URI: 
       # taz.de -- Filmstart „Auge um Auge“: Gute Nacht, Amerika
       
       > Larmoyanter Altherrenrock und ein Bilderbuch-Psychopath: „Auge um Auge“
       > von Scott Cooper reanimiert das gute alte Exploitation-Kino.
       
   IMG Bild: Abgehängter Hinterwäldler: Christian Bale als Russell Baze in „Auge um Auge“.
       
       Es ist lange her, dass rauchende Fabrikschlote und brodelnde Hochöfen
       Symbolkraft für die wirtschaftliche Prosperität der westlichen
       Industrienationen besaßen. Die USA importieren Billigstahl aus China, was
       den rechtschaffenen Malocher Russell (Christian Bale) in Scott Coopers
       „Auge um Auge“ nicht gerade optimistisch stimmt.
       
       Seinen alten Job in dem Stahlwerk, in dem schon sein Vater schuftete, hat
       man ihm zwar noch zurückgegeben, aber das Aus der Fabrik ist längst
       beschlossene Sache. Russells Rückkehr an seinen Geburtsort nach einem
       fünfjährigen Gefängnisaufenthalt steht unter keinem guten Stern.
       
       Der Vater ist gestorben, seine Freundin Lena (Zoe Saldana) hat ihn
       verlassen und ist nun mit dem örtlichen Polizeichef (Forest Whitaker)
       zusammen, und sein kleiner Bruder Rodney (Casey Affleck) ist nach vier
       Irak-Einsätzen ein psychisches Wrack. Seine Spielschulden beim
       Kleinstadt-Patron (Willem Dafoe) versucht Rodney mit illegalen Faustkämpfen
       zu begleichen.
       
       Die malerische Eröffnungsmontage zu Pearl Jams larmoyantem Altherrenrock
       ist also bereits als kritischer Kommentar zu verstehen. Zwar läuft im
       Hintergrund noch Ted Kennedys euphorische Unterstützungsrede für Barack
       Obama im August 2008, doch von der Aufbruchsstimmung kommt im „Rust Belt“
       zwischen New York und Pittsburgh nicht mehr viel an.
       
       ## Das inzestuöse Waldvolk
       
       Cooper misst die Krise seiner männlichen Protagonisten an nicht weniger als
       dem Zustand der Nation. Für die Erkenntnis, dass diese Krise unweigerlich
       in Gewalt münden wird, findet sein Film meist sehr naheliegende Bilder. In
       einer Parallelmontage geht Russell mit seinem Onkel (Sam Shepard) auf die
       Jagd, während sich Rodney in einem fingierten Faustkampf in den Wäldern von
       New Jersey freiwillig zu Brei prügeln lässt.
       
       Organisator dieser Kämpfe ist ein Bilderbuch-Psychopath namens DeGroat.
       Eine großartige Rolle für Woody Harrelson, der den Entrepreneur aus dem
       amerikanischen Hinterland (es geht natürlich um Crystal Meth, das er sich
       direkt in die Venen schießt) mit einem hochgradig vegetativen Vitalismus
       verkörpert.
       
       DeGroat ist dann auch die Figur, mit der „Auge und Auge“ das Genre
       wechselt, als wäre die erste Stunde nur eine elaborierte Exposition für
       Coopers eigentliches Thema: die Wiederbelebung des amerikanischen
       Exploitationfilms der siebziger Jahre mit den Mitteln des Starkinos. Ironie
       ist Coopers Sache nicht, er bedient sich seiner filmischen Verweise mit
       einem ungebrochenen Ernst, gegen den selbst Harrelson als lollilutschender
       Hillbilly-Shitkicker wenig auszurichten hat. Als Rodney von dem
       „inzestuösen Waldvolk“ nicht zurückkehrt und die Polizei sich weigert,
       einen Fuß in DeGroats Territorium zu setzen, muss Russell die Sache selbst
       in die Hand nehmen.
       
       „Auge um Auge“ ist ein schwerer, leidender Torso, die Hauptfigur
       eindrucksvoll verkörpert von Bale, der hier noch einmal sein „Dark
       Knight“-Repertoire aus moralischer Resignation und erschöpfter Melancholie
       durchspielen darf. Er hat eine herzzerreißende Szene mit Saldana, in der im
       Grunde schon der ganze Charakter seiner Figur angelegt ist: das Gefühl des
       Abgehängtseins, verletzter Stolz, Wut. Die Rückschlüsse, die Cooper daraus
       für seinen gesellschaftlichen Entwurf zieht, bleiben in der starren
       Genre-Mechanik auf der Strecke. Trotzdem ist es ein Vergnügen, ein
       hochdekoriertes Ensemble aus Oscar- und Pulitzer-Preisträgern an ein derart
       überambitioniertes B-Movie im allerbesten Sinne verschwendet zu sehen.
       
       3 Apr 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Andreas Busche
       
       ## TAGS
       
   DIR Christian Bale
   DIR Film
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
   DIR Filmstart „Transcendence“: Hirn ohne Hüter
       
       Ein Gehirn hochladen? Kein Problem! Einen Film daraus machen? Schon eher.
       Wally Pfisters „Transcendence“ mit Johnny Depp ist eine eher müde Nummer.
       
   DIR Kinostart „Divergent – Die Bestimmung“: Posterwechsel im Mädchenzimmer
       
       Ein Mädchen rebelliert: In „Divergent – Die Bestimmung“ trifft der
       Groschenroman auf Öko-Agitprop, Teenie-Horror aufs Martial-Arts-Drama.
       
   DIR „American Hustle“ auf der Berlinale: Dicklicher Leib in kurzen Hosen
       
       Christian Bale verkörpert in „American Hustle“ von David O. Russell mit
       sensationell schmieriger Verve einen Trickbetrüger.