossen: das
       „Euroforum Nord“, beste Innenstadtlage, Rheinnähe, gute Anbindung. Von 200
       bis 300 Wohnungen im höherpreisigen Segment ist die Rede, ein Konzertclub
       in unmittelbarer Nähe ist wegen der Lautstärke nicht haltbar. Die
       Kündigungen sind raus, nächstes Jahr könnte die Abrissbirne kommen.
       
       ## Rettung auf Facebook?
       
       Die Kölner Popkulturszene ist schockiert – und organisiert Protest. Knapp
       15.000 Unterstützer haben sich innerhalb von nicht mal zwei Wochen auf
       Facebook zusammengefunden, fast genauso viele eine Onlinepetition
       unterzeichnet. Künstler wie Thees Uhlmann, Frank Spilker, Stephen Malkmus,
       Von Spar und andere melden sich mit Statements und Videobotschaften zu
       Wort. Sie alle fordern: Das Gebäude 9 muss gerettet werden.
       
       Schon am Abend des Tages, an dem die Nachricht vom drohenden Aus öffentlich
       wird, hört man aus der Stadtpolitik, dass die breite Empörung aus dem
       Internet für Verunsicherung der Politik sorgt. Man arbeite jetzt im
       Hintergrund mit Hochdruck an einer Lösung, mit der alle Seiten leben können
       – offenbar hat keiner geglaubt, dass so eine alte Halle irgendwo auf der
       anderen Rheinseite vielen Menschen viel bedeuten kann.
       
       Es sind immer wieder die vielversprechenden, jungen Künstler wie King
       Krule, die hier auftreten, und nicht selten setzen sie danach an zur großen
       Karriere. Das herausragende Booking mit dem guten Gespür für die richtige
       Band zum richtigen Zeitpunkt ist ein Grund dafür, warum immer wieder viele
       Menschen zwischen (gefühlt) 17 und 60 Jahren den Weg auf die als falsch
       verschriene Rheinseite auf sich nehmen. Im vergangenen Jahr erst wurde das
       Gebäude 9 von dem damaligen Kulturstaatsminister Naumann mit dem
       Spielstättenprogrammpreis der Bundesregierung ausgezeichnet. Dieser Preis
       ging erstmals an Konzertorte und Clubs, die „ein kulturell herausragendes
       Livemusikprogramm im Bereich Rock, Pop und Jazz“ anbieten. Eine bizarre
       Vorstellung, dass ein solcher Club ein Jahr später um seine Existenz
       fürchten muss.
       
       ## Nicht der einzige Mieter
       
       Zwar hat die Politik in Aussicht gestellt, mit den Betreibern nach einem
       alternativen Standort zu suchen, um das Gebäude 9 anderswo wiederaufbauen
       zu lassen. Doch kann man einen subkulturell gewachsenen Ort einfach
       abreißen und an anderer Stelle wiederaufbauen, ohne dass er Charme und
       Credibility verliert? Jan van Weegen, einer der Clubbetreiber, hat da seine
       Zweifel. Ohnehin sei bisher noch niemand mit konkreten Vorschlägen auf ihn
       zugekommen und auch auf den Dialog mit dem neuen Investor, der Frey AG aus
       Köln, habe man bisher vergeblich gewartet. Durch den öffentlichen Druck ist
       zumindest jetzt eine Zusage erreicht: Der Investor und die Betreiber werden
       sich bald zusammensetzen.
       
       Das Gebäude 9 mag der prominenteste Mieter dieser alten
       Industrie-Hinterhöfe sein, aber allein ist es nicht. Dort, wo früher die
       Kölnische Gummifädenfabrik beherbergt war, hat sich als „Kunst- und
       Gewerbehof“ kreatives Gewerbe angesiedelt: Zahlreiche freie Künstler haben
       hier ihre Ateliers, es gibt eine Theaterbau- und Schreinerwerkstatt, eine
       Fahrradwerkstatt, eine Autowerkstatt und ein großes Künstlerhaus, das
       KunstWerk. Jan van Weegen vom Gebäude 9 sagt, dass der Hof nur miteinander
       funktioniert, und Elise Teitz vom KunstWerk rechnet vor, dass mit der
       direkt angrenzenden Elektrofabrik, die auch abgerissen werden soll, die
       Arbeitsplätze von insgesamt 400 Menschen betroffen sind.
       
