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       # taz.de -- Oliver Polak über Rassimus und Humor: „Das ist eben Teil dieses Landes“
       
       > Oliver Polak wuchs in der einzigen jüdischen Familie in einem deutschen
       > Provinzstädtchen auf. Heute macht er auch darüber Witze.
       
   IMG Bild: „In Berlin kommt man überall mit Jogginghose rein, ob in die Synagoge oder ins Cookies“: der Comedian Oliver Polak.
       
       taz: Herr Polak, der ist schick, dieser Jogginganzug. 
       
       Oliver Polak: Danke, aber das ist gar kein Jogginganzug.
       
       Was denn dann? 
       
       Das ist eine einzelne Jogginghose und eine separat gekaufte Jacke, die
       zufällig eine ähnliche Farbe hat. Nein, ich trage fast nie Jogginganzüge,
       aber Jogginghosen dafür nahezu immer.
       
       Die Jogginghose ist zu Ihrem Markenzeichen geworden. Was sagt uns das über
       Oliver Polak? 
       
       Gar nichts. Das fing schon als Kind an. Ich fand Jogginghosen schon immer
       superbequem. Karl Lagerfeld hat zwar gesagt: Wer Jogginghosen trägt, hat
       die Kontrolle über sein Leben verloren. Aber ich sehe das anders: Neben den
       Jogginghosen besitze ich zwar auch zwei Anzüge und sogar zwei Smokings,
       aber die trage ich nicht mal zum Filmball, sondern nur, wenn es wirklich
       wichtig ist. Also eigentlich nur, wenn ich zum Udo-Jürgens-Konzert gehe.
       
       Man kommt also mit Jogginghose selbst in die Synagoge? 
       
       Die sind doch froh um jeden, der kommt. Nein, in Berlin kommt man überall
       mit Jogginghose rein, ob in die Synagoge oder ins Cookies. Probleme gibt es
       nur in Papenburg …
       
       Papenburg im Emsland, wo Sie aufgewachsen sind. 
       
       Da komme ich in Jogginghose nicht mal in die Dorfdisco. Obwohl die
       Türsteher selbst aussehen, als seien sie gerade aus dem Caritas-Container
       geklettert. Das ist doch absurd.
       
       Haben Sie schon mal über eine eigene Modelinie nachgedacht? 
       
       Nie ernsthaft.
       
       Trotzdem: Wie sähen die von Ihnen entworfenen Joggingklamotten aus? 
       
       Es gäbe zwei Linien: eine schlichte, schwarze Linie und eine knallige,
       bunte. Man braucht doch was zum Anziehen für die alltäglichen depressiven
       Stunden – und was für die Zeiten, wenn man gut drauf ist. Und Bündchen sind
       natürlich ein Muss. Überall.
       
       Die Jogginghose soll uns also sagen: Hauptsache, bequem, egal, was die
       anderen sagen. 
       
       Nein, keine Botschaft. Stand-up-Comedy bedeutet doch in den USA in der
       ursprünglichen Bedeutung, dass jemand aufsteht, sich auf eine Bühne stellt
       und etwas erzählt. Und so mache ich das auch: Ich spiele keine Rolle, ich
       verkleide mich nicht. Ich gehe so auf die Bühne, wie ich bin. Das ist
       Stand-up. Mir ist zwar vieles egal, aber das drücke ich nicht durch meine
       Kleidung aus.
       
       Das bringen Sie in Ihrem neuen Programm in einem Satz auf den Punkt: „Mir
       ist eh scheißegal, ob ihr mich für rassistisch, eklig oder geschmacklos
       haltet, mir ist nur wichtig, dass ihr denkt, dass ich dünn bin.“ Ist es
       Ihnen wirklich egal, wenn man Sie für einen Rassisten hält? 
       
       Ja, ich weiß ja, dass ich kein Rassist bin.
       
       Ist das so einfach? 
       
       Wahrscheinlich nicht. Klar, es gibt Witze in meiner Show, die sind blanker
       Rassismus. Aber weil es Rassismus gibt, findet der eben auch in meiner Show
       statt. Ich erzähle auf der Bühne aus dem Alltag, und da begegnen einem nun
       mal immer wieder Rassismus und Antisemitismus.
       
       Hat der Antisemitismus zugenommen? 
       
       Man merkt hier in Berlin schon, dass in letzter Zeit öfter so Sätze fallen
       wie: Da hat dieses nette, kleine Restaurant aufgemacht, das gehört einem
       Juden. Da hat ein Jude zwei Häuser gekauft. Da merkt man schon, dass die
       alten Ressentiments wieder aufkommen. Das ist eben Teil dieses Landes. Ich
       werde damit nur notgedrungen öfter konfrontiert als andere. Aber so ein
       bisschen Rassismus steckt doch in jedem von uns. Der gehört zur
       Grundausstattung, die mitgeliefert wird.
       
       Um diese Grundausstattung geht es in Ihrem neuen Programm, „Krankes
       Schwein“. 
       
