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       # taz.de -- Nano-Label für Lebensmittel: Kennzeichnungspflicht ausgebremst
       
       > „Nano“ könnte demnächst auf den Zutatenlisten vieler Lebensmittel stehen.
       > Doch Lobbyisten versuchen, die Regelung zu verwässern.
       
   IMG Bild: Bisher ist für Lebensmittel noch keine Nano-Kennzeichnung vorgeschrieben.
       
       BERLIN taz | Instantsuppen, Salz oder andere pulverförmige Lebensmittel
       enthalten oft Nanopartikel aus Titandioxid oder Siliziumdioxid, um
       Verklumpen zu vermeiden. Auch andere Zutaten haben oft Nanogröße. Forscher
       fanden Hinweise, dass beim Verspeisen [1][bis zu 40 Prozent der
       verabreichten Titandioxid-Nanopartikel] über den Magen-Darm-Trakt
       aufgenommen werden.
       
       Die Risiken dieser Aufnahme sind bislang unbekannt. Verbraucherschützer
       begrüßen die in der EU geplante Kennzeichnung grundsätzlich als
       Transparenzgewinn für den Verbraucher. Doch in Brüssel tobt eine
       Lobbyschlacht um dieses Labeling. Aktivisten der lobbykritischen
       Organisation Corporate Europe Observatory (CEO) stellen die
       Lebensmittelindustrie an den Pranger: sie versuche, die
       Kennzeichnungspflicht zu verwässern.
       
       Bei der EU-Kommission hatten die Lobbyisten offenbar Erfolg.
       [2][L:2013:343:0026:0028:DE:PDF:Sie wollte] die Definition, welche Stoffe
       überhaupt als „Nano“ betrachtet und somit gekennzeichnet werden müssen,
       stark einengen. Nur neu entwickelte Nano-Zusätze sollen gekennzeichnet
       werden. In der Begründung dafür benutzt sie das gleiche Argument, das man
       von der Industrie hört: Es könne den Verbraucher verwirren, wenn Zusätze,
       die schon seit Jahrzehnten eingesetzt werden, nun auf einmal zusätzlich mit
       „Nano“ gekennzeichnet würden.
       
       Fast wortgleich ist diese Begründung [3][in Positionspapieren der
       Federation of European Speciality Food Ingredients Industries (ELC)], dem
       Verband der Europäischen Lebensmittelzutaten-Industrie, zu lesen. Gegner
       dieser Einengung argumentieren, dass die unbekannten Risiken der seit
       Langem in Lebensmitteln eingesetzten Nanomaterialien es rechtfertigen, den
       Verbraucher darauf hinzuweisen. Er könne nur dann eine informierte
       Entscheidung treffen.
       
       „Es kann nicht sein, dass die Industrie entscheidet, was der Verbraucher
       erfährt und was nicht“, sagt etwa Tatiana Santos vom [4][Europäischen
       Umweltbüro (EEB)] in Brüssel.
       
       Beobachter wundern sich kaum über den großen Einfluss von
       Industrielobbyisten auf die EU-Kommission. In den Expertengruppen, die die
       Kommission zu ihrer Beratung um die Regulierung der Nanotechnologie
       heranzieht, gibt es mehr Industrie-Experten als solche von
       gesellschaftlichen Organisationen wie dem EEB. „Zwar wird ein Gleichgewicht
       angestrebt, aber Organisationen wie die unsere haben nicht die Resourcen,
       all diese Expertengruppen zu besetzen“, sagt Santos. Sie selbst sitzt in
       einer solchen Expertengruppe. Für Nanotechnologie kann die Spanierin aber
       nur 20 Prozent ihrer Arbeitszeit beim EEB nutzen.
       
       Vollends von Industrievertretern dominiert war eine Expertengruppe, die im
       Mai letzten Jahres über die Definition des Begriffs „Nanomaterial“ in der
       neuen Regulierung zur Lebensmittelkennzeichnung beriet. Symptomatisch: Der
       [5][Europäische Verbraucherschutzverband BEUC] sandte eine schriftliche
       Erklärung, statt selbst an der Sitzung teilzunehmen.
       
       ## Widerstand im Parlament
       
       Das Ende vom Lied: Die EU-Kommission, die die Kompetenz hat, die Definition
       zu präzisieren, schlug Ende 2013 die genannte Einengung vor. Der
       schwedische Grünen-Abgeordnete [6][Carl Schlyter] und fünf weitere
       Abgeordnete des EU-Parlaments – darunter die deutsche CDU-Abgeordnete
       [7][Christa Klaß] – akzeptierten dies nicht. Aus ihrer Sicht überschritt
       die Kommission ihre Kompetenzen.
       
       Sie habe versucht, Entscheidungen des Parlaments und des Europäischen Rates
       über die Nano-Kennzeichnung abzuschwächen, sagt Schlyter. Die Abgeordneten
       [8][führten eine Abstimmung im Parlament] herbei, die in der zweiten
       Märzwoche den Vorstoß der Kommission [9][mit großer Mehrheit] ausbremste
       und [10][strengere Vorschriften] für die Nano-Kennzeichnung einfordert.
       
       Wie es nun weitergeht, ist unklar. „Es wird sich also noch weiter
       verzögern, aber wenn der Entwurf angenommen worden wäre, dann würde das
       bedeuten, dass Verbraucher in die Irre geführt werden“, sagt Sylvia Maurer,
       Nano-Expertin vom BEUC. Ohne eine klare Definition von „Nano“ jedenfalls
       dürfte die geplante Kennzeichnungspflicht ein Papiertiger werden. Die
       Lobbyisten könnten dann doch noch feiern.
       
       Die Recherchen für den Artikel wurden von [11][journalismfund.eu] sowie
       privaten Spendern über die Crowdfunding-Plattform [12][krautreporter.de]
       kofinanziert. Die AutorInnen gehören zum Redaktionsteam von
       [13][Nanomagazin.net], einem Wissens- und Debattenmagazin über neue
       Technologien im Netz, dessen Aufbau wurde von der Robert Bosch Stiftung
       gefördert.
       
       30 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://www.nanomagazin.net/lecker-nano/
   DIR [2] http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ
   DIR [3] http://elc-eu.org/uploads/news_documents/ELC_updated_position_on_Nanotechnologies_-_22_Nov_2011.pdf
   DIR [4] http://www.eeb.org/
   DIR [5] http://www.beuc.eu/
   DIR [6] http://www.europarl.europa.eu/meps/de/28139/Carl_Schlyter_home.html;jsessionid=8A2C5907FB4F40BAE5B397D5A004CD57.node1
   DIR [7] http://www.europarl.europa.eu/meps/de/1929/CHRISTA_KLASS_home.html
   DIR [8] http://www.europarl.europa.eu/meetdocs/2009_2014/documents/envi/re/1015/1015222/1015222en.pdf
   DIR [9] http://www.europarl.europa.eu/news/fr/news-room/content/20140307IPR38125/html/Nanofoods-MEPs-object-to-new-labelling-rules
   DIR [10] http://www.europarl.europa.eu/news/de/news-room/content/20140313STO38801/html/Nanolebensmittel-Plenum-lehnt-Definition-der-Kommission-ab
   DIR [11] http://journalismfund.eu
   DIR [12] http://krautreporter.de
   DIR [13] http://Nanomagazin.net
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Christian Meier
   DIR Dino Trescher
       
       ## TAGS
       
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