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       # taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Noch brutaler als die anderen
       
       > Vor einem Jahr sah es aus, als könnte der Bürgerkrieg in Zentralafrika
       > beendet sein. Nun ist die Hauptstadt ein Schlachtfeld.
       
   IMG Bild: Emotion Namsio, der Sprecher der Anti-Balaka.
       
       BANGUI taz | Verschwitzt vom Fußballspielen stand Ahmat Adam vor der
       kleinen Moschee in Miskine, einem Viertel von Bangui. Er wischte sich die
       Schweißperlen von der Stirn und lachte. Der jüngste Sohn von Imam Ibrahim
       Adam war damals 33 und gerade mit dem Studium fertig. In der Brusttasche
       seines T-Shirts trug er ein paar hochkarätige Diamanten. Er kümmerte sich
       um die Verwaltung der Moschee, da sein Vater alt und etwas senil war.
       
       Heute, nicht einmal ein Jahr später, liegt die Leiche Ahmat Adams hinter
       der Moschee – unter einem Schutthaufen.
       
       Ahmat Adam hatte Träume: von einem entwickelten Zentralafrika, von Straßen
       und Schulen in seiner Heimatregion Birao – und davon, dass er als Muslim im
       eigenen Land nicht mehr ständig seine Geburtsurkunde vorzeigen muss. Im
       tiefkatholischen Bangui werden Muslime als Fremde wahrgenommen. Die Familie
       Adam ist eine Händlerfamilie, sie gehört zum Volk der Rhunga, muslimische
       Halbnomaden, die im äußersten Nordosten zu Hause sind, nahe der Grenze zum
       Sudan.
       
       „All das wird die Séléka-Regierung jetzt verwirklichen“, hatte Adam gesagt:
       „Bald sieht Bangui aus wie Dubai.“ Das war im April 2013, vier Wochen
       nachdem die Rebellenallianz Séléka die Hauptstadt erobert und Präsident
       François Bozizé gestürzt hatte. Séléka, eine Koalition dreier muslimischer
       Rebellengruppen aus dem Norden, installierte ihren eigenen Präsidenten:
       Michel Djotodia, der erste Muslim an der Spitze der Zentralafrikanischen
       Republik. Minister für Inneres und Sicherheit wurde Séléka-General
       Noureddine Adam, Ahmats ältester Bruder. „Unser Land wird bald glitzern wie
       ein Diamant“, versprach der General damals.
       
       ## Gezeichnet vom Bürgerkrieg
       
       [1][Bangui vor einem Jahr], das war eine Stadt gezeichnet vom Bürgerkrieg,
       aber nicht völlig ohne Hoffnung. Die Séléka-Führer dachten, sie könnten
       einen neuen Staat aufbauen.
       
       Sie schafften es aber nicht einmal, ihre eigenen Kämpfer unter Kontrolle zu
       bringen, die Ministerien, Geschäfte, Häuser plünderten. Die töteten,
       vergewaltigten und die Bevölkerung terrorisierten. Der Bürgerkrieg brach
       neu aus. Brutaler als zuvor.
       
       In den vergangenen Monaten haben zornige Jugendbanden, sie nennen sich
       Anti-Balaka, im ganzen Land eine Hetzjagd auf Muslime gestartet.
       Anti-Balaka, wie: gegen die Kugeln der AK-47. Mit Macheten, Messern und
       Äxten gingen sie auf die Rebellen und die übrigen Muslime los. Vor allem in
       Miskine, wo viele Séléka-Kämpfer bei Verwandten wohnten.
       
       Miskine war einmal ein lebendiger Stadtteil von Bangui mit seinen 700.000
       Einwohnern. Christen und Muslime lebten Tür an Tür. Moscheen standen neben
       Kirchen, Teestuben reihten sich an Kneipen und Nachtclubs. Ahmat Adam
       spielte hier Fußball – zusammen mit christlichen Freunden.
       
       ## Nur noch ein verkohltes Schlachtfeld
       
       Jetzt liegt seine Leiche unter dem Schutthaufen. Die Hauptstraße vor der
       Moschee ist gespenstisch leer. Dutzende verbrannte Autos, verkohlte Reifen
       und Schutt häufen sich am Straßenrand. Viele Häuser sind zerstört.
       Ruandische Soldaten der Eingreiftruppe der Afrikanischen Union Misca
       patrouillieren. Wo einmal die Wahlheimat der muslimischen Völker in Bangui
       war, ist heute nur noch ein verkohltes Schlachtfeld.
       