       Wenn man so will. Ich sage: Ich bin ein krankes Schwein. Die Frage ist
       aber: Wer ist es eigentlich nicht? Es geht erst einmal um mich, um meine
       Perspektive und meine Gefühle, aber auch um das kranke Schwein in uns
       allen. Es geht zwar um Pädophilie, Sodomie, Rassismus, Antisemitismus,
       Homophobie …
       
       Auch um Vergewaltigungen. 
       
       Ja, auch darum. Aber ich glaube, das wichtigste Thema der Show ist die
       Einsamkeit. Sartre hat gesagt: Wenn du dich einsam fühlst, wenn du allein
       bist, dann bist du in schlechter Gesellschaft.
       
       Was ist so schön daran, das Schwein auf der Bühne rauszulassen? 
       
       Ich lass das ja nicht nur auf der Bühne raus, sondern auch privat – so wie
       jeder andere auch. Aber ich mochte das schon als Kind: bei Menschen auf
       gewisse Knöpfe drücken und sehen, was passiert. Und bis heute macht mich
       die Gleichschaltung der Gesellschaft, dass alle immer ganz genau wissen,
       was man darf und was man nicht darf, diese Gleichschaltung der
       Unterhaltungskultur, die macht mich wahnsinnig. Also erzähle ich, was ich
       will. Hauptsache, es ist lustig.
       
       Und wie findet das Ihre Mutter, die Sie in Ihrem Buch als sehr dominant
       beschreiben, wenn Sie sich auf der Bühne wieder mal danebenbenehmen? 
       
       Meine Mutter hat mittlerweile realisiert, dass wir in zwei verschiedenen
       Welten leben. Wir sind ein bisschen wie Israel und Palästina: Sobald der
       eine was sagt, flippt der andere total aus. Das neue Tourneeplakat …
       
       … auf dem sie, fotografiert von Daniel Josefsohn, nackt zu sehen sind … 
       
       Ja, genau, das hat meine Eltern sehr schockiert.
       
       Warum trauen Sie sich mehr als andere? 
       
       Sich trauen, das war noch nie eine Kategorie für mich. Ich hatte schon
       immer eher das Problem, dass ich sagen musste, was ich denke. Ich musste
       nur im Laufe der Jahre feststellen, dass man damit oft aneckt. Deshalb ist
       es schön, dass ich mittlerweile mit der Bühne einen Ort gefunden habe, wo
       ich das konstruktiv umsetzen kann.
       
       Stand-up als Therapie? 
       
       Nein, die habe ich eher nebenbei mit einem Profi gemacht.
       
       Gibt es Themen, über die Sie dann doch keine Witze machen würden? 
       
       Es gibt Grenzen, aber ich kann die nur schwer definieren. Für mich gibt es
       einfach Sachen, über die ich Witze machen will – und andere, über die ich
       keine machen will. Das spüre ich. Vielleicht kann man es so erklären: Ich
       mache, auch wenn mir das oft vorgeworfen wurde, keine Witze über den
       Holocaust. Ich mache Witze darüber, wie die Menschen mit dem Holocaust
       umgehen. Zu mir kommen Leute, die meinen, mir erzählen zu müssen, dass sie
       letztens in Auschwitz waren mit Rainbow Tours – und dass man das keinem
       empfehlen kann. Da denk ich mir natürlich: So ein Zufall, ich hab
       Verwandte, die waren vor einiger Zeit auch dort und sehen das ganz genauso.
       Die hatten immerhin das Glück und mussten nicht mit Rainbow Tours fahren.
       
       Die Grenze wäre dann vielleicht, dass Sie keine Witze über Opfer reißen. 
       
       So pauschal kann man das auch nicht sagen. Ich bin ja selbst oft genug das
       Opfer meiner eigenen Witze. Meine Grenze ist vor allem: Ich muss es witzig
       finden. Und nur weil jemand sagt, er kann nicht über den
       Vergewaltigungswitz lachen, heißt das noch lange nicht, dass er im Recht
       ist. Sarah Silverman …
       
       … die US-Komikerin … 
       
       … hat letztens gesagt: Vergewaltigungen sind nicht lustig, aber Witze
       darüber können witzig sein. So sehe ich das auch. Es ist doch so: Oft
       fühlen sich die Leute angegriffen durch einen Witz. Aber dieser Witz ist
       wie ein Spiegel. Denen, die sich empören, die den Saal verlassen, sage ich:
       Regt euch nicht über den Witz auf, sondern über die Ursache. Engagiert euch
       doch, aber lasst uns Komiker in Ruhe.
       
       Kann ein Judenwitz lustig sein? 
       
       Judenwitze sind eine Erfindung der Nazis. Die haben keine doppelte Ebene,
       die haben keinen zusätzlichen Dreh, die sind nicht witzig. Die sind einfach
       antisemitisch. Punkt. Thomas Hermanns hat mal gesagt: Je größer das Tabu
       ist, desto besser muss der Witz sein.
       
       Können Sie leichter Tabus brechen? Trauen sich viele nicht, Juden zu
       kritisieren? 
       
