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       # taz.de -- Debatte um Alltagsrassismus in Oxford: „Nein, ich verkaufe kein Kokain“
       
       > Eine Kampagne auf Tumblr thematisiert Ressentiments gegenüber
       > nicht-weißen Studierenden. Eine zweite will den Ruf Oxfords retten. Eine
       > dritte disst das.
       
   IMG Bild: Dieser Kampagnenteilnehmer spricht nur für sich selbst.
       
       „Ist Dein Haar echt?“ „Wie hast Du es nach Oxford geschafft? Jamaikaner
       studieren doch gar nicht.“ „Aber von wo bist Du wirklich her?“ Diese und
       andere Sprüche sind nicht-weißen StudentInnen an der englischen Universität
       Oxford allzu vertraut. 65 von ihnen haben sich kürzlich für den
       [1][Tumblr-Blog „I, too, am Oxford“] fotografieren lassen, während sie eine
       Tafel hochhalten, auf der solche Bemerkungen oder die Antworten darauf
       geschrieben stehen.
       
       Der Blog soll klar machen, dass, ungeachtet aller offiziellen Bekenntnisse
       zur Vielfalt und zur Leistung als alleinigem Zugangskriterium, nicht-weiße
       StudentInnen sich im Hochschulalltag von Oxford immer wieder vonseiten
       ihrer KommilitonInnen, DozentInnen oder ProfessorInnen herabgewürdigt
       sehen, ihr Status als gleichberechtigte Angehörige der Uni in Frage
       gestellt wird.
       
       An der US-Universität Harvard hatten schwarze StudentInnen den
       institutionellen Rassismus an ihrer Hochschule zum Thema eines
       Theaterstücks gemacht, aus dem dann ein Kampagnen-Video auf Youtube
       hervorging. Dieser Clip wurde zum Vorbild für die Mitwirkenden der Aktion
       in Oxford gegen alltäglichen Rassismus.
       
       Im „I, too, am Oxford“-Blog wird daraufhin gewiesen, dass die Zahl der
       Studierenden aus ethnischen Minderheiten an der Uni Oxford derzeit größer
       sei denn je. Doch würden damit nicht unbedingt die Ressentiments und
       stereotypen Vorstellungen verschwinden, die in der weißen Mehrheit der
       Studentenschaft und im Lehrkörper ihnen gegenüber gepflegt werden. Deren
       Richtigstellung bedürfe es, weshalb zum Beispiel eine Studentin auf ihre
       Tafel geschrieben habe: „Nein, ich bin nicht mit einem Stipendium aus
       Afrika hergekommen“. Ein anderer stellt klar: „Meine Stimme ist nicht die
       aller Schwarzen“, ein weiterer: „Ich verkaufe kein Kokain“.
       
       Kaum war die „I, too, am Oxford“-Kampagne in der Welt, füllten sich die
       Kommentarspalten diverser britischer Online-Portale, die über sie
       berichteten, mit einer hitzigen Diskussion. UserInnen reklamierten, dass
       sie während des Studiums in Oxford nie diskriminierende Erfahrungen gemacht
       hätten – obwohl sie selbst nicht weiß seien. Andere Stimmen kritisierten,
       in der Kampagne seien Menschen ostasiatischer Herkunft unterrepräsentiert.
       Wohlmeinende Beiträge wurden schließlich mit offen rassistischen
       Auslassungen gekontert, die völlig am Thema vorbei die Schließung der
       Grenzen für Zuwanderer forderten.
       
       ## „Klassischer weißer Landraub“
       
       In Form eines weiteren Tumblr-Blogs folgte eine Reaktion direkt aus dem
       Bildungstempel. Eine Gruppe StudentInnen kam einem Facebook-Aufruf ihrer
       Kommilitonin Alexandra Jaye Wilson nach und ließ sich unter dem Motto „Wir
       sind alle Oxford“ ablichten. Die Fotos auf dem [2][„We Are All
       Oxford“-Blog] zeigen: zwei weiße Frauen mit einem Schild mit der Aufschrift
       „Wir sind von staatlichen Schulen“. Drei andere Frauen freuen sich über die
       finanzielle Unterstützung von StudentInnen aus einkommensschwachen
       Haushalten. Ein junger Mann erklärt schriftlich, dass er in Oxford
       traditionelle nigerianische Kleidung auf Abendbanketts tragen könne.
       
       Wilson sah sich zu dieser Aktion veranlasst, weil sie eine Rufschädigung
       ihrer Universität durch „I, too, am Oxford“, fürchtet. Das negative Porträt
       Oxfords könnte nicht-weiße StudentInnen davon abhalten, sich an der
       Hochschule zu bewerben. Sie betont, gar nicht gegen „I, too, am Oxford“
       arbeiten zu wollen, schließlich existiere Rassismus an der Universität und
       müsse bekämpft werden. Doch Oxford würde viel dafür tun, Vorurteile und
       irrige Wahrnehmungen anzugehen. Es gehe lediglich darum, ein vollständiges
       Bild zu präsentieren. Menschen mit verschiedenen ethnischen Hintergründen
       würden alles in allem positive Erfahrungen an der Hochschule machen, die
       aktiv versuche, Menschen aus allen sozialen Schichten aufzunehmen.
       