       Von der Adam-Moschee sind nur Trümmer übrig. Lose Seiten des Korans,
       Gebetsketten und Reste des Schilfdaches bedecken den Boden, auf dem einst
       grüne Bastteppiche lagen. Hinter der Moschee, wo die Häuser der
       Adam-Familie standen, sind fast nur noch Ruinen. Es riecht nach Verwesung.
       
       Ein kleiner alter Mann mit einer Taschenbibel steht am Wegrand. Er deutet
       auf eine Schutthalde, über der ein halb verbrannter Gebetsteppich liegt:
       „Das ist das Grab des kleinen Adam-Sohns“, sagt er. Er sei ein Nachbar. Der
       Mann zeigt auf das einzige Haus, das noch steht: „Die Muslime hatten sich
       in die Moschee geflüchtet, doch dann kamen die Anti-Balaka, sie mussten
       fliehen.“ Nur Ahmat habe es nicht geschafft: „Sie haben ihn einfach in
       Stücke gehackt, wir haben ihn mit Schutt beerdigt.“
       
       Und was ist aus der Adam-Familie geworden, dem alten, senilen Vater, dem
       General, den übrigen 16 Brüdern und Schwestern?
       
       Drei Jugendliche biegen um die Ecke. Sie schwingen Macheten und eine Axt.
       Sie grölen. Der Alte duckt sich.
       
       Einer streckt die Machete gen Himmel wie eine Fackel bei einer
       Siegesparade: „Erzähl es ruhig, wir haben die Muslime vertrieben. Jetzt
       werden wir unsere Häuser hier bauen!“ Zum Beweis setzt er ein paar
       Backsteine aus den Trümmern aufeinander. Der Nachbar schleicht davon.
       
       ## Ein zweigeteiltes Land
       
       Erst als das Morden längst begonnen hatte, landeten französische und
       afrikanische Truppen in Bangui, im Januar musste Rebellenpräsident Djotodia
       nach internationalem Druck zurücktreten. Eine Übergangsregierung wurde
       ernannt. Die Séléka flohen in den Norden. Und mit ihnen fast die gesamte
       muslimische Bevölkerung der Hauptstadt. Aber die Gewalt nahm kein Ende.
       Jetzt ist das Land im Grunde zweigeteilt.
       
       Menschenrechtsorganisationen sprechen von Tausenden Toten – Christen und
       Muslimen. Hunderttausende Menschen sind geflohen, in manchen Landesteilen
       sind alle Muslime tot, vertrieben oder eingekesselt. Das Rote Kreuz kommt
       kaum hinterher, die Leichen aufzusammeln. Viele verschwinden. Andere werden
       beerdigt, weil sie niemand abholt und sie einfach verwesen. So wie die
       Leiche von Ahmat Adam in Miskine.
       
       Die Ali-Babolo-Moschee ist eine der drei muslimischen Gebetshäuser, die in
       Bangui noch stehen. Sie liegt versteckt in einer Seitengasse, unweit von
       Miskine. Rund um die Moschee haben die Jugendbanden der Anti-Balaka
       gewütet, Läden von Muslimen geplündert, Häuser zerstört. Nur noch ein paar
       hundert Männer leben im Viertel. Frauen und Kinder haben sie schon per
       Lastwagen weggeschickt.
       
       Es ist ein Freitag im März, und Imam Mahamoud Awadalkarim predigt von
       Geduld. Knapp hundert Männer sind gekommen.
       
       „Unsere Koffer sind gepackt, wir warten noch auf eine Möglichkeit zu
       fliehen“, sagt der Imam nach dem Gebet. Er sitzt in einem weißen Gewand auf
       einem Teppich im Innenhof der Moschee, dunkle Schatten unter den Augen,
       tiefe Falten auf der Stirn. Nachts würden sie aus Angst nicht schlafen,
       viele übernachten in der Moschee, weil sie sich nur da sicher fühlen,
       erzählt er.
       
       ## „Das sind keine Menschen, das sind Kannibalen“
       
       „Wir leben umzingelt von Bestien wie in einem Gefängnis – wenn wir ein paar
       Straßen weitergehen, schlachten sie uns ab wie Tiere.“ Er zeigt ein Video
       auf seinem Smartphone, er hat es im Dezember aufgenommen: Ein
       Anti-Balaka-Milizionär hackt einem Mann das Bein ab und beißt dann ins
       Fleisch. „Das sind keine Menschen, das sind Kannibalen“, sagt der Imam.
       
