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       # taz.de -- Ilija Trojanow an die NSA: Zelda, hilf uns!
       
       > Die NSA beschäftigt eine Briefkastentante namens Zelda. Was für eine
       > einmalige Gelegenheit, Antwort auf unsere Fragen zu erhalten!
       
   IMG Bild: Irgendwo hier sitzt Zelda und gibt Ratschläge: NSA-Zentrale im US-Bundesstaat Maryland
       
       Wie wir dank Edward Snowden und der großartigen neuen Website von Glenn
       Greenwald und Jeremy Scahill, [1][www.theintercept.com], vor Kurzem
       erfahren haben, beschäftigt die National Security Agency (NSA) eine
       Briefkastentante namens Zelda. Über das Intranet der Behörde steht Zelda
       den NSA-Mitarbeitern mit Rat zur Seite.
       
       Das ist kein Witz (Geheimdienste sind völlig humorlos), sondern eine
       wunderbare Chance, vielleicht auch als Bürger Antworten zu erhalten auf
       Fragen, die manche von uns seit Monaten vergeblich stellen. Was für eine
       einmalige Gelegenheit, Einblick in eine Welt zu bekommen, die ansonsten
       unzugänglich und undurchdringlich ist. Auch wir benötigen dringend Zeldas
       Ratschläge.
       
       Deswegen habe ich mir erlaubt, ihr einen Brief zu schreiben.
       
       Liebe Zelda, 
       
       als ich klein war, war unsere kleine Wohnung in Sofia verwanzt. Der
       Geheimdienst hörte alle Gespräche mit, die in unserer Großfamilie so
       geführt wurden. Als ich vor Kurzem die Abschriften las, fiel mir auf, wie
       verdächtig selbst die banalste Bemerkung meiner Verwandten wirken musste.
       Sich unter Beobachtung die Unschuld zu bewahren, ist genauso schwer wie vor
       der Kamera die Natürlichkeit. Überwachung und Verdacht sind siamesische
       Zwillinge. 
       
       So war zum Beispiel eine Unterhaltung über das harmloseste aller Themen,
       Socken nämlich, vom zuständigen Beamten an vielen Stellen unterstrichen und
       mit operativen Anmerkungen versehen worden. Klarerweise haben Verdächtige,
       die sich über Socken unterhalten, entweder etwas zu verbergen oder benutzen
       eine Geheimsprache. Stets passt sich die Realität der Paranoia an. 
       
       Zugegeben, liebe Zelda, das Ganze spielte sich in einem totalitären Land
       ab, nicht vergleichbar mit deinem durch und durch demokratischen
       Staatsgebäude, aber du verstehst, worauf ich hinauswill. Wenn ihr
       tatsächlich ein so enormes Vertrauen in die allumfassende Überwachung habt,
       warum geht ihr diesen Weg nicht konsequent zu Ende? Wieso macht ihr nicht
       Nägel mit Köpfen, wieso veranlasst ihr nicht die Überwachung der
       Überwachenden? 
       
       Gerade jene, die sich berufsmäßig durch ein gesundes Maß an Paranoia
       auszeichnen, sollten doch auch der eigenen Behörde, den eigenen Kolleginnen
       und Kollegen misstrauen. Zumal euer Verhalten – diese Geheimniskrämerei,
       diese Ausflüchte, diese Hinhaltetaktik – stark den Verdacht nährt, dass ihr
       etwas zu verbergen habt, was wiederum den Verdacht nährt, dass ihr schuldig
       seid (Regel Nr. 1 der Geheimdiensterei). 
       
       Ich bin guter Dinge, dass auch du, Zelda, der vernünftigen Ansicht bist,
       dass ein jeder von euch rund um die Uhr beobachtet werden sollte. In allen
       Büros müssen Kameras installiert werden, die Webcam sollte 24 Stunden am
       Tag laufen, alle eure Mails und Memos, alle eure Gespräche sollten
       aufgenommen und gespeichert werden. 
       
