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       # taz.de -- Kolumne Der Rote Faden: Dumm und dümmer
       
       > Thilo Sarrazin hat einen Schüler gefunden: Akif Pirinçci. Um die
       > Mediendemokratie muss man sich jedenfalls allmählich echte Sorgen machen.
       
   IMG Bild: Noch ein wackeliges Bild. Schlauer wird es nicht
       
       Thilo Sarrazin ist bekanntlich der Meinung, dass Deutschland immer dümmer
       wird und dass das irgendwie daran liegt, dass die Unterschicht die meisten
       Kinder bekommt (und besonders die Einwandererunterschicht). Jetzt gibt es
       für die These zumindest zwei Evidenzen: Erstens, Sarrazin schafft es, in
       steter Abfolge neue Bücher zu schreiben, von denen das jeweils aktuellste
       noch dümmer ist als das vorhergegangene (somit: stetige Zunahme von
       Dummheit); und zweitens hat ein Einwanderer jetzt so ein Sarrazin-Buch
       geschrieben, das noch dümmer ist als die echten Sarrazin-Bücher.
       
       Die Rede ist vom rechten Hassprediger und Hetzschreiber Akif Pirinçci, der
       so doof ist, dass es körperlich schmerzt. Pirinçci hat es mit seiner
       Hassfibel gegen Frauen, Schwule und Zuwanderer jetzt sogar in eine
       ZDF-Mittagssendung geschafft, in der ihm eine trostlos dauerlächelnde
       Moderatorin Stöckchen geworfen hat für die Verbreitung seiner kruden
       Meinungen, die sie zu „interessanten Thesen“ adelte. Dabei handelt es sich
       immerhin um ein Buch, von dem der Rezensent der Zeit schrieb, es erinnere
       „an Adolf Hitlers ’Mein Kampf‘ “, nicht ohne hinzuzufügen: „Ich schwöre,
       ich habe noch nie einen Hitler-Vergleich gezogen in meinem Berufsleben.“
       
       Dass jemand wie dieser Pirinçci überhaupt eine Bühne im
       öffentlich-rechtlichen Fernsehen bekommt, ist, weit über den Einzelfall
       hinausweisend, ein schönes Exempel, wie die Verblödung tatsächlich vor sich
       geht. Denn nehmen wir einmal an, dass weder die Redaktion der ZDF-Sendung
       noch die jämmerliche, mit der Moderation betraute Journalistendarstellerin
       die Thesen des Herrn Pirinçci wirklich teilt, noch sich über deren
       Stichhaltigkeit überhaupt einen Gedanken gemacht hat.
       
       Wenn diese Annahme richtig ist, dann hat sich die Redaktion wohl Folgendes
       gedacht: „Schräge, provokante Thesen, sicherlich das, was man einen
       Aufreger nennt. Das wäre doch ein spannender Gast.“ Was aber nichts anderes
       heißt als: Jeder Depp darf heute daherschwadronieren und erhält eine Bühne,
       wenn nur die Aussicht besteht, dass er nur ausreichend „spannend“ (also
       ausreichend deppert) ist und dass es für seine Einlassungen irgendeine Art
       von Markt gibt, also ein Publikum, das nicht wegzappt.
       
       ## Grundsätzlich optimistischer Geist
       
       Ich habe den leisen Verdacht, dass an dieser unschönen Entwicklung das
       Internet und die mit ihm verbundene Utopie der „Demokratisierung“ der
       Medien nicht ganz unschuldig sind. Mit dieser Idee ging ja die Vorstellung
       einher, dass jeder ein „Sender“ sein könne; dass die undemokratischen
       „Gatekeeper“ in den Mainstreammedien ausgedient hätten – und wie die hohlen
       Phrasen noch alle lauten. Die Dummheit des uninformierten Gebrabbels rüstet
       sich sogar mit einem gehörigen Schuss Arroganz gegenüber jenen angeblich
       vorgestrigen Zeitgenossen, die noch immer glauben, das öffentliche
       Worterheben solle mit so etwas wie bedächtigem Abwägen, Sammeln und
       Überprüfen von Informationen sowie anderen altmodischen Verfahren
       einhergehen.
       
       Aber vielleicht würde uns ein bisschen rigideres Gatekeeping und das
       Hochhalten von Standards guttun. Womöglich sollte man jene verstaubte
       Tugend ein bisschen höher halten, die etwa davon ausging, dass man
       Meinungen schon äußern, aber sie irgendwie begründen können sollte; dass
       nicht jede Meinung gleich viel wert ist; und sich eine „starke“ Meinung
       nicht notwendigerweise im Stakkato der Injurien erweist. Wir werden sehen,
       ob die Menschheit das Internet wird überleben können.
       
       Als grundsätzlich optimistischer Geist, der bei ambivalenten Phänomenen
       durchaus geneigt ist, eher das Positive als das Negative zu sehen, und der
       auch keineswegs den Fortschritt ignoriert und überall nur Verfall ausmacht,
       fällt es mir schwer, so zu formulieren. An sich ist an mir ja kein Oswald
       Spengler verloren gegangen. Aber sagen wir so: Es gibt Fortschritt in der
       Geschichte, aber der blinde Fortschrittsglaube, der annimmt, dass alles in
       der Geschichte notwendig dem Fortschritt zustrebt – „die Enkel fechten’s
       besser aus“ –, steht auf dünner empirischer Grundlage.
       
       „Geschichtsoptimisten haben es schwer heutzutage. Ein bisschen viel
       Backlash auf einmal“, schrieb unlängst mein Freund Georg Hoffmann-Ostenhof
       im Wiener Profil, der normalerweise dem heiligen Glauben anhängt, dass
       alles gut wird. Aber diese Tage haben es auch weltpolitisch in sich:
       Russland auf dem, wenn auch steinigen, Weg zur Demokratie: Na, das stellt
       sich grad nicht so dar. Die Arabische Revolution: In Ägypten endet sie in
       einem Militärregime von Dunkelmännern, die andere Dunkelmänner (die
       Islamisten) in Garnisonsstärke aufs Schafott schicken. Und in der Türkei
       gewinnt ein vollends ins Reaktionäre und Autoritäre gewendeter Erdogan die
       Wahlen. Aber vielleicht gibt es nächste Woche bessere Nachrichten.
       
       4 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Robert Misik
       
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