       Einer dieser Anti-Balaka erklärte später, dies sei die Rache für den Tod
       seiner schwangeren Frau, die von Séléka-Rebellen ermordet worden war.
       
       Jeder will in solchen Gruppen beweisen, dass er noch brutaler sein kann als
       die anderen. Gliedmaßen der Opfer wurden als Trophäen durch die Straßen
       getragen. Kannibalismus, ein Siegesritual.
       
       Im Hof der Moschee stinkt es nach Verwesung. Hinter einer Leinwand liegen
       sechs Leichen, mit Zeltplanen bedeckt. Geronnenes Blut färbt den Boden.
       Fliegen schwirren herum. Ein 13 Jahre alter Junge sei lebendig verbrannt
       worden, einem 15-Jährigen seien Arme und Beine abgehackt worden, erzählt
       der Imam.
       
       ## Die Leichen bleiben liegen
       
       Er hat in den vergangenen Wochen mehrere hundert Leichen gewaschen und dann
       das Rote Kreuz angerufen, damit sie die Toten in die Massengräber bringen.
       „Der muslimische Friedhof ist drei Kilometer entfernt, wir können dort
       nicht hin“, sagt er. Einige Leichen seien von Angehörigen abgeholt worden.
       Doch die meisten blieben liegen. „Niemand will so enden, wir werden alle
       fliehen“, sagt er. In wenigen Tagen sei auch dieses Viertel leer, sagt
       Awadalkarim. „Dann sieht es auch hier aus wie in Miskine.“
       
       Weiß er, was aus der Familie Adam geworden ist?
       
       „Inschallah“, sagt der Imam. Sie sei in den Sudan geflohen. General Adam
       habe ihn von Khartoum aus angerufen. „Nur der kleinste Adam hat es nicht
       geschafft – wir beten für ihn.“
       
       Schon im Januar warnte ein UN-Verantwortlicher, in der Zentralafrikanischen
       Republik werde „die Saat eines Völkermordes“ gesät: „Alle Elemente, die wir
       aus Ruanda und Bosnien kennen, sind vorhanden“, sagte der UN-Koordinator
       für humanitäre Angelegenheiten, John Ging.
       
       Weil der antimuslimische Mob mit seinen Macheten an die Hutu-Milizen
       erinnert, die 1994 in Ruanda fast eine Million Tutsi abschlachteten,
       schickte Ruandas Regierung mehr als 800 Soldaten. Aber die afrikanischen
       und französischen Truppen haben die Gewalt nicht beendet.
       
       Auch die Séléka-Rebellen hatten im vergangenen Jahr brutal geherrscht.
       Internationale Truppen fanden nach dem Abzug der Rebellen Massengräber in
       den Kasernen. Unzählige Verwandte und Mitarbeiter der nach Kamerun
       geflohenen Angehörigen der gestürzten Regierung starben, sogar Fahrer oder
       Sekretäre.
       
       ## Die Rache der Anti-Balaka
       
       Der Terror der Séléka ließ erniedrigte junge Männer zurück, oft
       traumatisiert und voll Hass. Als Anti-Balaka nahmen sie Rache.
       
       Rache? Imam Awadalkarim überlegt eine Weile: „Wut und Hass der Anti-Balaka
       richtet sich zwar gegen die Séléka. Doch seit die abgezogen ist,
       beschuldigen sie jeden Muslim, zur Séléka zu gehören oder mit ihnen
       verwandt zu sein“. Sudanesen, Tschader, Mauretanier, Senegalesen und
       Zentralafrikaner: alle seien zum Ziel der Milizen geworden. „Niemand wird
       je zurückkehren, denn was sie uns angetan haben, das ist einfach zu
       grausam“, sagt er.
       
       Wenige Tage nach dem Freitagsgebet fahren Lastwagen, begleitet von Truppen
       aus dem Tschad, vor der Moschee vor und holen die Männer ab, um sie in
       Sicherheit zu bringen. Ein weiteres Viertel von Bangui ist ohne Muslime.
       
       Zwei Kilometer von Miskine entfernt versperrt ein aus Stofffetzen
       geknüpftes Seil die Zufahrtsstraße ins Stadtviertel Boy-Rabe. Einige
       Jugendliche stehen daneben und schauen grimmig. Sie tragen Lederriemen mit
       allerlei Fetischen um den Oberkörper: Gewehrkugeln, Vorhängeschlösser,
       Patronenhülsen, Pulverdöschen, aus denen sie gemahlene Kokainblätter
       schnupfen, gemischt mit stimulierenden Kräutern aus dem Busch. Das alles
       schützt gegen Gewehrkugeln, glauben sie.
       