       Allerdings befürchte ich, dass diese Maßnahmen recht unzureichend sind,
       denn wie du nur zu gut weißt, lauert beim Hinterlistigen das Böse in jeder
       Hirnfalte. Wir sollten jeden Mitarbeiter deiner ehrenwerten Institution
       anspornen, dass er oder sie uns über jeden Hauch eines Verdachts betreffs
       eines Kollegen, einer Kollegin informiert. 
       
       Gerade denjenigen, die ihrer Pflicht besonders eifrig nachkommen, muss in
       besonderem Ausmaße misstraut werden, denn was auf der Oberfläche makellos
       erscheint, dient oft einer besonders raffinierten Tarnung (wie viele Mörder
       können einen tadellosen Lebenswandel vorweisen?). 
       
       Wenn ich’s mir recht überlege, müssen wir den Mut haben, ganze Lösungen zu
       fordern: Erst wenn jeder von euch zum Spitzel gegen alle anderen
       Mitarbeiter in eurer Behörde geworden ist, können sich die Bürgerinnen und
       Bürger beruhigt zurücklehnen, erst dann werden wir vollkommen sicher sein. 
       
       Als Sicherheitskonzept ist die anzustrebende Kontrolle aller durch alle
       nicht nur überzeugend, sondern von einer geradezu atemberaubenden
       Schönheit, in etwa so wie das Konzept der gegenseitigen nuklearen
       Abschreckung im Kalten Krieg. 
       
       Beste Zelda, mir sind jetzt zwar die Augen aufgegangen, aber umso mehr
       bedarf ich deiner Führung. Das Gros der Menschheit tappt nämlich im
       Dunkeln, unwissend, kleingeistig, allzeit bereit, sich in müßige
       Diskussionen zu verlieren, ob die Instrumentarien und das Ausmaß der
       Überwachung gerechtfertigt sind. Sie schrecken zurück vor der befreienden
       Erkenntnis, dass nur die vollständige Überwachung Freiheit und Demokratie
       gewährleisten kann. 
       
       Wie können wir ihnen die Augen öffnen? Manch einer übertreibt die negativen
       Auswirkungen der Überwachung, obwohl bewiesen ist, dass niemand zu Schaden
       gekommen ist, obwohl doch selbst jedes Schulkind weiß, dass es ein
       Verbrechen ohne Opfer nicht geben kann. 
       
       Ausgerechnet Autorinnen und Autoren, meine liebe Zelda, sind solchem
       Vernunftdenken abhold, obwohl sie ihren Lebensunterhalt damit verdienen,
       ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken. Überwachung
       führe zur Selbstzensur, behaupten sie mit erhobenem Zeigefinger.
       Selbstverständlich tut sie das, aber was ist denn schlimm daran, ist doch
       dies die einzig menschenwürdige Form der Zensur, denn sie garantiert die
       Eigenständigkeit des Einzelnen und schützt seine Würde. Wäre es diesen
       uneinsichtigen, dickköpfigen Kreaturen lieber, ein Fremder kramte in ihren
       Gedanken herum? 
       
       Künstler sind, so meine Befürchtung, kein Menschenschlag, der sich um einer
       guten Sache willen zurücknimmt, auch dann nicht, wenn ihm die Behörden im
       digitalen Nacken sitzen. Sie müssen unbedingt zur Kooperation gezwungen
       werden, sonst werden sie weiterhin verantwortungsloses Zeug schwatzen und
       schreiben. Zelda, wie sollen wir die lächerlichen Behauptungen solcher
       Kritiker entkräften? 
       
       In Erwartung deiner wegweisenden Antwort, Freiheit durch Kontrolle,
       Spionieren geht über Studieren, Argwohn ist Trumpf. 
       
       Herzliche Grüße von 
       
       Ilija Trojanow (stets auf der Hut)
       
       3 Apr 2014
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Ilija Trojanow
       
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