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       # taz.de -- Zentralafrikanische Republik: Granaten zerfetzen Trauernde
       
       > Ein neues Massaker in Bangui verschärft die Spannungen in der
       > Bevölkerung. Deutschland will sich jetzt doch verstärkt an einer
       > EU-Intervention beteiligen.
       
   IMG Bild: Muslimische Trauernde um Massakeropfer in „Kilometer Fünf“ in Bangui am 23. März.
       
       BERLIN taz | Bei einem Granatenangriff in der zentralafrikanischen
       Hauptstadt Bangui sind in der Nacht zum Freitag nach Regierungsangaben über
       20 Menschen getötet worden. Eine „polizeibekannte Gruppe von Extremisten“
       griff Trauernde bei ihrer Nachtwache an, sagte Sicherheitsminister Denis
       Sangao Kizimalé am Freitag im Staatsrundfunk. Unter den Opfern seien eine
       schwangere Frau und mehrere Kinder.
       
       Private Radiosender in Bangui hatten zuvor von neun bis elf Toten
       berichtet. Den Angaben zufolge handelte es sich bei den Angreifern
       möglicherweise um versprengte Kämpfer der muslimischen Rebellenallianz
       Séléka. Die Trauernden waren Christen. In den vergangenen Monaten haben
       christliche Kämpfer der antimulimischen Miliz „Anti-Balaka“ Hunderte
       Muslime in Bangui getötet und Zehntausende in die Flucht getrieben.
       
       „Wir waren am Trauerort, als Männer in Uniform Granaten warfen“, berichtete
       ein Augenzeuge gegenüber dem Radiosender Ndeke Luka. Sechs Menschen seien
       sofort gestorben, fünf weitere später.
       
       Gegenüber dem lokalen „Journalistennetzwerk Menschenrechte“ (RJDH) sagte
       ein anderer ungenannter Augenzeuge, die Männer hätten Arabisch gesprochen.
       Der Überlebende Nestor Guela, der an der Nachtwache der Trauernden im
       Viertel Fatima des 3. Stadtbezirks von Bangui teilgenommen hatte, erklärte:
       „Gegen 23 Uhr hörten wir zwei laute Explosionen, gefolgt von Gewehrfeuer.
       Als ich wegrennen wollte, merkte ich, dass ich am Bein getroffen worden
       war. Alles war voller Rauch, Männer und Frauen weinten und Menschen lagen
       tot auf dem Boden.“
       
       Der Muslimensprecher des nahegelegenen Stadtviertels „Kilometer Fünf“, wo
       erst wenige Tage zuvor mehrere Menschen von antimuslimischen Milizen
       getötet worden waren, wies jede Verantwortung seiner Glaubensgemeinschaft
       zurück. Der katholische Priester Freddy Stéphane Mboula von der Gemeinde
       der Trauernden warf der Regierung der Zentralafrikanischen Republik vor,
       die Menschen nicht zu schützen: „Es gibt keine Autorität in diesem Bezirk.“
       
       ## Eingreiftruppen gegen Anti-Balaka
       
       In weiten Teilen von Bangui sind seit Dezember alle Muslime getötet oder
       vertrieben worden, radikale Jugendmilizen namens „Anti-Balaka“ üben
       faktisch die Kontrolle aus. Seit dem vergangenen Wochenende sind bei neuen
       Angriffen auf Muslime in Bangui über 20 Menschen ms Leben gekommen. Es kam
       auch zu Kämpfen zwischen Anti-Balaka-Truppen und dem burundischen
       Kontingent der afrikanischen Eingreiftruppe „Misca“, das im Viertel
       „Kilometer Fünf“ stationiert ist und Muslime gegen Angreifer schützt.
       
       Am Mittwoch erklärte die Misca im Anschluss an ein entsprechendes
       Kommuniqué der Afrikanischen Union (AU), die Anti-Balaka würden ab jetzt
       als „Terroristen“ angesehen und „entsprechend behandelt“ werden. Nach dem
       Granatenanschlag der Nacht zum Freitag errichteten Anwohner Straßensperren
       gegen die Burunder, die von diesen am Freitag unblutig geräumt wurden.
       
       Am Donnerstag hatten sich zum ersten Mal Anti-Balaka-Einheiten kasernieren
       lassen. 30 Anti-Balaka-Kämpfer, die früher zur Regierungsarmee des vor
       einem Jahr gestürzten Präsidenten Francois Bozizé gehörten, wurden von
       französischen Eigreiftruppen aus dem Stadtviertel Bimbo in das wichtigste
       Militärgelände der Hauptstadt, die Kassai-Kaserne, gebracht. „Es sind
       Karrieresoldaten“, erklärte der stellvertretende Generalstabschef des
       Landes, Alfred Service.
       
       ## Staat liegt „im tiefen Koma“
       
       Dass die Regierung von Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza in den
       zwei Monaten seit ihrer Amtsübernahme im Januar so wenig getan hat, um
       bewaffnete Gruppen von den Straßen zu holen und eine neue Armee aufzubauen,
       stößt auf zunehmende Kritik in der Zentralafrikanischen Republik und auch
       in der internationalen Gemeinschaft.
       