       Schüsse hallen aus den engen Gassen. Die Jugendlichen an der Straßensperre
       holen ihre Messer, Macheten und Äxte aus dem Hosenbund. Sie grölen,
       schwingen die Waffen wie beim Tanz. Von überall kommen bewaffnete Männer,
       Jugendliche, sogar Kinder angelaufen – aus den Kneipen, den Seitengassen,
       vom Marktplatz. Das Geschrei wird immer lauter. Boy-Rabe ist die Hochburg
       der Anti-Balaka in Bangui.
       
       Ein großer Mann in sauberer Armeeuniform tritt an die Sperre, eine
       Kalaschnikow in der Hand. Es ist Emotion Namsio, der Sprecher der
       Anti-Balaka. Er stößt einen Pfiff aus. Die Jugendlichen stehen still,
       stecken ihre Waffen weg und ziehen ab.
       
       ## Die Macht zurückerobern
       
       Boy-Rabe war einst der Wahlbezirk des gestürzten Präsidenten Bozizé. Wer
       von seinen entfernten Verwandten, den Familien seiner Leibwächter und
       seinen politischen Verbündeten noch lebt, wohnt hier. Namsio arbeitete beim
       Zoll, bis die Séléka ihn nach Hause schickte. Jetzt führt er eine Miliz, um
       für den Bozizé-Klan die Macht zurückzuerobern.
       
       Vor einem Jahr wirkte das Viertel noch, als sei ein Wirbelsturm
       hindurchgefegt. Türen standen offen oder waren aus den Angeln gerissen. In
       Boy-Rabe wollten die Séléka-Rebellen das Bozizé-Lager besonders gründlich
       bestrafen. 16 Einschusslöcher sprenkeln noch heute das grüne Tor vor dem
       Anwesen von Patrice Eduard Ngaissona, einst Jugend- und Sportminister sowie
       Chef des Fußballverbandes. Er floh im März 2013 mit Bozizé nach Kamerun.
       Die Rebellen zerschossen ihm das Hoftor.
       
       Schon damals hausten in dem leeren Haus Jugendliche, verwahrlost, verstört.
       „Es ist schrecklich, wir können nachts nicht schlafen aus Angst, das ist
       wie blanker Terror“, hatte einer erzählt. Viele hatten zusehen müssen, wie
       die Séléka ihre Eltern und Geschwister töteten.
       
       Heute haben die Drogen und der Hass den Blick der Jugendlichen starr
       gemacht. Man bekommt Angst, wenn man in diese Augen sieht. Das Haus ist zum
       Hauptquartier der Anti-Balaka geworden.
       
       Junge Männer sind in Zentralafrika, wie in vielen afrikanischen Ländern,
       der vernachlässigte Teil der Gesellschaft. Die Geburtenrate ist hoch, die
       Einkommen sind niedrig. Zur Schule oder gar zur Universität zu gehen ist
       für viele zu teuer. Seit dem Bürgerkrieg sind die wenigen staatlichen
       Schulen ohnehin geschlossen. Wer in der Staatsverwaltung, dem größten
       Arbeitgeber des Landes, einen Job will, braucht Beziehungen.
       
       ## Ventil für die Wut
       
       Die Vetternwirtschaft im Land hat schon immer nur wenige Gewinner erzeugt –
       und viele Verlierer. Einer Rebellengruppe anzugehören gibt ihnen eine
       Identität, die Machete oder die Kalaschnikow verleiht ihnen Macht, ein
       Ventil für die Wut.
       
       Im Innenhof hinter dem grünen zerschossenen Tor schleichen sie im Kreis um
       einen Stuhl, Messer in den Händen. Auf dem Stuhl sitzt ein junger Mann in
       Unterhose und T-Shirt, Blutergüsse und tiefe Wunden am Körper. „Das ist
       unser Gefangener“, sagt Namsio stolz. „Und das ist Oberst 12-Volt, der
       Kommandant der Anti-Balaka.“ Er zeigt auf einen bulligen Mann.
       
       Oberst 12-Volt trägt Rastalocken unter einer Baseballmütze und einen
       schwarzen Jogginganzug. Seine Stimme ist tief. Er brüllt: „Erzähl, dass du
       keiner von uns bist, aber dass du diese Muslime getötet hast!“ Der
       Gefangene bebt. „Wenn du einer von uns wärst, dann werden die Kugeln an dir
       abprallen, wenn ich auf dich schieße“, droht 12-Volt.
       