       Die „We Are All Oxford“-Kampagne erhielt sofort die Unterstützung der
       Oxford University Student Union, erwähnt sie doch deren Veranstaltungen
       lobend als Feier der Diversität. Über „I, too, am Oxford“ verlor die
       studentische Vertretung zunächst kein Wort, wofür sie sich später
       [3][zumindest entschuldigte].
       
       Wenn es noch einen Grund bräuchte für Nicht-Weiße, Oxford zu meiden, seien
       es genau die Leute, die an der „We Are All Oxford“-Kampagne teilgenommen
       haben, schreibt die Kolumnistin Harriet Walker in der [4][britischen
       Zeitung The Guardian]. Die „We Are All Oxford“-Kampagne sei schlicht ein
       klassischer Landraub Weißer, wohlmeinend, aber nichtsdestotrotz motiviert
       durch ein engstirniges „Wir sind alle hier zusammen“-Gefühl unter jenen,
       die oben stünden. Die Klagen der nicht-weißen StudentInnen würden so
       delegitimiert.
       
       ## Rumäne mit verschrobenen Humor
       
       Bei Tumblr poppte schließlich der [5][„We Are All Awful“-Blog] auf, der die
       vermeintlichen Ungereimtheiten der „We Are All Oxford“-Kampagne aufdeckt –
       zum Beispiel, dass sie die Förderung von StudentInnen aus
       einkommensschwachen Haushalten betont, obgleich es „I, too, am Oxford“ in
       erster Linie um Alltagsrassismus gehe. Der Rumäne, der nicht seine
       Herkunft, sondern seinen verschrobenen Humor beurteilt sehen will, trägt
       ein Playboy-T-Shirt. Ein schwarzer Student wurde gleich zweimal ins Bild
       geschoben. Und auf den Fotos der „We Are All Oxford“-Kampagne würden
       insgesamt gleichviel Weiße wie Nicht-Weiße auftauchen, kritisiert der „We
       Are All Awful“-Blog.
       
       Der Blog ist dem Kampf gegen Diskriminierungen auf dem Campus jedoch wenig
       dienlich, da er selbst mit Schmähungen arbeitet. Dennoch ist die Kritik an
       „We Are All Oxford“ berechtigt, denn für sich allein genommen suggeriert er
       eben doch eine vermeintlich multikulturelle Idylle, in der die
       TeilnehmerInnen der „I, too, am Oxford“-Kampagne als Spielverderber
       erscheinen.
       
       Aber nicht die Problematisierung von Vorurteilen, die weiter hartnäckig
       durch die Hochschulflure geistern, wird nicht-weiße SchulabgängerInnen von
       einer Bewerbung in Oxford abhalten, sondern der umgekehrte Fall: Wenn
       ausgerechnet dort aus Imagegründen die Existenz von etwas nicht
       thematisiert werden dürfte, was Angehörige ethnischer Minderheiten ja auch
       aus allen anderen gesellschaftlichen Bereichen des Vereinigten Königreichs
       kennen – bei allen Fortschritten, die bisher erreicht sein mögen.
       
       Letztlich nur sehr schüchtern hat die „I, too, am Oxford“-Kampagne
       überhaupt angesprochen, dass der Alltagsrassismus in Oxford eben doch mit
       den Machtverhältnissen im institutionellen Gefüge der Universität
       kurzgeschlossen ist. Der offizielle Diskurs spricht von Diversität. Doch in
       den Oxford-Colleges haben seit jeher weiße Männer mit Vermögen das Sagen,
       mögen Angehörige ethnischer Minderheiten dort auch eine noch so angenehme
       Studienzeit haben. In diesen Genuss kommen allerdings nur wenige von ihnen.
       2011 wurden lediglich 32 schwarze BewerberInnen in Oxford akzeptiert, bei
       3.200 verfügbaren Plätzen. Etwa, weil Hautfarbe so gar keine Rolle spielt?
       
       21 Mar 2014
       
       ## LINKS
       
   DIR [1] http://itooamoxford.tumblr.com/
   DIR [2] http://wearealloxford.tumblr.com/
   DIR [3] http://oxfordstudent.com/2014/03/16/ousu-apologises-as-competition-escalates-between-anti-racism-tumblrs/
   DIR [4] http://www.theguardian.com/commentisfree/2014/mar/16/viral-diversity-campaign-oxford-racist
   DIR [5] http://weareallawful.tumblr.com/
       
       ## AUTOREN
       
   DIR Oliver Pohlisch
       
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