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       # taz.de -- Nach der Annexion der Krim: Horrorgeschichten von der Ukraine
       
       > Auf der Halbinsel Krim kursieren wilde Gerüchte. Von einem Kollaps der
       > Ukraine ist die Rede. Nicht nur Tataren überlegen, ihre Heimat zu
       > verlassen.
       
   IMG Bild: Zwei Mitglieder der berüchtigten Berkut-Einheit im Krim-Parlament in Simferopol
       
       SIMFEROPOL taz | Der Tag des Anschlusses der Krim an Russland ist gerade
       eine Woche her. Das Besondere jetzt sind die langen Menschenschlangen, die
       sich vor den Passbehörden bilden. Alle wollen so schnell wie möglich einen
       russischen Pass bekommen. Allerdings kann man niemanden finden, der seinen
       ukrainischen Pass freiwillig abgeben möchte.
       
       Die russischen Krimbewohner erzählen sich Horrorgeschichten aus der
       Ukraine. Es habe keinen Sinn, dorthin zu ziehen. Die Ukraine warte nur auf
       ihren Zusammenbruch. In den nächsten drei Monaten würden keine Gehälter
       gezahlt. Ein zweiter Maidan sei in Planung. Wenn Rechtsradikale aus dem
       Westen in deinem Pass sehen, dass du auf der Krim registriert bist, würden
       sie sich an dir rächen.
       
       Auch vor den Geldautomaten sind die Schlangen lang. Mehr als 500 Grywna
       (rund 34 Euro) können nicht auf einmal abgehoben werden. Visa- und
       Mastercards funktionieren nicht mehr, in den Geschäften ist die Bezahlung
       mit EC-Karten nicht mehr möglich. Einige Geschäfte sind dicht. Die Kette
       „Gawrilowskije kury“ (Gawrilows Hühner), die die Krim mit Geflügel aus dem
       Gebiet Kiew beliefert, hat ihre Geschäfte wegen der Transportprobleme an
       der Grenze vorübergehend geschlossen.
       
       Abibe Ibragimowa und ihr Ehemann handeln mit Lebensmitteln. „Wir liefern
       Obst und Gemüse aus Odessa und anderen Gebieten auf die Krim. Früher
       bekamen wir die Lieferungen gegen 22 Uhr abends. Jetzt kommen sie zwischen
       vier und fünf Uhr morgens, das liegt an den Schlangen in der Grenzstadt
       Tschongar. Eine Freundin war gestern vier Stunden im Auto unterwegs. Sie
       haben alles durchsucht“, erzählt Ibragimowa. Zugpassagiere, die die Krim
       verlassen möchten, werden ebenfalls durchsucht. Selbstverteidigungskräfte
       filzen das Gepäck und kontrollieren die Pässe. Flüge sind nach wie vor nur
       nach Moskau möglich.
       
       Die Krimtatarin Sekije plant, die Krim mit ihrer Familie zu verlassen.
       „Haben Sie gesehen, wie man die Aktivisten des Automaidan und der
       ukrainischen Gemeinde auf der Krim diskriminiert hat? Ich war auf der
       Beerdigung des tatarischen Aktivisten, der zu Tode gefoltert wurde. Ich
       habe einen 18-jährigen Sohn, was erwartet ihn hier? Wir sollten uns keine
       Illusionen machen, was mit Andersdenkenden auf der Krim geschieht“, sagt
       sie.
       
       ## Rechtssystem kollabiert
       
       Das Rechtssystem der Krim ist kollabiert. Die Gerichte verschieben die
       Verkündung von Urteilen. Milizionäre können verhaftete Personen nicht
       aktenkundig machen, da das System von der Ukraine blockiert wird.
       
       „Auf der Krim werden ukrainische Juristen und Anwälte, Richter und Notare,
       Jura-Studenten, Studenten der ukrainischen Philologie und Buchhalter nicht
       mehr gebraucht. Die Neuregistrierung von Selbstständigen wird diejenigen
       benachteiligen, deren Business vor Ort nicht erwünscht ist. Das, was sich
       gerade auf der Krim abspielt, ist für viele eine Tragödie“, meint die
       27-jährige Alexandra.
       
       Es heißt, der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan
       Kadyrow, sei von Putin zum inoffiziellen Kurator der Krim erklärt worden.
       Kämpfer tschetschenischer Einheiten wurden bereits in Tschongar und im
       Kreiswehrersatzamt gesichtet, wo Aktivisten festgehalten werden, sowie an
       den Grenzkontrollpunkten der Marineinfanterie in Feodossija.
       
       Natalja ist mit einem Mitarbeiter der Verwaltung „Kampf gegen
       Wirtschaftsverbrechen“ verheiratet. „Vor einigen Tagen sagte uns die Miliz,
       wir hätten fünf Tage Zeit, unsere Pässe umzutauschen. Und wir sollten auf
       einen sechsmonatigen Aufenthalt in Tschetschenien vorbereitet sein. Was
       tun? Das Haus verlassen, was wir noch nicht einmal fertig gebaut haben?
       Mein Mann will seinen Pass umtauschen, ich nicht. Ich weiß nicht, was ich
       machen soll.“
       
       Auch ukrainische Mütter erwarten jetzt Überraschungen. In der Ukraine
       bekommen Mütter für das erste Kind umgerechnet ca. 2.000 Euro ausgezahlt,
       für das zweite knapp ca. 4.200 Euro und für das dritte ca. 6.700 Euro.
       „Meine zweite Tochter wurde am Tag des Anschlusses an Russland geboren, am
       18. März. Im Sozialministerium wurde uns gesagt, dass Leistungen wohl nicht
       ausgezahlt werden“, erzählt Tatjana Sorokina. Und fügt hinzu: „Wir haben
       unsere Tochter noch nicht anmelden können – russische Geburtsurkunden gibt
       es noch nicht und die ukrainischen dürfen nicht mehr benutzt werden.“
       
       24 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Tatjana Kurmanowa
       
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