       Dann klingelt ein Telefon. Der Kommandeur zieht sein Handy aus der
       Hosentasche. „Der Chef ist dran“, raunzt er und beendet mit einem
       Handzeichen die Schau-Exekution.
       
       Während 12-Volt mit Ex-Minister Ngaissona telefoniert, erklärt Namsio die
       Lage: „Wir Anti-Balaka sind die wahren Befreier des Volkes, wir haben die
       Séléka bekämpft und vertrieben. Doch dann gingen Kriminelle auf die
       muslimischen Zivilisten los und hackten sie in Stücke. Das sind keine
       wahren Anti-Balaka, die das tun.“
       
       Dabei kramt er unter seiner Uniform eine ID-Karte hervor: Foto, Name, Rang,
       Einheit und Personalnummer, daneben ein Stempel und die Unterschrift von
       Ngaissona. „Nur wer diese ID-Karte trägt, ist ein echter Anti-Balaka. Die
       anderen sind Banditen und wir werden sie verhaften“, sagt er.
       
       Dasselbe hatte vor einem Jahr Séléka-General Adam gesagt. Auch er hatte
       Ausweise für seine Rebellen drucken lassen. Die Anti-Balaka-IDs sehen ihnen
       zum Verwechseln ähnlich.
       
       ## Keine einheitliche Gruppe
       
       Wie die Séléka ist auch die Anti-Balaka keine einheitliche Gruppe mit
       eindeutiger Befehlskette. Sie ist ein loser Zusammenschluss vieler
       einzelner Milizen. Befehlshaber sind selbsternannte Oberste wie 12-Volt
       oder Offiziere der Armee des ehemaligen Präsidenten Bozizé.
       
       Mitunter bekriegen sie sich auch untereinander. Der Gefangene auf dem Stuhl
       gehört laut 12-Volt zur Einheit von Jean-Jacques Démafouth, einst ein
       Erzrivale Bozizés. Sein Hauptquartier liegt im Stadtviertel Combattant am
       Flughafen.
       
       Anti-Balaka werden oft als „christliche“ Milizen bezeichnet. Viele tragen
       sogar Kruzifixe als Teil ihres Fetischs um den Hals. Das hebt sie vom Feind
       ab. Doch es ist kein religiös motivierter Kreuzzug, sondern ein Aufstand
       gegen eine für sie fremde Besatzungsmacht. Es interessiert sie wenig, wenn
       der katholische Erzbischof von Bangui zu Versöhnung aufruft und dem
       führenden Imam des Landes in der Kathedrale Schutz bietet.
       
       Bewacht von zwei Leibwächtern und einer Handvoll ruandischer Soldaten sitzt
       Séléka-Oberst Ousmane Algoni in der Militärkaserne auf Kilometer 11 des
       Unabhängigkeits-Boulevards, am Stadtrand von Bangui. Über und unter seinem
       Schreibtisch hängen bunte Flaggen der Zentralafrikanischen Republik. Blau,
       weiß, grün, gelb, rot – Verweise auf die ethnische und religiöse Vielfalt
       des Landes.
       
       Oberst Algoni, 40 Jahre alt, gehört zur letzten verbliebenen Séléka-Einheit
       in Bangui. „Ich bin Zentralafrikaner, ich werde mich nicht vertreiben
       lassen“, sagt er. In seiner schmutzigen Uniform wirkt er geschlagen. Vom
       einstigen Stolz der Séléka-Offiziere ist nichts mehr übrig.
       
       Er sei einmal Offizier in Bozizés Armee gewesen, erzählt er. Doch dann habe
       der Präsident seinen Sohn zum Verteidigungsminister ernannt, nur noch
       Offiziere aus seiner eigenen Ethnie der Gbaya seien befördert worden.
       Daraufhin sei er desertiert. Er stamme aus dem Norden. „Mein Vater ist
       Muslim, doch meine Mutter Christin“, sagt er. Die meisten Kämpfer seiner
       400 Mann starken Einheit seien „Mischlinge“.
       
       ## „Man wirft nur Granaten auf uns“
       
       Er deutet aus dem Fenster in den Kasernenhof. Rund um ein leeres
       Schwimmbecken hocken verwahrloste Séléka-Kämpfer, gekleidet eher in Lumpen
       als in Uniformen. Einige spielen Karten, andere dösen vor sich hin. Viele
       seien krank: Malaria, Durchfall. Sie schlafen unter freiem Himmel, es gebe
       kein Essen, keine Medikamente. „Man wirft nur Granaten auf uns“, sagt
       Oberst Algoni.
       