       Wenn es so wäre, fände ich das schlimm. Aber ich glaube, dass es eher
       umgekehrt wäre. Indem ich Witze über Vergewaltigungen reiße, biete ich
       Antisemiten eine zusätzliche Angriffsfläche. So wie sich der Antisemitismus
       hierzulande gern hinter einer Kritik am Staat Israel versteckt. Aber um das
       noch mal zu betonen: Es geht um Witze, es geht um Unterhaltung – und im
       besten Falle ist die intelligent.
       
       Ich habe das Gefühl, dass es für die meisten deutschen Komiker gar nicht so
       wichtig ist, das Publikum zum Lachen zu bringen. Wichtiger ist es, gemocht
       zu werden. Die meisten Komiker in Deutschland versagen in ihrem Job. Es
       gibt Musiker wie Deichkind, Carsten „Erobique“ Meyer oder Farin Urlaub von
       den Ärzten, die einen einsamen Kampf an der Humorfront kämpfen. Ich habe
       noch nicht mal was gegen einen wie Mario Barth. Ich finde den zwar nicht
       komisch, aber der bringt die Leute zum Lachen. Aber Cindy von Marzahn finde
       ich tragisch. Das hat doch nichts mit Humor zu tun.
       
       Was ist denn guter Humor? 
       
       Guter Humor muss Vorurteile zerstören, nicht bestätigen.
       
       Und das können hierzulande nur wenige? 
       
       Nur sehr wenige. Da fallen mir eigentlich nur Carolin Kebekus und Serdar
       Somuncu ein. Und bei Serdar weiß ich noch nicht mal, ob das überhaupt
       Stand-up ist, was er macht. Ich glaube, das ist eine eigene Kunstform, die
       er da entwickelt hat. Das ist echt, das ist gewaltig, das hat eine Energie,
       der man nicht entgehen kann, und da gibt es ein politisches Anliegen.
       
       Sie haben kein Anliegen? 
       
       Ich hab nur das Anliegen, auf die Bühne zu gehen und meine Geschichten zu
       erzählen.
       
       Das klingt so harmlos. Wenn man aber Ihre Show sieht, hat man den Eindruck,
       da gibt es eine größere Dringlichkeit. Da ist jemand wütend, da muss jemand
       was rauskotzen.
       
       Ja, klar, es gibt Wut. Es gibt auch Angst und Freude. Mal hat das eine mehr
       Gewicht, mal das andere. Es geht vor allem um Wahrhaftigkeit.
       
       Somuncu will sein Publikum mit Beschimpfungen und Angriffen sprichwörtlich
       aus der Fassung bringen, in seinen Grundfesten erschüttern, um es damit zum
       Nachdenken zu bringen. 
       
       Das finde ich großartig, aber mir ist das eher fremd.
       
       Das, was Sie machen, ist zwar kein klassisches politisches Kabarett, aber
       es ist trotzdem fürchterlich politisch – oder nicht? 
       
       Ich glaube, ich bin politisch unpolitisch. Natürlich nehme ich das alles
       wahr und verarbeite das. Ich höre von der NSA und denke, die sind doch nur
       sauer auf Edward Snowden, weil er ihre Privatsphäre nicht respektiert hat.
       Aber ich komme aus dem Lachen nicht mehr raus, wenn Oliver Berben sagt, er
       müsse unbedingt das Leben von Anne Frank verfilmen, weil es, so seine
       Begründung, bislang noch keine deutsche Produktion gebe.
       
       Dann denke ich: Keine deutsche Produktion? Die Ermordung von Anne Frank war
       eine deutsche Produktion. Und dann dreht meine Fantasie durch, und ich
       frage mich, was wäre eigentlich gewesen, wenn ich Anne Frank gewesen wäre.
       Die hätten mich zweimal abholen müssen: einmal, weil ich Jude bin. Und das
       zweite Mal, weil ich als Mittdreißiger in Schulmädchenklamotten durch meine
       Wohnung stöckele. Ist das politisch? Die Tatsache, dass es mich gibt, ist
       wahrscheinlich schon politisch.
       
       Wenn Ihr Anliegen schon nicht politisch ist, dann ist es doch zumindest
       moralisch. 
       
       Niemals. Ich möchte ein unmoralisches Angebot sein.
       
       Am allerliebsten aber wären Sie Rockmusiker geworden. 
       
       Vielleicht.
       
       Haben Sie mit dem Badmintonschläger vor dem Spiegel posiert? 
       
       Ja, klar, wie alle. Bei mir war es ein Tennisschläger. Ich habe das lange
       gedacht, dass ich Rockstar werden will. Ich habe ja auch lange als
       Schlagzeuger in Bands gespielt, aber irgendwann war ich müde. Allein der
       Aufwand, das Schlagzeug aufzubauen. Heute brauche ich nur ein Mikrofon.
       Außerdem: Sind Comedians heutzutage nicht die wahren Rockstars?
       
       5 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Thomas Winkler
       
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