       Zugpferd des Protests ist aber das Gebäude 9 – denn die popkulturelle Seele
       der Kölner ist arg gebeutelt. Erst Ende Februar musste der Stecken
       schließen, ein so kleiner wie legendärer Kellerschuppen im Belgischen
       Viertel, der für seine Jazz-Livesessions, aber auch sein ausgewählt
       internationales DJ-Booking bekannt war. Nach über 20 Jahren Clubbetrieb
       tritt an seine Stelle jetzt der Heizungskeller eines komplett renovierten
       Hauses, dessen Wohnungen zu weit höheren Preisen vermietet werden sollen
       als zuvor. Der Stecken ist nur einer von vielen Fällen: Underground,
       Schrebergarten, Papierfabrik, Sensor, Odonien, Kantine, Bel Air – sie alle
       haben Probleme mit der Stadt oder wurden schon abgerissen.
       
       ## Ein Problem über Köln hinaus
       
       Dieses Problem ist natürlich kein kölnspezifisches. Die Bar 25 in Berlin,
       das Molotow und die Esso-Häuser in Hamburg, das Atomic Café in München, der
       Musikbunker in Aachen, das FZW in Dortmund – gerade lokale Kulturpolitik
       pflegt aus unerfindlichen Gründen nach wie vor nur die sogenannten
       hochkulturellen Spielstätten und vergisst dabei, wie wichtig die freie
       Entfaltung von Subkultur für das kulturelle Leben einer Großstadt ist.
       
       Der Stadtentwicklungsausschuss der Stadt Köln hat den Beschluss über das
       Euroforum Nord am vergangenen Donnerstag um gut einen Monat vertagt – mit
       ausdrücklichem Hinweis auf das breite öffentliche Interesse solle die neu
       gewonnene Zeit genutzt werden, um eine gemeinsame Lösung für allen
       Beteiligten zu finden. Überraschend war im Ausschuss sogar die Rede davon,
       es sei „Konsens“, dass das Gebäude 9 erhalten bleiben müsse. Die Nachricht
       wurde allgemein mit Freude aufgenommen, belegt sie doch, dass der
       kurzfristig organisierte, kreative Protest im Internet allen Unkenrufen zum
       Trotz bei den Entscheidungsträgern immerhin angekommen ist.
       
       Und doch: Beschlossen ist nichts, und auch eine inhaltliche Diskussion über
       Möglichkeiten und Alternativen wurde nicht geführt. So kann es für den
       Kunst- und Gewerbehof auch in der nächsten Sitzung am 8. Mai immer noch um
       alles oder nichts gehen. Danach bleibt nicht mehr viel Zeit: Am 25. Mai
       sind Kommunalwahlen. Bis dahin muss das Thema durch sein.
       
       Oberbürgermeister Jürgen Roters von der SPD äußerte im vergangenen Dezember
       im Gespräch mit dem Autor eine bemerkenswerte Meinung: „Es ist ganz, ganz
       wichtig, dass es für unkonventionelle, neue Musikformen oder auch einfach
       für nicht durch und durch kommerzialisierte Musikformen Platz geben muss in
       unserer Stadt. Das halte ich für ganz, ganz wichtig. Und wir müssen auch
       sehen, dass wir andere Bereiche finden, vielleicht auch im
       Rechtsrheinischen, wo sich so was entwickeln kann.“ Das Gebäude 9 steht
       schon seit 18 Jahren auf der rechten Rheinseite.
       
       1 Jan 1970
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Benjamin Weber
       
       ## TAGS
       
   DIR Subkultur
   DIR Gentrifizierung
   DIR Köln
   DIR Immobilienmarkt
   DIR Immobilienmarkt
   DIR Immobiliengeschäfte
   DIR Jugendarbeit
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Soziale Proteste: Jugendzentrum zum Nulltarif
       
       Bündnis "30 Prozent mehr Zukunft" fordert zwei Millionen Euro Nachschlag
       für offene Jugendarbeit: "Freizi"-Besetzung unterstreicht Handlungsbedarf.
       
   DIR Städtebau in Berlin: "Die Armen rücken zusammen"
       
       Neue Lebensformen machen die Stadt attraktiver, sagt Architektursoziologe
       Harald Bodenschatz.
       
   DIR Zweifel an Verkäufen: Deal mit Geschmäckle
       
       Der Verkauf der städtischen Immobilien könnte ein windiges Geschäft gewesen
       sein, vermutet die Linksfraktion. Zweifel wegen Kaufpreis und personeller
       Verflechtung.
       
   DIR Immobilienspekulation: Schöner und schlimmer Wohnen
       
       Während die Gewoba das Ergebnis von Architekturwettbewerben für Neu- und
       Umbau-Ideen präsentiert, fällt eine „Heuschrecke“ über 9.500 Bremer
       Wohnungen her.