       Die Rebellen haben sich aus Bangui zurückgezogen. Sie halten sich im Busch
       versteckt, etwa 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt. „Was sie planen,
       weiß ich auch nicht“, sagt der Oberst: „Einige wollen weiter kämpfen,
       andere in den Tschad fliehen, in die neue nationale Armee integriert werden
       oder als Zivilisten nach Hause gehen.“
       
       Und er? Er guckt wieder zu der bunten Flagge: „Unsere neue Präsidentin hat
       in ihrer Antrittsrede gesagt, dass wir Séléka wie auch die Anti-Balaka ihre
       Söhne seien – das hat mich berührt“, sagt er.
       
       „Inschallah, irgendwann werde ich einmal in einer Armee dienen, die ihr
       Volk verteidigt: Muslime und Christen, ganz egal“, sagt er.
       
       „Amen“, murmeln seine Leibwächter.
       
       1 Apr 2014
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
   DIR Simone Schlindwein
       
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       den Tod.
       
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       12.000 Soldaten sollen ab September im Krisenland für Stabilität sorgen.
       Die von Frankreich vorgelegte Resolution wurde vom UN-Sicherheitsrat
       angenommen.
       
   DIR Kolumne Macht: Hotel „Ibis“, Ruanda
       
       Der Völkermord in Ruanda vor zwanzig Jahren löste keinen Aufschrei bei uns
       aus. Heute sollte uns das eine Mahnung sein.
       
   DIR Zentralafrikanische Republik: Ban Ki Moon warnt vor Völkermord
       
       Der UN-Generalsekretär fand bei einem Kurzbesuch in dem Bürgerkriegsland
       deutliche Wort. Der Tschad wehrt sich gegen Vorwürfe, dass seine Soldaten
       Zivilisten getötet hätten.
       
   DIR 20 Jahre nach dem Völkermord: Was geht uns Ruanda an?
       
       Im Frühjahr 1994 begann das Morden in dem Staat mitten in Afrika. Die
       Weltpolitik zieht Lehren daraus - danach handeln scheint sie nicht zu
       können.
       
   DIR EU-Afrika-Gipfel in Brüssel: „Wiederherstellung des Rechtsstaats“
       
       In Brüssel tagt derzeit der EU-Afrika-Gipfel. Der Kommandeur der EU-Truppe
       in der Zentralafrikanischen Republik erklärt, was er vorhat.
       
   DIR Intervention in Zentralafrika: Europa kommt, Muslime gehen
       
       Während die EU ihre Bangui-Truppe lanciert, will das UNHCR die letzten
       Muslime aus der Stadt evakuieren. Sie seien nicht mehr zu schützen.
       
   DIR Zentralafrikanische Republik: Granaten zerfetzen Trauernde
       
       Ein neues Massaker in Bangui verschärft die Spannungen in der Bevölkerung.
       Deutschland will sich jetzt doch verstärkt an einer EU-Intervention
       beteiligen.
       
   DIR Zentralafrikanische Republik: Diamantenschürfer zu Killern
       
       Das Bürgerkriegsland ist aus dem legalen Diamantenhandel verbannt. Das
       Ergebnis: Händler schmuggeln und Schürfer werden Milizionäre.
       
   DIR Zentralafrikanische Republik: Faule Kredite, betrogene Staatsdiener
       
       In dem kriegszerstörten Land wird die Auszahlung der ersten Beamtengehälter
       seit sechs Monaten zum Fiasko. Viele gehen leer aus.
       
   DIR Zentralafrikanische Republik: Mission: Impossible
       
       Die Hauptstadt ist voller Soldaten: aus Frankreich, Kongo, Kamerun, Ruanda.
       Die Eingreiftruppe fasst beinahe 8.000 Soldaten. Die Koordination ist
       schwierig.
       
   DIR Kommentar Zentralafrikanische Republik: Erst denken, dann handeln
       
       Die Entsendung von EU-Truppen in die Zentralafrikanische Republik ist
       überfällig – die Debatte um deren Auftrag aber auch.
       
   DIR Zentralafrikanische Republik: UNO will große Blauhelmmission
       
       Der UN-Generalsekretär will knapp 12.000 Soldaten und Polizisten entsenden.
       Die bisherigen Eingreiftruppen sind zu wenige und zu schlecht koordiniert.