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       # taz.de -- NS-Verstrickungen: Der Kopf wackelt
       
       > Der Platz vorm Niedersachsen-Landtag soll nicht mehr nach dem ersten
       > Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) heißen.
       
   IMG Bild: Noch mit, bald ohne Kopf liegt dieser Platz vorm Landtag in Hannover.
       
       HANNOVER taz | Wegen seiner Verstrickungen ins NS-Regime soll
       Niedersachsens erster Ministerpräsident Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) nicht
       mehr als Namensgeber für Straßen und Schulen in Hannover dienen. Zu dieser
       Empfehlung hat sich ein Beirat aus Historikern, Gewerkschaftern und
       Vertretern von Religionsgemeinschaften durchgerungen, den der Rat der
       Landeshauptstadt eingesetzt hatte.
       
       Einmütig sei die Entscheidung gefallen, hieß es am Donnerstag aus dem
       Gremium, das im Januar erstmals getagt hatte.Intensiv diskutiert aber hatte
       man über Kopf, Ministerpräsident von 1946 und 1957, Urvater unter
       Niedersachsens Landesvätern und lange Zeit Ikone der Landes-SPD, nach dem
       unter anderem der Platz vor dem Landtagsgebäude in Hannover benannt ist.
       
       ## Keine vollständige Tilgung
       
       „Wir wollen Kopf nicht seine komplette persönliche Ehre nehmen, der Name
       wird nicht getilgt“, sagte Michael Fürst, der als Vorsitzender der
       Jüdischen Gemeinde im Beirat sitzt. Straßen- und Schulnamensgeber soll Kopf
       nicht weiter sein, das Ehrengrab auf dem Stadtfriedhof Stöcken aber soll
       bleiben und mit Infotafeln versehen werden.
       
       Lange hatte es gedauert, bis man in Niedersachsen den braunen Spuren in
       Kopfs Vergangenheit überhaupt nachgegangen ist. 2012 deckte eine Studie der
       [1][Historischen Kommission Niedersachsen-Bremen] erste Flecken auf.
       
       Die hatte der Landtag als erstes Bundesland überhaupt auf Initiative der
       damaligen Linksfraktion beauftragt, die NS-Vergangenheit der
       Nachkriegs-Abgeordneten zu untersuchen. Die Kommission stellte fest, dass
       Kopf zwar nie der NSDAP beitrat, aber in besetzten Gebieten Polens zwischen
       1939 und 1945 an der Enteignung und Vertreibung der polnischen und
       jüdischen Bevölkerung [2][beteiligt] war.
       
       Im Sommer 2013 legte die Göttinger Politikwissenschaftlerin Teresa Nentwig
       mit einer 900-Seiten-[3][Biographie] weitere Details nach: Kopf arbeitete
       während des zweiten Weltkrieges für die „Haupttreuhandstelle Ost“ in
       Chorzow, wo er enteignetes polnisches und jüdisches Vermögen verwertete.
       Zudem verwaltete er zeitweise das jüdische Vermögen gleich mehrerer
       Gemeinden.
       
       Seither läuft die Debatte um den Namensgeber Kopf – bis hinein in die
       Landespolitik: Im Landtag forderten SPD, Grüne, CDU und FDP
       fraktionsübergreifend die Umbenennung des Platzes vor dem Parlament.
       Hannovers Oberbürgermeister Stefan Schostok (SPD) sprach sich ebenfalls für
       einen neuen Namen aus.
       
       Der rot-grüne Stadtrat setzte kurz darauf den [4][Namensbeirat] ein, der
       nicht nur die Personalie Kopf prüfen soll: Es folgen an die 400 weitere
       Namensgeber für Straßen und Einrichtungen in Hannover, die zwischen 1939
       und 1945 volljährig waren – und sich theoretisch schuldig gemacht haben
       könnten.
       
       ## Kopfs Reue nach dem Krieg
       
       Weit verhaltener äußern sich in der Debatte die Historiker. So rät die
       Kopf-Biographin Nentwig von einer Umbenennung ab: Die nämlich könne den
       Eindruck erwecken, man wolle sich der Geschichte entledigen. Stattdessen
       empfiehlt Nentwig die braune Vergangenheit Kopfs durch Infotafeln
       aufzuarbeiten.
       
       Auch die gemeinsame historische Kommission der Länder Niedersachsen und
       Bremen sieht keinen Anlass, den Namen aus dem Stadtbild zu löschen: Kopf
       habe nach dem Krieg „tätige Reue“ geleistet und Niedersachsen auf den
       demokratischen Weg geführt.
       
       ## Verschleierung eigener Taten
       
       Von „unbezweifelt herausragenden Leistungen“ Kopfs nach 1946 sprach am
       Donnerstag auch Niedersachsens DGB-Chef Hartmut Tölle, ebenfalls
       Beiratsmitglied. Besonders schwer wiege aber, dass Kopf das Zurückliegende
       stets leugnete und verschleierte.
       
       So erklärte er 1948 im Landtag, „niemals Treuhänder polnischer und
       jüdischer Güter“ gewesen zu sein. Seine Tätigkeiten während der NS-Zeit
       umschrieb er stets mit „selbständiger Kaufmann und Landwirt“.
       
       Umsetzen wird die Empfehlungen nun der Stadtbezirksrat Hannover-Mitte, laut
       Kommunalrecht zuständig für die Benennung des Platzes vor dem Landtag. Dass
       das Gremium dem Namensbeirat folgt, gilt aber nur noch als Formsache.
       
       27 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.historische-kommission.niedersachsen.de/startseite/
   DIR [2] /!85549/
   DIR [3] http://www.demokratie-goettingen.de/publikationen/hinrich-wilhelm-kopf-2
   DIR [4] http://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Meldungsarchiv-f%C3%BCr-das-Jahr-2013/Namensgebende-Pers%C3%B6nlichkeiten
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Havlicek
       
       ## TAGS
       
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