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       # taz.de -- Die ungarische Autorin Veronika Czapáry: Die Frau als Hausrat
       
       > Am Sonntag wählen die Ungarn wieder Viktor Orbán. Für Kulturschaffende,
       > die sich nicht anpassen wollen, wird es immer enger. Aber es gibt sie
       > noch.
       
   IMG Bild: Veronika Czapáry.
       
       BUDAPEST taz | Veronika Czapáry bekommt vom Wahlkampf nicht viel mit. Die
       Autorin lebt in einem Haus mit Garten in Budakalász am nördlichen Stadtrand
       von Budapest, wo sie ihr eigenes Gemüse anbaut. Auf diese Weise ermöglicht
       sie sich ein halbwegs eigenständiges Leben, denn ihre beiden bislang
       veröffentlichten Romane haben der 38-Jährigen nicht allzu viel eingebracht.
       
       Die Frau mit dem mädchenhaften Gesicht besitzt keinen Fernseher, sie liest
       keine ungarischen Zeitungen und hört kein heimisches Radio. Nachrichten und
       Informationen holt sie sich aus dem Internet und den ungarischen
       Facebook-Gruppen dissidenter Kulturschaffender. Leidenschaftlich gern hört
       Czapáry den britischen Sender BBC: „Immer wenn ich in dem Radio das Wort
       Ungarn höre, weiß ich, dass schon wieder etwas Schlimmes passiert ist und
       ich mich für mein Land schämen muss.“ Dabei liebt sie ihr Land.
       
       Mit Sprache wird Politik gemacht, und Schriftsteller reagieren besonders
       sensibel auf Sprache. Veronika Czapáry beispielsweise empört sich über den
       Begriff háztartási eröszak. Dieser wird in ungarischen Gesetzestexten
       benutzt, um häusliche Gewalt zu beschreiben. Doch der Begriff bezeichnet
       Hausrat und andere Gegenstände, aber keine Personen.
       
       Für Czapáry, die vor einem halben Jahr ihren zweiten Roman „Puppenzählen“
       („Megszámolt babák“, hier [1][ein Kapitel auf englisch]) veröffentlichte,
       in dem es um Gewalt und sexuelle Misshandlung in der Familie geht, ist
       háztartási eröszak eine Verharmlosung von familiärer Gewalt. „Die Begriffe
       Familie – család – und Gewalt – eröszak – dürfen in Ungarn nicht zusammen
       verwendet werden“, erläutert Czarpáy. „Das schädigt das von Orbán
       propagierte Familienbild. In der Verfassung heißt es: Ungarn schützt die
       Institution der Ehe als eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und
       einer Frau, die durch freiwillige Entscheidung zustande gekommen ist.“ Für
       andere Formen des Zusammenlebens ist da kein Platz.
       
       Premier Viktor Orbán und seine rechtsnationalistische Fidesz regieren seit
       bald vier Jahren mit Zweidrittelmehrheit. Am 6. April wird wieder gewählt,
       und alles andere als ein klares Mandat für vier weitere Jahre wäre eine
       Riesenüberraschung, obwohl auch Orbán selbst mit Stimmenverlusten rechnen
       dürfte. So wurde im Vorfeld ein Wahlgesetz verabschiedet, das der stärksten
       Partei mit wenig mehr als 42 Prozent der Stimmen eine Zweidrittelmehrheit
       zusprechen kann.
       
       ## Nationalistische Dramen bevorzugt
       
       An der Kulturpolitik lassen sich die drastischen Methoden der
       Orbán-Regierung gut nachvollziehen. Moderne, international renommierte
       Kulturmanager verloren reihenweise ihre Posten, Patriotismus und
       Loyalitäten wurden gefördert. 2011 wurde das renommierte Neue Theater, das
       Új Színház, in Budapest an den Intendanten György Dörner vergeben, der
       nationalistische Dramen bevorzugt. Bewährte Theatermacher wie Róbert
       Alföldi bekommen kaum mehr einen Auftrag, international gefeierte Künstler
       wie Dirigent András Schiff oder Literaturnobelpreisträger Imre Kertész
       werden als Nestbeschmutzer geschmäht, weil sie die Regierung kritisieren.
       
