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       # taz.de -- Berlinale Preisträger droht Abschiebung: Roter Teppich nach Gatow
       
       > Auf der Berlinale 2013 gewann Nazif Mujic einen Silbernen Bären – seit
       > November lebt er als Flüchtling in einem Asylbewerberheim. Jetzt endet
       > seine Winterduldung.
       
   IMG Bild: Tausche Bär gegen Leben: Schauspieler Nazif Mujic im Januar 2014
       
       Nazif Mujic sieht müde aus. „Bin ich aber nicht“, beteuert er, mühsam
       lächelnd. „Wenn das Wetter gut ist, ist es auch meine Laune“, scherzt er.
       Doch alle übrigen Anwesenden im Büro des Roma-Vereins Amaro Drom e.V. in
       Neukölln, bleiben ernst. Sie kennen seine Lage.
       
       Es geht Mujic, dem Asylbewerber, dem strahlenden Berlinale-Preisträger der
       Filmfestspiele 2013, nicht gut. Er und seine Frau leiden unter dem
       ständigen Warten, der Unsicherheit, ob sie bleiben dürfen. Sie leiden, wie
       die anderen Asylbewerber auch, unter der Abgeschiedenheit und Isolation im
       Gatower Flüchtlingsheim.
       
       Ende November kam der 43-jährige Bosnier und Rom Nazif Mujic nach
       Deutschland, um Asyl zu beantragen. Zuvor hatte Mujic im Februar auf der
       Berlinale 2013 den Silbernen Bären für seine darstellerische Leistung im
       Dokudrama „Episode aus dem Leben eines Schrottsammlers“ bekommen. Keine
       neun Monate später saß er mit seiner Frau und den drei Kindern in Gatow.
       Seinen Bären hatte er mitgebracht. Er war bereit, ihn einzutauschen – gegen
       ein Leben ohne Hunger, aber mit Aussicht auf Schulbildung für seine Kinder.
       
       Kurz vor dem Start der diesjährigen Berlinale geriet Mujics Schicksal
       zwischen Glanz und Flüchtlingsheim-Elendrückte schnell in den Fokus der
       Medienöffentlichkeit – und noch schneller in Vergessenheit.
       
       ## Die Reporter kommen nicht mehr
       
       Im Februar war Mujic noch voller Zuversicht, überwältigt vom Andrang der
       Medien, dankbar über kleine Spenden aus der Bevölkerung und sicher:
       Irgendwie würde er es schaffen, hier zu bleiben. Wenn man ihn heute fragt,
       ob er noch Hoffnung hat, schüttelt er nur den Kopf. Die Berlinale ist
       längst vorbei, die Reporter kommen nicht mehr zu ihm.
       
       Wer wie Nazif Mujic und seine Familie aus Bosnien-Herzegowina kommt, wird
       in der Regel abgeschoben, die Länder des ehemaligen Jugoslawiens gelten als
       sichere Herkunftsstaaten – auch wenn die Lebensbedingungen in Bosnien,
       Serbien, Mazedonien und im Kosovo oft miserabel sind, vor allem für Roma.
       Auch Mujics Antrag wurde abgelehnt. Doch für Flüchtlinge mit Kindern unter
       sechs Jahren gibt es in Deutschland die sogenannte Winterduldung: Sie
       können während der kalten Jahreszeit bleiben. Doch die Winterduldung endete
       gestern.
       
       Am 8. und 14. April wird es die ersten Sammelabschiebungen geben, in denen
       bundesweit Asylsuchende aus Mazedonien und Serbien in ihre Heimatländer
       zurückgebracht werden. Mindestens jeder vierte Asylsuchende in Deutschland
       kommt laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus den Staaten des
       ehemaligen Jugoslawien.
       
       Nazif Mujic und seine Familie sind noch nicht dabei. Denn die Anwältin, die
       von den Filmfestspielen, einem Geschäftsberich der Kulturveranstaltungen
       des Bundes in Berlin, bezahlt wird, hat eine Petition an das Berliner
       Abgeordnetenhaus gestellt. Und die hat aufschiebende Wirkung. „Dadurch
       verzögert sich die Frist“, bestätigt Andreas Kugler (SPD), Vorsitzender des
       Petitionsausschusses im Abgeordnetenhaus. „Normalerweise dauert ein solches
       Verfahren drei bis vier Wochen. Aber die Petition von Herrn Mujic war noch
       nicht einmal im Ausschuss.“ Sollte der Petition stattgegeben werden, könnte
       Mujic dennoch abgeschoben werden. Die Entscheidung des Ausschusses ist
       rechtlich nicht bindend.
       
       ## Eine Geschichte der Misere und der Verzweiflung
       
       Während der langen Wartezeit im Flüchtlingsheim hat Nazif Mujic seine
       Lebensgeschichte aufgeschrieben. Seine Jahre im bosnischen Bürgerkrieg, wo
       er einen Bruder verlor. Die Zeit, als seine Frau Senada beinahe an einer
       Fehlgeburt gestroben wäre, weil sie zu arm waren, um die Ärzte zu bezahlen.
       Und wie dann der berühmte bosnische Regisseur Danis Tanovic, der mit dem
       Film „No Man‘s Land“ 2001 einen Oscar gewann, diese Geschichte mit ihm als
       Hauptdarsteller verfilmte.
       
       Schließlich der Abstieg, als seine früheren Kollegen mit dem Finger auf ihn
       zeigten, weil er, als vermeintlich wohlhabender Filmstar, sich in der
       Heimat wieder als Schrottsammler verdingte. Der Bandscheibenvorfall, durch
       den er seine Arbeit nicht mehr verrichten kann. Und sein Diabetes, der in
       Bosnien nur unzureichend behandelt wird.
       
       Eine Geschichte der Misere und der Verzweiflung. Die eine Episode aus dem
       Leben des Nazif Mujic ausgenommen, in der er für wenige Wochen ein Star war
       und in Fünf-Sterne-Hotels logierte.
       
       „Wenn wir abgeschoben werden, versuchen wir es in einem anderen Land.
       Vielleicht in Holland“, gibt sich Mujic heute kämpferisch. Es bleibt ihm
       nichts anderes übrig.
       
       31 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Sunny Riedel
       
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