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       # taz.de -- Rot-Grüne Versprechen: Abschiebung bleibt fies
       
       > Einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik wollte Niedersachsens
       > Innenminister Boris Pistorius (SPD) . Dass er weiter nachts abschieben
       > lässt, kritisiert sogar die eigene Fraktion.
       
   IMG Bild: Muss Kritiker in den eigenen Reihen besänftigen: Innenminister Boris Pistorius.
       
       HANNOVER taz | Es war einer jener krassen Fälle, die es nach den
       Ankündigungen von Rot-Grün in Niedersachsen eigentlich nicht mehr geben
       sollte: Am Donnerstag wurde der Flüchtling Moatsem N. direkt aus der
       Psychiatrie von der Ausländerbehörde des Landkreises Northeim zur
       Abschiebung nach Polen abgeholt. N. war dort nach einem Suizidversuch in
       Behandlung, seine Frau, die ebenfalls nach einem Selbstmordversuch klinisch
       behandelt wird, blieb in Niedersachsen zurück.
       
       Der Flüchtlingsrat appellierte an Innenminister Boris Pistorius (SPD), die
       Abschiebung auszusetzen und erinnerte an den versprochenen
       Paradigmenwechsel zu einer humaneren Flüchtlingspolitik. Vergeblich: Im
       Fall N. sei nicht das Land, sondern das Bundesamt für Migration und
       Flüchtlinge (BAMF) zuständig, erklärte das Ministerium. N. hatte in Polen
       erstmals Asyl beantragt und sei nach der europäischen Dublin-Verordnung
       dorthin zurückzubringen. Niedersachsens Behörden leisteten dem BAMF dabei
       nur Amts- und Vollzugshilfe, betonte das Innenministerium,
       entscheidungsbefugt aber sei man nicht.
       
       Nicht nur der Fall Moatsem N. kratzte vergangene Woche am Bild vom
       rot-grünen Paradigmenwechsel. Gegen die Dublin-Verordnungen und das „Hin-
       und Herschieben“ von Flüchtlingen in der EU demonstrierten in Osnabrück
       mehrere Hundert Menschen. Die CDU-Landtagsfraktion machte zudem publik,
       dass es 2013 auch unter Rot-Grün zu Nachtabschiebungen gekommen war: In
       rund 100 Fällen wurden die Betroffenen zwischen 22 und sechs Uhr abgeholt,
       musste das Innenministerium auf CDU-Anfrage hin einräumen.
       
       Dabei hat es sich demnach wie bei N. vornehmlich um Dublin-Abschiebungen
       gehandelt. Den Zeitpunkt der Abholung der Flüchtlinge sowie die Übergabe an
       den EU-Ersteinreisestaat bestimme dabei das BAMF. In anderen Fällen seien
       Nachtabschiebungen organisatorisch unvermeidbar gewesen, etwa wegen der
       Flugpläne der Airlines.
       
       Unschöne Meldungen, auch aus Sicht der rot-grünen Landtagsfraktionen. Man
       sei überzeugt, dass sich Abschiebungen „vernünftiger und menschenwürdiger“
       organisieren ließen, erklärte die SPD und forderte die eigenen Minister
       auf, sich im Bund entsprechend einzusetzen. Die Grünen kündigten an, „alle
       rechtlichen und politischen Wege zu prüfen, um Dublin-Flüchtlingen in
       Niedersachsen eine Abschiebung in einen anderen EU-Staat zu ersparen“.
       
       Verhaltener klingt dagegen das Innenministerium selbst: Man werde
       versuchen, auch die Bundesbehörden zu sensibilisieren, „dass nächtliche
       Abschiebungen die ultima ratio sind“, heißt es dort am Freitag.
       Handlungsbedarf, sich auf Bundesebene für Korrekturen der
       EU-Dublin-Verordnungen einzusetzen, sehe man aber nicht.
       
       Nicht persönlich geäußert hat sich bislang Innenminister Pistorius, der
       noch bis Sonntag auf Brasilien-Reise ist. Kommende Woche im Landtag kann er
       das nachholen: Die CDU plant eine Aktuelle Stunde zu den
       Nachtabschiebungen, die ihr Fraktionschef Björn Thümler eine „Realität“
       nennt, an der auch Pistorius nicht vorbeikomme.
       
       22 Mar 2014
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Teresa Havlicek
       
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