       Dass sie überdies Juden sind, macht sie noch „verdächtiger“. Den
       Verdienstorden der Republik bekam letztes Jahr Petrás János verliehen,
       Leadsänger der Rockband Kárpátia. Seine Gruppe wurde durch ihre
       chauvinistischen Texte zur Hausband der faschistischen Jobbik und hat auch
       den Marsch für deren paramilitärische Ungarische Garde geschrieben.
       
       „In Ungarn kannst du keinen Schritt machen, ohne eingeordnet zu werden. Es
       gibt kein Grau, nur Schwarz und Weiß“, sagt Czapáry. Der latente
       Antisemitismus sei unerträglich. In Scharen haben Kulturschaffende in den
       vergangenen Jahren das Land verlassen. Czapáry aber will bleiben, auch wenn
       sie von ihrem einjährigen Londonaufenthalt begeistert war. „Dort ist man
       sofort alarmiert, wenn es zu Gewalt in Familien kommt. Die Menschenrechte
       stehen an erster Stelle. In Ungarn hört die Polizei erst gar nicht zu, wenn
       jemand über Gewalt in der Familie spricht.“
       
       Die ungarische Boheme unterscheidet sich wenig von Künstlerkreisen anderer
       Länder. Man ist links bis linksliberal und schert sich wenig um
       gesellschaftliche Konventionen. Doch die konservative Ideologie der
       Regierung wird mehr und mehr zwangsverordnet, sagt Czapáry: „Ihre
       Vorstellung von Familie, Religion und davon, wie eine Frau sich zu
       verhalten hat, sollen wir alle übernehmen. Die Frau soll zu Hause bleiben
       und sich um die Kinder kümmern. Aber die Wirklichkeit ist doch eine ganz
       andere.“
       
       ## „Frauen zählen nicht“
       
       Als Frau habe man es besonders schwer in Ungarn: „Frauen zählen nicht. Es
       ist mühsam weiterzukommen, wenn man eine Frau ist.“ Ein Abgeordneter, der
       seine Frau geprügelt hatte, musste zwar zurücktreten. Aber eine Debatte
       darüber habe es nicht gegeben. Häusliche Gewalt komme viel häufiger vor,
       als die meisten denken: „Nur zwei von zehn Fällen werden bekannt.“
       
       In ihrem ersten Buch „Mutter lacht“ („Anya kacag“) schrieb Czapáry über die
       Sexualität einer jungen Frau auf Partnersuche. Dabei bediente sie sich
       bewusst derber Alltagssprache. „So reden Frauen im Lokal miteinander, wenn
       sie sich aus ihrem Sexleben erzählen.“ Dafür wurde sie stark kritisiert.
       „Wenn ein Mann das macht, ist er ein toller Hecht – eine Frau darf das
       nicht.“
       
       Die ungarische Gesellschaft, so Veronika Czapáry, sei nicht nur prüde,
       sondern verschlossen: „Man will sich der Vergangenheit nicht stellen. Die
       kommunistische Vergangenheit ist nie aufgearbeitet worden.“ Darin sieht sie
       auch einen Grund, warum sich so wenig Protest gegen den autoritären
       Regierungsstil regt. Zwischen den Menschen in der Provinz und den
       international orientierten gebildeten Schichten in den Städten beobachtet
       auch Veronika Czapáry eine wachsende Kluft: „Fidesz ist auch erfolgreich,
       weil sie die Gedankenwelt der meisten Ungarn trifft.“ Und die leben eben
       auf dem Land. Dort, wo der Großteil der Bevölkerung nur die Nachrichten aus
       dem Radio kennt. Aus dem staatlichen Kossuth Rádio, das Veronika Czapáry
       nie hört.
       
       4 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.hlo.hu/news/doll_count_excerpt_from_the_novel
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Ralf Leonhard
       
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