       „Die Anti-Balaka wurden weder kaserniert noch entwaffnet, und dies
       widerspricht den Resolutionen der UNO und der AU“, sagte in einem Interview
       am Donnerstag der französische Diplomat Didier Niewiadowski. „Das erlaubt
       es ihnen, ihre Übergriffe straflos fortzusetzen. Wie kann es sein, dass
       ihre Führer nicht verhaftet werden? Dass Verbrecher nicht vor Gericht
       kommen?“ Der Staat befinde sich „in einem tiefen Koma“ und die
       Übergangswirtschaft setze die Vetternwirtschaft ihrer Vorgänger fort.
       
       Die Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ (HRW) warnte, die
       wenigen tausend verbleibenden der einst 150.000 Muslime von Bangui seien in
       Lebensgefahr. Neu sei, dass Anti-Balaka zunehmend in Uniformen der früheren
       regulären Streitkräfte aufträten. Die Muslime, die an verschiedenen Orten
       Banguis praktisch eingekesselt seien, würden jetzt zunehmend selbst zu den
       Waffen greifen, um sich zu schützen, da die internationalen Truppen dies
       nicht genügend täten, erklärte HRW am Freitag.
       
       Es sei dringend ein verstärktes internationales Eingreifen nötig, sagte am
       Freitag auch die unabhängige UN-Menschenrechtsexpertin für die
       Zentralafrikanische Republik, Marie Thérèse Keita-Bocoum, bei der
       Vorstellung ihres ersten Berichts vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. „Um
       Chaos in der Zentralafrikanischen Republik und der Region zu vermeiden,
       kann man sich nicht mehr mit kosmetischen Lösungen zufriedenstellen und
       auch nicht damit, die Toten und die Opfer zu zählen.“
       
       ## Transportflieger aus Deutschland
       
       Angesichts der Lage will sich Deutschland jetzt doch stärker an dem
       geplanten EU-Truppeneinsatz in Bangui beteiligen als geplant. Neben einem
       Sanitätsflugzeug und zehn Soldaten in den Hauptquartieren in Zentralafrika
       und Griechenland sollen auch zwei gemietete Transportflugzeuge vom Typ
       Antonow (AN-124) zur Verfügung gestellt werden, erklärten
       Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und Außenminister
       Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Freitag.
       
       Mit dem Angebot will die Bundesregierung eine fünfte
       Truppenstellerkonferenz zum Erfolg zu bringen, die am Freitagnachmittag in
       Brüssel stattfinden sollte. Die ersten vier Konferenzen waren wegen
       mangelnder Bereitschaft der EU-Mitglieder zur Entsendung von Truppen
       gescheitert.
       
       Für das Angebot nutzt die Bundesregierung ein Kontingent von sechs Antonow
       AN 124-100 der Ruslan Salis GmbH mit Sitz in Leipzig, wie das
       Verteidigungsministerium auf Nachfrage mitteilte. Zugriff auf die Maschinen
       garantiert ein Vertrag einer NATO-Agentur mit Salis. Berlin bietet also
       keine zusätzlichen Maschinen an, sondern die Bezahlung der Flugstunden,
       falls im Rahmen der EU-Mission Schwerlasttransporte nach Bangui
       erforderlich werden.
       
       Ein Flug von Europa nach Afrika würde mit mehreren hunderttausend Euro zu
       Buche schlagen, sagte ein Ministeriumssprecher gegenüber AFP. Wie viele
       Flüge es geben werde, sei noch offen.
       
       Bei der Salis GmbH handelt es sich um ein Konsortium der russischen
       Volga-Dnepr Group und des ukrainischen Antonow Design Bureaus. Trotz der
       Ukraine-Krise hält die Bundesregierung an der Firma fest. „Von Seiten des
       zivilen Vertragspartners wurde Anfang März erklärt, dass die Ereignisse in
       der Ukraine keine Auswirkungen auf die Leistungserbringung haben werden und
       die Verpflichtungen unverändert erfüllt werden“, erklärte das
       Verteidigungsministerium.
       
       Die Salis-Maschinen wurden bislang vor allem für den Truppenabzug der
       NATO-Partner aus Afghanistan genutzt. Für die Transporte nach Zentralafrika
       müssen keine zusätzlichen Bundeswehrsoldaten am Boden stationiert werden.
       Das Sanitätsflugzeug soll in Köln bereitgehalten werden. Zum Einsatz käme
       es aber nur, wenn es Schwerletzte unter den internationalen
       Stabilisierungskräften gäbe.
       
       Ob die EU-Mission wie geplant zustande kommt, war am Freitag zunächst
       offen. Frankreich hatte zuletzt Mitte März vor einem Scheitern gewarnt,
       sollten sich nicht mehr Länder mit mehr Truppen beteiligen. Substanzielle
       Kontingente hatten Länder wie Polen, Estland, Lettland, Portugal und
       Rumänien angeboten. Nach Angaben aus Militärkreisen wurden aber wegen der
       Krim-Krise ursprüngliche Zusagen wieder in Frage gestellt. (mit dpa, afp)
       
       28 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Dominic Johnson
       
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